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OstdeutschlandEs ist nicht alles schlecht

Gastkommentar von

Thorsten Holzhauser

Leuchtturmprojekte im Osten sind fragwürdig? Ganz falsch ist das nicht. Aber längst existieren vielversprechende Ansätze in kleinen Orten.

Mit Beleuchtung: eine Bushaltestelle in Brandenburg Foto: Felix Zahn/photothek/imago

E s mangele nicht mehr an sogenannten Leuchtturmprojekten; der ganze Osten sei inzwischen übersät von Initiativen, und mit dem geplanten „Zukunftszentrum Deutsche Einheit und Europäische Transformation“ in Halle (Saale) steht das nächste Großprojekt bereits vor der Tür. Nur was das alles gegen die Erfolge rechtsextremer Kräfte in Ostdeutschland bringe, sei fraglich. Mit dieser pointierten These hat der Historiker Marcus Böick jüngst in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung versucht, kurz vor dem 35. Jahrestag der Wiedervereinigung die Diskussion über die Ost-West-Beziehungen und den Zustand der ostdeutschen Gesellschaft zu beleben.

Der Transformationshistoriker Böick, der mit seiner viel beachteten Studie zur Treuhandanstalt bekannt wurde, hinterfragt nicht nur die aktuelle Forschungslandschaft zur postsozialistischen Transformation der früheren DDR. Er problematisiert auch den Nutzen großer Leuchtturmprojekte. Sein Fazit: „Ein kontroverser, riskanter Diskussionsabend in einer verkehrstechnisch abgelegenen Kleinstadt kann größeren ‚Impact‘ erzeugen als die nächste Reihenveranstaltung in einer Universitätsstadt […]. Am Ende wird es ein dauerhaftes und dezentrales Engagement in der Fläche und im Digitalen jenseits der politischen wie akademischen Komfortzonen sein, mit dem sich vielleicht einige kleine Siege erringen lassen.“

In vielem muss man Marcus Böick zustimmen. Er hat damit Recht, dass zunehmende Skepsis gegenüber der liberalen Demokratie, Institutionenmisstrauen und ein entsprechend radikales Wahlverhalten keine ostdeutschen Besonderheiten sind. Vielmehr sehen wir globale Tendenzen, die offensichtlich mit Gründen zu tun haben, die nicht spezifisch ostdeutsch sind, sondern tiefer liegen. Und genauso richtig ist seine Mahnung, dass sich Aktivitäten gegen antidemokratisches Denken und Resignation nicht auf wenige Zentren beschränken dürfen, sondern in der Fläche und im Alltag ansetzen müssen.

Bild: Andrea Schombara
Thorsten Holzhauser

ist Historiker und Geschäftsführer der parteiunabhängigen Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus in Stuttgart. Jüngste Veröffentlichungen: „Demokratie, Nation, Belastung. Kollaboration und NS-Belastung als Nachkriegsdiskurs in Frankreich, Österreich und Westdeutschland“ (2022) und „Die ‚Nachfolgepartei‘. Die Integration der PDS in das politische System der Bundesrepublik Deutschland 1990–2005“ (2019).

Nur – die Beispiele, die Marcus Böick fordert, gibt es bereits. Forschungsrichtungen, die sich mit der Gestaltung der Transformation beschäftigen, haben längst die Notwendigkeit hervorgehoben, gegen Enttäuschung und Institutionenmisstrauen Momente des aktiven Gestaltens und Erfahrungen der Selbstwirksamkeit zu stellen und im Kampf gegen die zunehmende Sprachlosigkeit Gelegenheiten des Austauschs zu schaffen – gerade im ländlichen Raum, wo die Wege weit sind.

Kein Laden, keine Kneipe und kein ÖPNV

Die Robert-Bosch-Stiftung etwa hat das schon vor Jahren erkannt und mit den „Neulandgewinnern“ ein Programm ins Leben gerufen, das heute vom Thünen-Institut für Regionalentwicklung und dem Verein Neuland gewinnen e. V. getragen wird. In die gleiche Richtung geht das Programm „Neulandsucher Ost/West“, das Neuland gewinnen seit zwei Jahren zusammen mit der Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus durchführt – um nur zwei Netzwerke zu nennen, die den Bogen zwischen wissenschaftlicher Fundierung und gesellschaftlichem Engagement schlagen.

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Statt sich auf klassische politische Aufklärungsarbeit zu verlassen, setzen sie bei den tiefer liegenden Problemen an, die für den Rechtsextremismus zumindest als Katalysator wirken. Dass die AfD dort erfolgreich ist, wo es an Infrastruktur fehlt, ist längst bekannt: kein Laden im Dorf, keine Kneipe und kein ÖPNV, der die Menschen zusammenbringt. Hier braucht es private Initiativen wie den Umsonstladen im Landkreis Zwickau, der angesichts des Leerstands in der Innenstadt Abhilfe schaffen will, oder die „fahrende Bibliothek“ im thüringischen Mötzelbach – beides Projekte aus dem Neulandsucher-Programm.

Wer keine antidemokratische Zivilgesellschaft will, braucht eine demokratische und muss diese aktiv stärken

Aber nicht nur die mangelnde Infrastruktur ist ein Problem, sondern ein gesellschaftliches Klima, das zunehmend durch Vorurteile und Identitätskämpfe geprägt ist. Die Macherinnen des Ost-West-Salons im brandenburgischen Oder-Spree-Kreis wollen es anders machen: Um Zugezogene und Pendler nach Berlin mit den Einheimischen ins Gespräch zu bringen, sollen Gelegenheiten geschaffen werden: Bei Kaffee und Kuchen und mitgebrachten Speisen aus allen möglichen Herkunftsregionen wird miteinander geredet statt übereinander.

Die Erfahrungen im Transformationsalltag, von der Wissenschaft erst allmählich als Thema entdeckt, werden so Teil der „Oral History“, und mit ihnen werden Identitäten verhandelt und in ihrer Vielfalt sichtbar. Das wendet sich auch gegen zunehmende Versuche, eine aggressive Ost-Identität zu propagieren, die bewusst autoritär, antiliberal und antiwestlich überformt wird.

Die kleineren und größeren Leucht- und Lagerfeuer

Aber auch im Westen gibt es diese Projekte, die in der Gesellschaft ansetzen und die neuen Gräben in ihr überwinden wollen: etwa den queeren Jugendtreff im tiefsten Schwarzwald, der zum Netzwerk der Neulandsucher und Neulandgewinner gehört. Er will nicht nur Gelegenheiten zum Austausch für queere Menschen schaffen, sondern auch Infos in die Schulklassen auf dem Land bringen. In Zeiten zunehmender Queerfeindlichkeit ist diese zivilgesellschaftliche Offenheit umso wichtiger.

All diese Macherinnen und Macher betreiben keine Transformationsforschung, die an den Interessen und Bedürfnissen der Menschen vorbeigeht. Vielmehr wird an die Ergebnisse der Wissenschaft angeknüpft. So wird die Posttransformationsgesellschaft gestaltet, die aus den Verwandlungen der vergangenen Jahrzehnte hervorgegangen ist. Das sind die „kleineren und größeren Leucht- und Lagerfeuer“, die Marcus Böick anstelle – oder als Ergänzung – der großen Leuchtturmprojekte fordert.

Nur braucht es von diesen viel mehr, denn die größten Gefahren für die Demokratie lauern dort, wo Rechtsextreme das gesellschaftliche Leben und den vorpolitischen Raum kolonisieren, und wo ihr Denken mehr und mehr zur Norm wird. Wer keine antidemokratische Zivilgesellschaft will, braucht eine demokratische – und muss diese aktiv stärken.

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