doppelblind
: Wenn der warme Ozean den Doomsday-Gletscher leckt

Worum geht’s?

Der in den 1960er Jahren nach Fredrik T. Thwaites, einem US-amerikanischen Glaziologen, benannte Gletscher trägt einen gespenstischen Spitznamen: „Doomsday- Gletscher“, übersetzt so viel wie Weltuntergangsgletscher, oder auch „Gletscher des Jüngsten Gerichts“. Denn diese gigantische Eismasse am Südpol in der Westantarktis ist wie ein Korken, der den Inhalt einer Flasche – hier die unterirdischen Wassermassen – bändigt. Einen Inhalt also, der besser bleibt, wo er gerade ist.

Der Thwaites ist flächenmäßig größer als England, Wales und Nordirland zusammen, seine Gletscherzunge ragt 160 Kilometer lang und gut 30 Kilometer breit ins Meer. Dabei ist dieser „Korken“ nur ein kleiner Gletscher – im „Bauch“ der Flasche dahinter befindet sich das wesentlich größere westantarktische Eisschild. Sollte der „Korken“ schmelzen, wird der Meeresspiegel um mindestens 60 Zentimeter zusätzlich steigen. Aber das ist nur der kleine Teil des Problems: Ist der „Korken“ einmal ganz weg, werden die Eismassen des Eisschildes unweigerlich ins Meer driften, auftauen und den Meeresspiegel um weitere 3 bis 10 Meter ansteigen lassen.

Dass der Weltuntergangsgletscher bereits schmilzt, haben Forschende schon vor 16 Jahren festgestellt. Der Thwaites-Spezialist Sridhar Anandakrishnan schrieb nach seiner Expedition 2008: „Der Thwaites beginnt zu platzen.“ Das Deutsche Alfred-Wegener-Institut, das den Untergrund des Gletschers untersuchte, fand zudem heraus, dass der Thwaites – anders als der Grönländische Eisschild am Nordpol – nicht von oben taut, sondern von unten. Nicht warme Luft setzt dem Gletscher zu, sondern durch den menschgemachten Treibhauseffekt immer wärmer werdendes Ozeanwasser.

Die Studie

Das bleibt nicht ohne Folgen. Wissenschaftler der University of California haben nun durch hochauflösende Satellitendaten nachgewiesen, dass warmes Ozeanwasser bereits tief in den Thwaites-Gletscher eindringt. Dieser Energieeintrag „von unten“ führe zu einem „kräftigen Schmelzen“. Der Korken drohe zu „explodieren“. Die Forscher schreiben im Fachjournal PNAS, die Situation sei wesentlich besorgniserregender „als bisher angenommen“.

Was bringt’s?

Die Forschungsgruppe führt uns einmal mehr vor Augen, wie schlecht es um die Menschheit bestellt ist. Denn auf die Schmelze folgt ein Platzproblem. Etwa 17 Prozent der Menschheit lebt in Gebieten, die weniger als 1 Meter über dem Meeresspiegel liegen. Zwar wird der in den kommenden 70 Jahren nicht gleich um 7 Meter ansteigen, Eisschmelze ist schließlich ein träger Prozess. Klar ist aber, dass ohne den „Korken Thwaites“ (und die anderen Kipp­ele­mente wie das Grönlandeis) 7 Meter Ozeananstieg unausweichlich sind. Nicht nur Städte sind betroffen sondern ganze Landstriche, wie das Mekongdelta, die Sundarbans in Indien und Bangladesch oder die Everglades in den USA.

Neue wissenschaftliche Studien stellen wir jede Woche an dieser Stelle vor – und erklären, welchen Fortschritt sie bringen. Sie wollen die Studie finden? Jede hat einen Code, hier lautet er: doi.org/10. 1073/pnas.2404 766121

Nick Reimer