Paketbombe von Potsdam: Angst und Schrecken, aber anders
Kein islamistischer Anschlag in Potsdam. Gut. Doch eins wird dabei vergessen: Die Paketbomben sind kapitalistisch motivierter Terror.
„Entwarnung“, schreibt die Welt. Von einer „jähen Wendung“ berichtet der Tagesspiegel sichtbar erleichtert, schließlich hätten nach dem Bombenfund am Rande des Potsdamer Weihnachtsmarktes „viele befürchtet, es könne sich um Terrorismus handeln“. Doch jetzt ist klar, weiß die Bild: „Der Weihnachtsmarkt war kein Ziel eines Terroraktes.“ Denn: „Die Täter sind keine Terroristen!“, ruft die B.Z.
Und tatsächlich: Die Paketbombe, die am Freitag an eine Apotheke am Rande des Potsdamer Weihnachtsmarkts geliefert wurde, stammt offensichtlich nicht von irgendwelchen Islamisten, sondern von jemandem, der das Post-Unternehmen DHL erpressen will.
Ist damit alles gut? Nein, nichts ist gut in Deutschland.
Natürlich ist es schön, dass es nach der Attacke auf den Berliner Weihnachtsmarkt vor fast einem Jahr nicht schon wieder einen ähnlichen islamistischen Anschlag gibt. Wer aber damit auch gleich das Label „Terror“ vom Tisch wischt, der macht es sich deutlich zu leicht.
Terrorismus, so die gemeinhin gängige Definition unter Soziologen und Sicherheitsexperten, setzt unter anderem eine politische Zielsetzung voraus. Die ist bei den Paketbombenerpressern zumindest nach derzeitigen Kenntnisstand nicht zu sehen. Der Duden spricht von Gewaltakten „besonders zur Erreichung von politischen Zielen“, schließt damit aber unpolitische Ziele auch nicht aus.
Letztlich ist die Frage, wie politisch Terror sein muss, um als Terror zu gelten, eine akademische. Wichtiger als das Motiv ist die Vorgehensweise aller Terroristen: Sie verbreiten Terror.
Persönliche Glückseligkeit
Und genau darauf setzten der oder die Bombenbauer von Potsdam. Die potenziellen Opfer ihres geplanten Anschlages sind nicht das eigentliche Ziel, sie sind ihnen nur Mittel zum Zweck. Die Täter wollen Angst und Schrecken in der Bevölkerung verbreiten, um letztlich ihr Ziel zu erreichen: persönliche Glückseligkeit – durch die Millionen, die sie vom Paketlieferdienst DHL erpressen wollen.
Darin ähneln die Paketbomber überraschend fatal islamistischen Attentätern. Nur, dass sie nicht auf die viel zitierten Jungfrauen im Jenseits hoffen, sondern auf Sofortbefriedigung im Hier und Jetzt. Ganz im Sinne des kapitalistischen Urversprechens: Geld gleich Glück.
Ähnlich wie die islamistische Ideologie eine pervers übertriebene Version des Islam ist, sind hier Täter am Werk, die die kapitalistische Weltsicht pervertiert haben: Die Gier, die bekanntlich die Triebfeder der Marktwirtschaft ist, stellen sie über alles. Sogar über das Leben ihrer Mitmenschen, zu denen sie keinerlei persönliche Beziehung haben.
Wieso aber werden Anschläge wie die Potsdamer Bombe dann so schnell als gewöhnliches Verbrechen angesehen?
Gesellschaftliche Empörungsspirale
Es ist eine Entwicklung, wie sie auch schon nach dem Anschlag auf den Mannschaftsbus des Fußballbundesligisten Borussia Dortmund zu beobachten war: Kaum war klar, dass der Attentäter kein Islamist, sondern ein völlig durchgedrehter Börsenspekulant war, verschwand das Thema weitgehend aus der gesellschaftlichen Empörungsspirale.
Anders als nach jedem noch so kleinen islamistisch motivierten Verbrechen wurde und wird auch diesmal nicht gleich die hinter der Tat stehende Weltsicht komplett in Frage gestellt, und ihre Anhänger werden nicht von großen Teilen der Gesellschaft diskriminiert – ganz egal, ob sie sich nun radikal oder moderat geben.
Der größte Unterschied zwischen einer islamistischen und einer kapitalistischen Perversion ist: Der Islam ist der deutschen Mehrheitsgesellschaft fremd. Seine Perversion lädt dazu ein, die Tat nicht verstehen zu müssen, die Schuld dem anderen, dem Fremden in die Schuhe zu schieben. Der Kapitalismus aber ist im Wortsinne gewöhnlich. Das Motiv ist verständlich – weil wir es gewohnt sind. Wer es als ebenso verdammenswert wie den Islamismus einstufen wollte, müsste es in Frage stellen. Und damit die Grundlage der westlichen Gesellschaft. Keine Wunder, dass das nicht passiert.
Im Gegenteil: Nach der Entwarnung trifft man sich schnell wieder beim Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt, summt „süßer die Kassen nie klingeln“, philosophiert allenfalls halbironisch distanziert über den Konsumterror und merkt nicht einmal, wie nah man dran ist. Am Kern des Problems.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
FDP stellt Wahlkampf Kampagne vor
Lindner ist das Gesicht des fulminanten Scheiterns
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen
Sednaya Gefängnis in Syrien
Sednaya, Syriens schlimmste Folterstätte
Syrische Geflüchtete in Deutschland
Asylrecht und Ordnungsrufe