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Pädagogin über Schulen und Eltern„Das Wichtigste ist Beziehungsarbeit“

An Brennpunktschulen ist Elternarbeit besonders wichtig, sagt die Leiterin eines Familiengrundschulzentrums. Dort baut sie Vertrauen auf.

Die Unterstützung der Eltern ist entscheidend für den Bildungserfolg der Kinder Foto: Dominique Ecken/DAVIDS
Ralf Pauli
Interview von Ralf Pauli

taz: Frau Leigers, Sie koordinieren ein Familiengrundschulzentrum in Bielefeld. Das Konzept ist im Ruhrgebiet entstanden, um „Knotenpunkte“ im Sozialraum zu schaffen. Was kann man sich darunter vorstellen?

Katrin Leigers: Es geht darum, die Schulen ins Quartier zu öffnen. Wir versuchen, Familien mit den unterschiedlichsten Bedarfen zu unterstützen und gegebenenfalls an die passenden Institutionen weiterzuleiten. So profitieren wir alle voneinander und knüpfen ausgehend von der Schule ein Netzwerk. Letztendlich geht es darum, „unsere Kinder“ bestmöglich zu begleiten und Bildungsungleichheit entgegenzuwirken. Grundlage für gelingende Unterstützungsangebote sind Kommunikation und Austausch zwischen Eltern und Schule und allen beteiligten Akteuren. Unser Ziel ist, eine Verantwortungsgemeinschaft zu sein, an der alle mitwirken.

privat
Im Interview: Katrin Leigers

Katrin Leigers, 52, leitet das Familiengrundschulzentrum Sudbrackschule in Bielefeld. Sie ist ausgebildete Intensiv- und Individualpädagogin.

In Bielefeld liegt die Armutsquote bei Kindern mit rund 20 Prozent fast doppelt so hoch wie im Bundesschnitt. Auf die Sudbrackschule, an der Sie angegliedert sind, gehen Kinder aus 28 verschiedenen Nationen. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?

Viele Familien können nicht einmal die alltäglichen Kosten für das Familienleben bewältigen. Gemeinsam mit den Schulsozialarbeiterinnen an unserer Schule helfen wir bei verschiedenen Anträgen wie Bildung und Teilhabe. Der bürokratische Aufwand frisst viel Zeit. Zudem sind natürlich sprachliche Barrieren ein großes Hindernis. Aber auch hier suchen wir gemeinsam nach Lösungen, kümmern uns beispielsweise um Übersetzung. Dennoch: So viele unterschiedliche Nationen an einer Schule sind ein großer Gewinn. Es ist schön zu sehen, dass die Kinder kein Problem damit haben, dass alle unterschiedlich sind. Eine Mutter aus Bosnien hat einmal gesagt: Das ist Frieden, was hier auf dem Pausenhof stattfindet.

Wie gelingt es Ihnen, Vertrauen zu den Eltern aufzubauen?

Das bringen Familiengrundschulzentren

Das Konzept 2014 ist in Gelsenkirchen das erste Familiengrundschulzentrum (FGZ) entstanden, seit ein paar Jahren wird das Konzept von der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen flächendeckend unterstützt. Mittlerweile gibt es in NRW knapp 160 Familiengrundschulzentren. Auch in Rheinland-Pfalz, Berlin und Sachsen gibt es erste FGZ.

Die Umsetzung Am Mittwoch veröffentlicht die Wübben Stiftung Bildung eine systemische Befragung von FGZ-Leitungen in NRW vor. Demnach wird das Angebot von Eltern sehr gut angenommen und führt zu positiven Effekten unter anderem bei den Einstellungen und Verhaltensweisen von Eltern oder der Vernetzung der Schulen im Sozialraum. Als größte Herausforderungen geben FGZ-Leitungen begrenzte Ressourcen und die Aktivierung von Eltern an, bei denen die Bedarfe der Kinder besonders hoch sind. (taz)

Das Wichtigste ist Beziehungsarbeit. Mein erstes Projekt war ein Sprachcafé für Mütter. Daraus ist eine Elterngruppe entstanden, die zum Ziel hat, andere Familien zu unterstützen und am Schulalltag mitzuwirken. Koordiniert durch das Familiengrundschulzentrum finden mittlerweile mehrere Projekte pro Tag statt. So gibt es ein Tanzprojekt für Kinder mit Auftritten auf dem Bielefelder Leineweberfest und beim Karneval der Kulturen. Zu den Auftritten kommen dann die Eltern und sehen: Mein Kind erlebt an der Schule etwas Schönes. Das baut natürlich Vertrauen auf. Wir arbeiten auch eng mit einer Kita zusammen und bieten dort bereits Sprachtreffen für die Eltern an, deren Kinder dann zu uns an die Schule kommen. Wir bemühen uns, früh auf die Eltern zuzugehen.

Laut einer aktuellen Umfrage der Wübben Siftung Bildung unter Familiengrundschulzentren ist die größte Herausforderung, jene Eltern zu erreichen, deren Kinder besonders hohe Bedarfe haben. Wie ist das bei Ihnen?

Das ist auch bei uns so. Ich habe schnell gemerkt, dass ich aktiv auf Eltern zugehen muss. Mit Aushängen oder Zetteln in der Schultasche erreiche ich niemanden. Mein Glück ist, dass ich viele Familien bereits in der Coronazeit zu Hause besucht habe. Aber an bestimmte Eltern komme ich trotzdem schwer heran. Dennoch bin ich zufrieden. Vor dreieinhalb Jahren habe ich das Familiengrundschulzentrum gestartet. Das Sprachcafé ist immer gut besucht. Und viele haben jetzt den Mut zu sagen: Ich brauche Unterstützung. Ich weiß nicht, wie ich diesen oder jenen Behördengang mache. Das ist für viele Menschen nicht einfach. Damit haben wir viel erreicht.

Und können Sie auch helfen?

Zum Glück ja. Gerade erst habe ich eine Familie ins Rathaus begleitet, um Grundsicherung zu beantragen. Es irritiert mich schon sehr, wie viele Menschen dort abgewiesen werden, nur weil sie die Sprache nicht sprechen. Für ein Kind, das auf eine Förderschule gewechselt ist, habe ich neulich eine Schulbegleitung organisiert. Es gibt noch viele weitere Beispiele.

Studien zeigen, dass weniger privilegierte Eltern auch seltener einen Kitaplatz erhalten – obwohl der wichtig wäre, um die ungleichen Startchancen zu verringern. Hören Sie das auch von Ihren Familien?

Ja, das hören wir leider öfter. In unserem Einzugsgebiet liegt auch ein Frauenhaus, wo Frauen in Not eine Anlaufstation haben. Es ist schon häufiger vorgekommen, dass eine Mutter dann ein Kind bei uns zur Einschulung gebracht hat und das jüngere Geschwister nicht zur Kita ging, weil die Mutter keinen Platz gefunden hat oder gar keine Kapazitäten hatte, sich darum zu kümmern. Wir haben in solchen Fällen schon mehrfach einen Kitaplatz organisiert.

Grundschulen beklagen, dass immer mehr Kinder bereits in der ersten Klasse nicht mithalten können. Welchen Anteil daran haben Ihrer Erfahrung nach die Eltern?

Viele Familien sind unterschiedlichsten Belastungen ausgesetzt. Wie schon vorher erwähnt, müssen häufig beide Elternteile arbeiten, sodass manchmal wenig Zeit ist für regelmäßigen Austausch innerhalb der Familie. Hinzu kommen auch Unsicherheiten bezüglich unterschiedlichster Themen – der Mediennutzung beispielsweise. Ich denke, es ist unumgänglich, das System Schule zu überdenken und den Austausch zwischen den Eltern und der Schule durch Familiengrundschulzentren vertrauensvoll zu gestalten, sodass es möglich wird, auch über Unsicherheiten in der Erziehung und andere Themen zu kommunizieren.

Versuchen Sie auch, die Eltern dazu zu bewegen, sich stärker in die Bildung ihrer Kinder einzubringen?

Natürlich. Ein gutes Beispiel dafür ist unser Rucksackprojekt. Da besprechen wir mit den Eltern, was ihre Kinder gerade in der Schule lernen. Wir geben auch Anregungen, wie sie zu Hause spielerisch den Unterricht nachbereiten können. Ebenso wie das Rucksackprojekt haben wir ein Bücherkofferprojekt in Kooperation mit dem Kommunalen Integrationszentrum in Bielefeld gestartet. Jedes Kind aus der ersten und zweiten Klasse darf den Koffer mal mit nach Hause rollern. Das ist für die Kinder schön – und die Eltern sehen, dass ihr Kind gerne liest.

Fördern Sie am Familiengrundschulzentrum auch gezielt Kinder?

Ja, das machen wir auch. Teilweise nehmen wir – in Rücksprache mit der Lehrkraft und den Eltern – die Kinder dafür auch aus dem Unterricht. So findet zum Beispiel regelmäßig für einige Kinder Logopädie an der Schule statt. Das haben wir eingerichtet, weil nicht alle ­Familien die Möglichkeit haben, ihr Kind am Nachmittag in die Praxis zu bringen. Dann kommen auch Ehrenamtliche an die Schule, die jeweils mit einzelnen Kindern lesen, die hier erhöhten Förderbedarf haben. Zudem erhalten bestimmte Kinder gezielte Nachhilfe.

Wie sind Sie eigentlich personell aufgestellt?

Ich leite das Familiengrundschulzentrum mit 30 Stunden die Woche. Eine Lehrkraft und eine Mitarbeiterin des Offenen Ganztags haben aber je eine Entlastungsstunde die Woche, um mich bei den einzelnen Projekten zu unterstützen. Natürlich arbeiten auch andere Menschen mit und sind an der Weiterentwicklung des Familiengrundschulzentrums maßgeblich beteiligt. So ist das Gelingen abhängig von der Mitarbeit aller Akteure an Schule, von den unterschiedlichsten Professionen an Schule, von der Schulleitung und der stellvertretenden Schulleitung und von den Eltern, sowie von der Offenen Ganztagsbetreuung als auch vom Träger.

Aber natürlich würde jede Stelle mehr helfen. Momentan sieht es aber nicht danach aus, im Gegenteil. Ab 2026 droht sogar eine Kürzung, weil das Schulministerium Familiengrundschulzentrum aktuell nur mehr mit 20 Stunden die Woche fördert.

In Nordrhein-Westfalen erhalten demnächst 900 Schulen zusätzliche Gelder aus dem Startchancen-Programm von Bund und Ländern. Kommt nicht auch dieser Topf infrage, um Ihre Arbeit zu unterstützen?

Das hoffe ich. Tatsächlich ist unsere Schule ausgewählt worden für das Startchancen-Programm. Das ist so oder so eine gute Nachricht. Ob das Familiengrundschulzentrum auch Stellenanteile bekommt, ist gerade im Gespräch.

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3 Kommentare

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  • Eine beachtliche Leistung der Schulleiterin.

    Ich würde mein Kind ungeachtet dessen dort nicht einschulen, den es fehlt jede Angabe darüber, ob das Lehrprogramm auch geschafft wird oder nicht. Was bringt es meinem Kind, wenn es mit Kindern anderer Nationalitäten zur Schule geht oder "Frieden auf dem Pausenhof herrscht", ihm jedoch in der weiteren Ausbildung wesentliche Elemente fehlen, weil die Grundschule keine Zeit für Lehrinhalte gefunden hat?

    • @DiMa:

      tja, ich, ich, ich- und mein kind.



      diese haltung hochgerechnet auf die gesellschaft bedeutet dann:



      alle hinzugezogenen können gerne in extra-schulen gehen + dort unter sich bleiben.



      herangezogen wird dann ein neues/altes prekariat, das zu klagen führt wie:



      der deutschen wirtschaft fehlen die fachkräfte, haupt-+ realschulabgängerInnen schaffen zu 1/3 die ausbildung nicht; es fehlen sonstige gut ausgebildete fachkräfte.



      andere länder schultern diese probleme besser.



      wie stehts bei uns mit der lernmittelfreiheit? wozu braucht es diesen bürokratischen aufwand bei der beantragung von allem möglichen:

      antwort: damit möglichst wenige die leistungen in anspruch nehmen.

      viel xenophobie steckt auch dahinter.



      schließlich wählen noch viel zu viele die rechtsradikale afd.

      im übrigen leisten deutsche, meist besser gestellt eltern, immer noch sehr viel darin, die defizite ihrer kinder in der schule durch arbeit mit ihren kindern zu hause auszugleichen - egal, wieviel nationen in ihren klassen vertreten sind.

      das schulsystem krankt. pisa sagt das immer wieder - nur mit andern worten.

      • @Brot&Rosen:

        "tja, ich, ich, ich- und mein kind."

        "ich, ich, ich" lassen wir mal weg, nur wenn Sie mir einen Vorwurf daraus machen wollen, dass ich die aus meiner Sicht bestmögliche Bildung meiner Kinder erreichen möchte, dann nehme ich diesen "Vorwurf" gerne an. Und natürlich lerne ich mit meinen Kindern zu Hause und kenne den aktuellen Schulstoff. Das halte ich für eine Selbstverständlichkeit. Das bringt nur recht wenig, wenn die Schule insgesamt hinterher ist und den Lehrplan nicht einhält. Spätestens bei den nächsten Ausbilungsschritten kann das nicht mehr eingeholt werden.

        Wie das jetzt mit Hinzugezogenen im Ergebnis funktionert oder auch nicht ist für mich dagegen vollkommen nachrangig. Ich lehne den Zuzug in der momentaten Form ab, da ich nicht sehe, dass die Verwaltung (u.a. Bildung, Wohnung, Krankenhäuser, Infrastruktur, u.s.w.) dem gewachsen ist. Ich werde meine Kinder vor den sich daraus ergebenen Defiziten in größtmöglicher Weise schützen.

        Das können Andere gerne anders handhaben.