piwik no script img

Päckchen-Chaos in Kreuzberg„Post ist eine Lotterie geworden“

In SO36 verschwinden massenhaft Pakete, sagt Taina Gärtner. Die Kreuzberger Grüne fordert, das Bezirksamt soll Gespräche mit DHL führen.

Ja, wo isses denn? Viele BerlinerInnen müssen ihre Päckchen bei den Spätis suchen gehen Foto: dpa
Interview von Susanne Memarnia

taz: Frau Gärtner, Sie bringen heute am Mittwoch in die BVV Friedrichshain-Kreuzberg einen Antrag ein mit der Forderung, dass das Bezirksamt mit der Post Gespräche führen soll wegen der Zustellung in SO 36. Was ist da bei Ihnen los?

Taina Gärtner: Im letzten Jahr sind im ehemaligen Postzustellbereich 36 beide Postfilialen – in der Ritterstraße und in der Skalitzerstraße – geschlossen worden. Und ich bin der Meinung, wenn die DHL schon meint, ihre Liegenschaften privatisieren zu müssen, hat sie dafür zu sorgen, dass die Menschen im Bezirk korrekte Ersatzstrukturen zu bekommen.

Es gibt gar keine Postfiliale mehr in Kreuzberg 36?

Nein, keine richtige. Es gibt nur noch die Spätis, die DHL-Shop heißen, und einen in der Wrangelstraße, der jetzt offiziell „Postfiliale“ heißt. Seitdem herrscht das Chaos! Ich habe von jemandem gehört, der musste in Hohenschönhausen ein 30 Kilogramm schweres Paket abholen, andere werden nach Mitte geschickt. Aber vielleicht kriegen die wenigstens ihre Päckchen. Denn die „Postfiliale“ in der Wrangelstraße ist offenbar total überfordert: Pakete bleiben unauffindbar, Menschen müssen bis zu eineinhalb Stunden in der Schlange draußen in der Kälte stehen.

Die Leute stehen vor einem Späti an, um ein Paket abholen zu können?

Die Schlange ist manchmal so lang, dass man den Friseur nebenan gar nicht mehr sieht! Das ist halt nur ein kleiner Spätkauf mit einem entsprechend kleinen Lager. Was man da in der Schlange zu hören bekommt: Leute stehen teilweise stundenlang an, nur um dann gesagt zu bekommen, das Päckchen sei nicht da, man soll morgen wieder kommen. Aber am nächsten Tag heißt es das gleiche. Warum jetzt der ganze Wrangelkiez zu diesem Späti am Schlesischen Tor geschickt wird, erschließt sich niemandem. Und seit das so läuft, ist allen aufgefallen, dass nichts mehr funktioniert wie vorher.

Nämlich?

Es wird nicht mehr geklingelt oder beim Nachbarn oder beim Späti um die Ecke abgegeben. Da hatten sich ja teilweise Zustelllösungen etabliert. Jetzt hat man einen Abholschein im Briefkasten, wo dieser Späti Wrangelstraße draufsteht – aber das Paket ist da nicht. Und wenn man die Hotline anruft, wird einem auch nicht geholfen, selbst wenn man einen Nachforschungsantrag stellt.

Susanne Memarnia
Im Interview: Taina Gärtner

ist seit 2006 Bezirksverordnete für die Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg. Die gelernte Einzelhandelskauffrau engagiert sich vor allem für die Geflüchteten vom Oranienplatz und andere Menschen ohne Lobby, sowie gegen Verdrängung und hohe Mieten. Im Bezirk arbeitet sie im Jugendhilfeausschuss, dem Ausschuss für Migration, Teilhabe und Chancengleichheit sowie im BVV Vorstand.

Ob sich daran was ändert durch Ihren Antrag?

Meine Hoffnung ist, dass wenn ein Stadtrat Gespräche mit der Post aufnimmt, eine Antwort kommen muss. Wir müssen die irgendwie festnageln. Zumal ich im Zuge meiner Recherche für den Antrag festgestellt habe, dass das gar kein SO36-spezifisches Problem ist. In Zehlendorf gibt es auch einen Kiez, wo es gar keine Post mehr gibt, da haben die Paketzusteller zum Beispiel Kindersecondhandläden die Bude eingerannt und wollten bei ihnen die Pakete abgeben. Und in Prenzlauer Berg soll es auch eine Ecke geben, wo Leute mindestens 40 Minuten am Kiosk für ein Paket anstehen müssen.

Also eigentlich ist das kein Thema für die BVV.

Nein, eigentlich sollte sich jemand vom Senat darum kümmern. Offenbar verkauft die Post überall in Berlin ihre Liegenschaften und versucht, diese vormalige Staatsaufgabe auf ungeeignete Läden und ungeschultes Personal abzuwälzen. Manchmal wissen die Mitarbeiter ja nicht einmal, was ein Einschreiben ist! Und behindertengerecht sind die Spätis oft auch nicht, haben hohe Stufen, keine Rampe oder zu enge Türen. Und das schlimmste: dieses System befördert offenbar Diebstahl.

Wie meinen Sie das?

Bei uns im Kiez kommen auffällig oft Sachen weg, die Wert haben. In meiner Nachbarschaft ist zum Beispiel ein kleines Büro, die bekommen größere Mengen Briefmarken immer mit der Post geschickt. Offenbar sind das Sendungen, die jeder erkennt, der etwas von der Branche versteht. Und in letzter Zeit kommt nur noch jede dritte Sendung an! Andere berichten, etwa bei Facebook, von angeblich verschwundenen Paketen, die wieder auftauchen, aber geöffnet worden waren. So als ob jemand gucken wollte, ob was wertvolles drin ist – und als das nicht der Fall war, das Paket dann doch zugestellt wurde. Ich habe auch gehört, dass bestimmte Paketfahrer bei Spätis Hausverbot haben, weil diese ihnen misstrauen. Aber wie sollen wir dann an unsere Pakete kommen?

Vielleicht liegt es auch daran, dass die Zusteller so schlecht bezahlt werden?

Ja, bestimmt. Und sie wechseln häufig und kennen sich in ihrem Kiez gar nicht mehr aus. Alles in allem ist das ist kein Service mehr, wie man ihn von der Post erwarten darf: mit Räumlichkeiten, wo alle Wartenden Platz finden, sich ältere Herrschaften auch mal setzen können, wenn es dauert – und man kompetent beraten und bedient wird. Nicht umsonst waren Postler früher ja sogar Beamte! Heute ist das zu einem richtigen Lotteriespiel geworden.

Termin: Öffentliche Sitzung der BVV Friedrichshain-Kreuzberg, Mittwoch, 29.01. 2020, 18 Uhr, Rathaus Kreuzberg, BVV-Saal, Yorckstr. 4-11, 10965 Berlin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • In Neukölln sind mir auch schon mehrere Pakete abhandengekommen. Geht ich dann zu Postfiliale in den Neuköllner Arcarden um einen Nachforschungsantrag zu stellen, gibt es dort nicht mal ein Formular dafür. Es ist erbärmlich. Man wird auf einen Dschungel Webseiten hingewiesen ohne den Antrag stellen zu können.

  • Ist mittlerweile hier in der tiefsten nordbayerischen Provinz ebenso: Stammzusteller sind versetzt worden, es sind dauernd irgend welche neuen Zusteller unterwegs. Diese sind teilweise völlig planlos, man könnte meinen, einige wäre Analphabeten, manche vergreifen sich Ton den Kunden gegenüber und selbst einen offensichtlichen Alkoholiker, die eindeutig betrunken Postauto fährt, habe ich schon erlebt.



    Dasselbe Drama, wie bei der Bahn...