PUTIN WILL TSCHETSCHENIEN MIT EINER ZWANGSVERWALTUNG BEGLÜCKEN: Gnadenloser Zynismus
Die russischen Truppen haben den Krieg in Tschetschenien schon längst gewonnen. Nur hat das außer Interimspräsident Wladimir Putin und einiger chronisch siegesgewiss krakeelender Generäle bisher in Russland offenbar noch keiner gemerkt. Damit sich das ändert, hat der Präsident jetzt eine Idee für eine Nachkriegsordnung ins Spiel gebracht. Die aufmüpfige Kaukasusrepublik soll einer Direktverwaltung des Kreml unterstellt werden, lautet der Vorschlag. Das heißt nichts anderes, als dass der Ex-KGBler auch künftig seine Hand schützend über Tschetschenien zu halten gedenkt. Denn das Rennen um das höchste Amt im russischen Staat ist, zwei Wochen vor dem eigentlichen Termin, ohnehin schon gelaufen.
Gemäß Putinscher Logik macht dieser Vorstoß in zweifacher Hinsicht Sinn: So fußt die Popularität des Ex-KGBlers in nicht unerheblichem Maße auf den Leichenbergen und Ruinen in Grosny und Umgebung. Das legt verständlicherweise eine Nachbetreuung nahe. Überdies beschert das Modell dem Moskauer Machtzentrum zwar auch künftig mitnichten eine vollständige Kontrolle über Tschetschenien, sichert aber zumindest lukrative Nebeneinkünfte aus Entführungen und Geiselnahmen im Kaukasus.
Jedoch schon die Begründung für diesen Schritt und die Rhetorik, in die sie verpackt ist, geben bereits einen Vorgeschmack auf das, was unter der neuen Ägide zu erwarten ist. So gilt nach wie vor als oberste Maxime, die tschetschenischen „Banditen und Terroristen“ auszuräuchern und zu vernichten“. Was dieser Kampf in der Praxis bedeutet, zeigen die Schicksale tausender Tschetschenen, die täglich vertrieben und in so genannten Filtrationslagern Opfer von Folter, Misshandlungen und Vergewaltigungen werden.
Auch die Ankündigung, die Wirtschaft wieder aufzubauen, ist blanker Zynismus. Jeder weiß, und am allerbesten die Tschetschenen selbst, dass die Wiederaufbauhilfen, die Moskau nach dem ersten Krieg fest zugesagt hatte, in Tschetschenien niemals angekommen sind. Doch vielleicht kann Moskau das Problem diesmal kostengünstiger lösen und die komplett zerbombten Ortschaften einfach einebnen. Pläne dafür gibt es ja bereits.
Ginge es nach Putin, soll der tschetschenischen Elite gezeigt werden, dass es sich lohnt, in Russland zu leben. Alles eine Frage der Auslegung. Denn sollte das bedeuten, dass Russland die Tschetschenen nach all den Gräueln künftig wenigstens in Frieden leben ließe, wäre man sogar geneigt, dem Staatschef zuzustimmen. Doch leider ist nicht einmal das garantiert. BARBARA OERTEL
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