PEN Berlin: Ein Zwischenruf
Die Arbeit für einen Verein, der verfolgten Autor:innen hilft, ist mühsam. Doch die öffentliche Selbstzerfleischung zerstört, wofür wir stehen.
M an muss wohl dabei gewesen sein, um zu wissen, was es heißt, einen Verein zu leiten – einen Verein, der von Autor:innen im Handstand-Überschlag-Verfahren gegründet wurde, die so was vorher noch nie gemacht haben, die zum größten Teil freischaffend gegen ihren Bankrott anschreiben und teilweise Kinder zu versorgen haben, teilweise alleinerziehend.
Die diesen Laden gegründet haben, weil sie an einem Frühsommerabend in Thüringen zu dem Schluss kamen, das muss jetzt mal jemand machen, und dieses „jemand“ eben nicht von sich geschoben, sondern Verantwortung übernommen haben.
Zum „Verein Leiten“ gehört es, Satzungen und Pressemitteilungen zu schreiben (auch mal auf dem Kant(!)stein sitzend, in ein Mobiltelefon tippend), Vollversammlungen auf die Beine zu stellen, Veranstaltungsreihen und Kongresse, Mitgliedsbeiträge einzutreiben, und, und, und – das Allermeiste davon mit tausend Fallstricken, damit die Gemeinnützigkeit nicht verloren geht. Diese Arbeit findet ehrenamtlich statt, im Kreise von Mitgliedern, deren Kernkompetenz es ist, dass jedes verdammte Wort zählt, und zwar vor allem ihr eigenes, man könnte also auch sagen: in einem irre feinfühligen Haifischbecken.
Wir tun das nicht für die Mitglieder, denn dann wären wir eine Interessenvertretung. Wir tun das für unsere Kolleg:innen, die in ihren Heimatländern Repressionen ausgesetzt sind, für ihr Schreiben in den Knast oder in die Todeszelle gehen. Dafür opfern wir unsere Zeit, unser Einkommen, unseren Schlaf, unsere Gesundheit. Ich habe das zweieinhalb Jahre mit Freude getan und nicht eine Sekunde bereut. Ich habe auch viel gelernt. Zum Beispiel Fundraising: „Hallo, wir kennen uns nicht und ich weiß, es ist schon spät, aber Hand aufs Knie, wie viel wollen Sie spenden?“
Ich habe Geduld gelernt, Mitgliederbriefe geschrieben, um wichtige Sachen anzukündigen, und wenn wir dann kurz vor etwas Großem von Mitgliedern gefragt wurden, worum genau es nochmal geht, wo das stattfindet und wann, ob es eigentlich von uns gecharterte Busse geben wird, um die Mitglieder dahin zu fahren, und dass sie leider keine Zeit haben, all unsere E-Mails zu lesen, musste ich dann doch tief ein- und ausatmen, um nicht zu fragen, wer gern mal ein einwöchiges Praktikum in meinem Leben machen möchte.
Ich habe auch gelernt, dass ich Statements und offene Briefe, gerade von Prominenten, überflüssig finde. Ganz ehrlich, Leute – ob ihr mit Getöse Elon Musks X verlasst (aber der Gemütlichkeit halber auf Mark Zuckerbergs Insta bleibt) oder ob in China der berühmte Sack Reis …? Wem helft ihr damit, außer euch selbst?
Was ich ausgesprochen gern gelernt habe, ist Kneipenschlägerei unter Freund:innen. Denn so eine DIY-Organisation ist eine Zeitverdichtungsmaschine, da müssen Entscheidungen innerhalb von Minuten getroffen werden, auch mal morgens um halb sechs, und da geht es um wichtige Dinge, um Aus- und Einreise und Grenzkontrollen, um Visum oder Knast.
Da kann man schon mal die Nerven verlieren und sich im Gerangel eine blutige Nase holen. Aber nach der Schlägerei reichte die Zeit immer für „danke, bitte, Entschuldigung, hier hast du noch einen Witz, du mich auch“.
Austreten, wenn die Welt brennt…
Diese Art zu arbeiten wurde gerade als „Machtapparat“ mit „Selbsterhaltungslogik“ bezeichnet, gestützt von einer „Kamarilla aus Vertrauensleuten“.
Nee, komm – Macht haben üblicherweise nicht die, die sich nächtelang Beine ausreißen, um etwas möglich zu machen. Und ja: Es wäre schön, wenn der Vorstand eines jungen Vereins darauf achtet, dass der Verein überlebt, gerade wenn das Leben von Menschen daran hängt. Sich dabei gegenseitig zu vertrauen, ist unter elf Boardmitgliedern schwer genug, ich bin glücklich, dass wir das meistens hingekriegt haben.
Am 8. Dezember verabschiedete der PEN Berlin nach stundenlanger Debatte eine Resolution, seitdem kommt die Schriftstellervereinigung nicht zur Ruhe. Die mit einer Stimme Mehrheit angenommene Resolution bemüht sich, den journalistischen Opfern auf palästinensischer Seite gerecht zu werden, ohne die Rolle der Hamas in dem Konflikt zu verschweigen. Es folgten offene Briefe und öffentliche Austritte. Der Kompromiss zwischen einem noch israelkritischeren und einem Israel wohler gesinnten Antrag geht der einen Seite zu weit, der anderen nicht weit genug.
Muss man das wirklich beschädigen? Wozu? Auf die Frage „Was hast du getan, als die Welt brannte?“ mit „Ich bin sehr laut aus einem Verein ausgetreten!“ zu antworten, finde ich nicht zufriedenstellend.
Zufriedenstellend ist, nachts um zwei mit einer Kollegin unterwegs zu sein, die, wäre sie nicht mit ihren beiden Söhnen in Berlin, für acht Jahre in einem Gefängnis sitzen würde. Tut sie aber nicht. Sie ist hier, sie hat eine Wohnung, sie ist vor kurzem in die Künstlersozialkasse aufgenommen worden und damit ins deutsche Gesundheitssystem (was wichtig ist, wenn man Fluchterfahrung hat und die Mächtigen nicht zimperlich waren), und sie kann in einer schäbigen Hamburger Kneipe rauchend und Bier trinkend auf einer Bank stehen und singen, wenn sie Bock drauf hat.
Das, und nur das, wird beschädigt, wenn sich etwa wegen Resolutionen die Köpfe eingeschlagen werden, wegen „geistiger und moralischer Hygiene“ – nochmal: Nee, komm.
Mein Sohn ist Kampfsportler, er steigt jeden Abend in einen Ring, die härteste Trainingseinheit ist Kraftausdauer plus Sparring, was mich immer ein bisschen an meine Arbeit für PEN Berlin erinnert. Als er heute Morgen um kurz vor sieben ins Bad humpelte, sagte er: „Hätte mein Körper Gefühle, hätte er einen Nervenzusammenbruch.“
Ich dachte, ja genau, ersetze „Körper“ durch „Verein“.
Simone Buchholz ist Schriftstellerin und war von Juni 2022 bis November 2024 im Board von PEN Berlin.
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