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Pakistan nach Osama bin Laden"Wir brauchen weniger Militärhilfe"

Die Macht der Armee in Pakistan ist ungebrochen. Die Streitkräfte setzen weiterhin auf den Antiamerikanismus im Land, meint die Militärexpertin Ayesha Siddiqa.

Hohes Ansehen: Das Macht des Militärs in Pakistan ist ungebrochen. Bild: reuters
Sven Hansen
Sven Hansen
Interview von Sven Hansen und Sven Hansen

taz: Frau Siddiqa, nach der US-Kommandoaktion in Abottabad, bei der Osama bin Laden getötet wurde, standen Pakistans Militär und sein Geheimdienst ISI weltweit als Versager da. Für die Regierung wäre dies eine Chance gewesen, beide stärker unter Kontrolle zu bekommen. Stattdessen hat sie das Militär verteidigt. Warum?

Ayesha Siddiqa: Sie unterschätzen die große Schwäche unserer Regierung. Die langjährige Vormachtstellung des Militärs hat unsere Gesellschaft entpolitisiert - und seit drei Jahren führt die Armee zudem eine massive Propagandakampagne gegen die gewählte Regierung. Deren Strategie besteht nur noch darin, das Militär sich selbst vorführen zu lassen. Denn das Militär frontal zu kritisieren, kann sich keine pakistanische Regierung leisten. Der ISI hat sogar die Macht, wie es nach der Tötung bin Ladens der Fall war, die ausgearbeitete Erklärung des Informationsministers komplett durch eine eigene Erklärung zu ersetzen, die dieser dann vortragen musste.

Warum war Pakistans Öffentlichkeit weit empörter darüber, dass die USA Pakistans Souveränität verletzt haben, als darüber, dass bin Laden hier jahrelang untertauchen und in direkter Nachbarschaft zur Militärakademie leben konnte?

Sven Hansen
Im Interview: 

Ayesha Siddiqa, 45, ist Militärexpertin und Kolumnistin. Sie unterrichtet Militärwissenschaft an der Johns-Hopkins-Universität in den USA. 2007 erschien ihr Buch "Military Inc."

Weil das Militär in alle Medien interveniert. Es gibt keine Medien jenseits seiner Kontrolle. Die Macht des pakistanischen Militärs drückt sich nicht nur in der Zahl seiner Waffen und der Ressourcen aus, die ihm zur Verfügung stehen - sondern auch darin, wie es den nationalen Diskurs dominiert.

Wie macht es das?

Die Medienmacht des Militärs ist kaum zu überschätzen. Ein Beispiel: Zwei Tage nach der Tötung von Osama bin Laden verschickten unsere Streitkräfte zehntausende SMS, in denen sie daran erinnerten, wie sie sich bisher für uns aufgeopfert haben. Das sollte zeigen, dass wir die jetzige Krise völlig missverstehen. Damit wird der Boden für ihre Neuinterpretation bereitet.

Als Rache für den Tod bin Ladens gab es zwei Wochen später, am 21. Mai, einen Taliban-Angriff auf eine Marinebasis in Karatschi. Wie gehen Pakistans Armee und sein Geheimdienst ISI mit solchen Demütigungen um?

So wie immer: Sie lancieren Verschwörungstheorien und behaupten, dass ausländische Kräfte dahinter steckten. Nach dem Angriff auf die Marinebasis hieß es, die Zerstörung der Aufklärungsflugzeuge hätte amerikanischen oder indischen Interessen gedient. Das Militär hat es stets verstanden, solche Angriffe nicht als Zeichen seiner Schwäche darzustellen, sondern als Ergebnis einer feindlichen Verschwörung. Kurzfristig hat das Militär sogar von dem Angriff auf die Marinebasis profitiert, weil es damit seine Bedeutung unterstreichen konnte.

Hat sich die Rolle des Militärs und seines Geheimdienstes seit dem Ende der diktatorischen Herrschaft des Generals Pervez Musharraf 2008 denn gar nicht geändert?

Nein, die Rolle des Militärs ist unverändert, die Macht des ISI ungebrochen. Der einzige Unterschied ist, dass wir jetzt einen zivilen Präsidenten haben. Doch im Militär geben noch immer fast dieselben Generäle den Ton an.

Musharraf spielte gern den starken General, der durchgriff. Hatte er die Fäden denn stärker in der Hand als die zivile Regierung jetzt?

Nein, Musharraf trat nur gegenüber der Bevölkerung als starker Mann auf: Die kommandierte er herum. Aber an das Militär als Institution traute er sich nicht heran. Im Westen wollten das viele leider nicht sehen.

Während der Flutkatastrophe im vergangenen Sommer war die Armee - anders als die Regierung - in der Lage, den Menschen zu helfen. Konnte sie damit ihren Ruf aufpolieren?

Die Flut gab dem Militär in der Tat die Gelegenheit, sich wieder neu zu erfinden. Leider fehlt in unserer Zivilgesellschaft die kritische Masse, die das hinterfragt. So ist das Militär wieder und wieder in der Lage, sich als Retter der Nation darzustellen. Und immer, wenn die Leute etwa im Internet über dessen Rolle diskutieren, werden sie daran erinnert, das Militär nicht infrage zu stellen. Denn das schütze und und opfere sich für uns auf.

Pakistans Armee erhält viel Militärhilfe aus den USA. Warum ist der Antiamerikanismus in ihren Reihen dennoch so weit verbreitet?

Dieses Militär wird seit mindestens drei Jahrzehnten mit Antiamerikanismus gefüttert: mit Parolen wie, dass die USA Pakistan ins Verderben führen wollen und es nur benutzen, um es bald darauf fallen zu lassen. Bisher hat es jede Generation pakistanischer Generäle geschafft, den USA einzureden, dass nur sie ihre Freunde sind. Der Antiamerikanismus ist ein Hebel, um den USA noch mehr Mittel abzupressen. Die Militärs profitieren also direkt vom Antiamerikanismus.

Oft scheint es, als ob Angriffe auf das Militär von Mithelfern aus den eigenen Reihen kommen. Demoralisiert das nicht die Soldaten?

Wenn Soldaten in ihrer Freizeit ihre Uniformen ablegen, weil sie fürchten, sonst angegriffen zu werden, mag das nach Demoralisierung aussehen. Doch wenn man sieht, wie das Militär der Nation weiter wie selbstverständlich Ressourcen abpresst, dann wirkt es nicht demoralisiert. Die Debatte innerhalb des Militärs hat bisher leider nicht zu mehr Rechenschaft, Transparenz oder gar ihrer Unterordnung unter Zivilisten geführt.

Welche Reformen sind nötig, und wie kann Europa diese unterstützen?

Aus Europa hat es seit sehr langer Zeit keine Aufforderung mehr an Pakistan gegeben, doch bitte seinen hohen Verteidigungshaushalt zu reduzieren. Auch der Internationale Währungsfonds und die Weltbank machen das schon lange nicht mehr. Die EU initiiert zwar nette Bildungsprojekte. Aber sie macht keinen Druck auf die Regierung, ihr Haus in Ordnung zu bringen und in die Menschen zu investieren. Dieser Druck wäre nötig. Unnötig ist dagegen die Unterstützung für unser Militär. Wir bräuchten mehr Hilfe für eine zivile Grundstruktur. Trotz all der Ineffizienz und Probleme ist ein ziviles System besser, als wenn die Militärbürokratie die Regierung führt.

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