Ost-West-Konflikt in der Stasi-Kneipe: Schon wieder ein Wessi

Mit der Stasi-Kneipe "Zur Firma" in Lichtenberg wollten Wilfried Gau und sein Kompagnon Wolfgang Schmelz nochmal durchstarten. Dann aber hat der Wessi Schmelz den Ossi Gau an die Luft gesetzt.

Jetzt hat Wilfried Gau auch seine zweite Kneipe verloren. Endgültig. An einen Wessi. Schon wieder. Er hat gekämpft. Er hatte auch damals gekämpft, bis er nicht mehr konnte. Es hat nichts gebracht. Wieder nicht.

Nur eine Woche lang lief im Sommer alles so, wie Gau sich das vorgestellt hatte. Als "Führungsoffizier" stand er hinter der Theke des neuen Stasi-Restaurants "Zur Firma". Sein Kompagnon, der "IM Küchenchef", machte nebenan die Soljanka warm. Um den Tresen drängten sich Journalisten. Gau sagte immer wieder, dass das kein Scherz sei, sondern Satire. "Kommen Sie zu uns - sonst kommen wir zu Ihnen" stand über dem Eingang. Ein DDR-Witz über das Ministerium für Staatssicherheit.

Am Türrahmen hing eine zerschredderte Täterakte in einer Plastiktüte. Es waren Leute aus dem Kiez da, aus der Gegend um die Normannenstraße in Lichtenberg, wo die Stasi ihr Hauptquartier hatte und wo sich nun nicht nur eine Gedenkstätte, sondern auch Gaus Kneipe befand. Manche murmelten, dass im Osten nicht alles schlecht gewesen sei. Der Wirt habe schon recht, fanden sie, man müsse langsam aufhören, sich nur mit dem Schlechten zu befassen.

In der "Firma" sollte es gute ostdeutsche Gerichte geben. Gau, gerade 60 geworden, ein dicker Schnauzer im schmalen Gesicht, wollte zeigen, dass auch beim Umgang mit der Stasi ein wenig Distanz nicht schadet, fast 20 Jahre nach dem Mauerfall. Die Leiterin der Birthler-Behörde und Gedenkaktivisten schrien entsetzt auf: Eine Verhöhnung der Opfer sei diese Kneipe. Wenn die Journalisten Gau nach seinem eigenen Verhältnis zum Ostgeheimdienst fragten, gab er das meiste zu. Sein Partner "Wolle", den er da noch für einen Kumpel hielt, war sowieso ziemlich unverdächtig. Ein Wessi eben.

Ein Wessi, wie er im Bilderbuche stehe, sei dieser "Herr Schmelz", sagt Wilfried Gau. Er zieht einen Zettel aus seiner schwarzen Aktenmappe, die er vor sich auf die rosa Decke in einem Ostberliner China-Restaurant gelegt hat. Der Entwurf für eine Presseerklärung, handschriftlich: "Wessi zieht Ossi über den Tisch". Gau sitzt in dem China-Restaurant, weil ihn Schmelz, der ehemalige Kompagnon, aus der gemeinsamen Kneipe geworfen hat. Gerade als alles anfing, ganz ordentlich zu laufen, als nach den Journalisten die Touristen kamen und Gau dachte, dass es sich doch gelohnt hat, den verdreckten Boden zu schrubben, den Stasi-Kitsch bei Ebay zu ersteigern und sich mehr als 10.000 Euro als Startkapital von einer 81 Jahre alten Freundin zu leihen, einer DDR-Schauspielerin, die Gau seine Pflegemutter nennt. Schmelz erteilte ihm Hausverbot und rief die Polizei, um es durchzusetzen.

Wolfgang Schmelz lehnt am Tresen seiner Kneipe und hört einem Gast zu, wie er einen Stasi-Witz erzählt: "Mein Mann ist bei der Stasi - Und verdient er da gut? - Weiß nicht, sie haben ihn gestern erst abgeholt." Schmelz lächelt. Ein kleiner Mann, 53 Jahre alt, dem das Leben das Gesicht zerknittert und die Hand versteift hat. Er kann deswegen nicht mehr auf dem Bau arbeiten, wie früher, als er, der Westarbeiter, in der DDR mitgeholfen hat, Hotels hochzuziehen. Auf seinen Arm ist ein bunter Hund tätowiert, der die Zähne fletscht. Am Boden, an der Küchentür, sitzt sein Boxer "Charly".

Es ist Samstagnachmittag, so langsam kommen die Gäste. Die zerschredderte Täterakte hängt immer noch überm Eingang. Es ist alles wie bei der Eröffnung, nur Wilfried Gau fehlt. "Herr Gau ist nicht mehr hier", sagt Wolfgang Schmelz. Es gebe dafür eine Menge Gründe. Streit über Bierpreise, Hygiene, die Rollenverteilung, "kreative Buchführung". Er wird nicht sehr konkret bei alledem, und es ist auch nicht ganz klar, was davon nun ein Hausverbot rechtfertigt. Aber dann scheint ihm etwas Plausibleres einzufallen: Willi Gau sei Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi gewesen. Schmelz weiß das schon viel länger. Aber jetzt, denkt er wohl, kann er ihn mit dem IM-Stempel draußen halten.

"Wessi zieht Ossi über den Tisch": Gau hat die Presseerklärung dann doch nicht abgeschickt. Es ist eine Überschrift, die auch über ein anderes Kapitel seines Lebens passen würde.

Noch vor der Wende habe er es geschafft, sagt Gau, zu einem der wenigen selbstständigen Wirte in der DDR zu werden. Sein Restaurant befand sich in Neubrandenburg, in dem Ort Burg Stargard. So etwas sei vom SED-Staat nicht gerade erwünscht gewesen, deshalb habe man ihn nur dürftig mit Essen und Getränken versorgt, weshalb er wiederum eine "Eingabe" gemacht habe, um sich zu beschweren. Verärgert, weil niemand darauf reagierte, sei er dann nicht wählen gegangen. Man warf ihn aus der SED. Als die Mauer fiel, habe er kein Parteibuch gehabt. "Ich war wie gemacht für die Wende", sagt Gau. Scheinbar unbelastet.

Er habe 500.000 Mark in sein Restaurant investiert, habe aus- und angebaut, alles auf Weststandard gebracht. Dann hätten 1993 die Erben der Alteigentümer vor der Tür gestanden. Wessis. Eine rechtliche Auseinandersetzung habe begonnen, an deren Ende er kein Restaurant mehr gehabt habe, aber einen Haufen Schulden.

An seiner anschließenden Privatinsolvenz, deren Restschuldverfahren bis heute andauert, liege es auch, dass Wolfgang Schmelz das Gewerbe "Zur Firma" angemeldet habe, nicht er. Vom Gewinn wären sonst seine alten Schulden bezahlt worden. Formell war der "Führungsoffizier" Gau in der Stasi-Kneipe nur Angestellter auf 400-Euro-Basis, Zuverdienst für einen Arbeitslosen.

Er habe lange gebraucht, bis er sich von dem Verlust der Neubrandenburger Kneipe erholt habe, erzählt Gau. Er ging nach Berlin, tingelte mit Ende 50 als Klinkenputzer für eine Baufirma über die Dörfer. Er sei deren bester Verkäufer gewesen, sagt er. "Verkaufen kann ich." Seine Worte reiht er präzise aneinander wie ein Archivar die Aktendeckel. Die Gesten dazu stimmen. Für einen Moment lief es wieder, dann machte die Firma pleite.

Er landete in einem Callcenter, wo er Lottoscheine verkaufen sollte. Im selben Raum wie er saß "Wolle" Schmelz. Sie waren die Ältesten. Wenn es am Telefon nicht lief, gingen Willi und Wolle ein Bier trinken. Irgendwann seien sie deswegen rausgeflogen, sagt Gau. Bier trinken sind sie ab und zu weiterhin gegangen. Dabei haben sie beschlossen, gemeinsam etwas aufzuziehen. Irgendwas. Sie wollten nicht mit Hartz IV in Rente gehen.

Es war Schmelz, der einige Monate nach dem Callcenter-Rauswurf die Kneipe angeboten bekam. Und es war Gau, dem bei der "Normannenstraße" sofort die Stasi-Zentrale einfiel. Das Konzept und der Name, "Zur Firma", waren seine Idee. Von der DDR hatte Schmelz ja keine Ahnung. Das sagt er selbst so. Er habe überhaupt von wenig eine Ahnung gehabt. Auch nicht vom Kochen, obwohl er das anfangs behauptete. Das sagt Gau. Was sie beide sagen: Der eine, Gau, hat sich extrem ins Zeug gelegt - geputzt, gewischt, gewütet. Der andere, Schmelz, ließ alles eher ruhig angehen. Da begannen die Reibereien, die mit dem Rauswurf Gaus endeten.

"Das ist unsere letzte Chance, wir haben keine andere mehr. Wir klotzen richtig ran und zeigen der Welt mal, was wir draufhaben", dachte Gau vor der Eröffnung. Er musste dann bald ganz anders ranklotzen, als er sich das vorgestellt hatte. Er hat nach dem Rauswurf versucht, sich den Namen "Zur Firma" patentieren zu lassen. Seine mütterliche Freundin wollte das Startkapital einklagen. Aber es hat nichts gebracht. Er ist wieder raus.

Nun haftet außerdem das IM-Label an ihm, das ihn öffentlich diskreditiert. Er hat nie wirklich ein Geheimnis daraus gemacht. "Ich stehe zu meiner Vergangenheit als Pionier, FDJler, Mitglied der SED und Informeller Mitarbeiter der Stasi, ohne mich verbiegen zu müssen", schrieb Wilfried Gau vor drei Jahren in einem öffentlichen Leserbrief. Er bereut nichts. "Ich habs aus Überzeugung gemacht, weil die Stasi nichts anderes war als der Geheimdienst der DDR", sagt er. "Der es übertrieben hat", fügt er sofort hinzu.

Gau war, bevor er selbstständig wurde, gastronomischer Leiter eines Hotels. Wenn wichtige Funktionäre kamen, saßen vorher Stasi-Offiziere in seinem Büro und haben sich erkundigt, welche Kellner für die Bewirtung infrage kamen. Er hat Auskunft darüber gegeben, für wie linientreu er sein Personal hielt. Auch über Privates, ob jemand fremd geht, "ob er Alkohol trinkt". Er wird energisch, wenn man das als "Ausforschen" bezeichnet. "Durch die Stasi hat es viel Elend gegeben", sagt Wilfried Gau. Aber er habe niemanden ans Messer geliefert. Wer anderen geschadet habe, müsse verurteilt werden, sagt Gau. Immer noch. Aber nicht jeder IM habe das getan. Er will, dass in einer öffentlichen Debatte differenziert wird, die bisher wenige Schattierungen kennt. Hier die Täter, da die Opfer. Die Kneipe habe einen Beitrag dazu leisten sollen, das zu ändern.

Und so wenig Wilfried Gau noch dafür verantwortlich ist - ein bisschen scheint sie es tatsächlich zu tun. Der Aktionskünstler Klaus Rudolf, der Ende der 80er in Leipzig eine dadaistische Kunstpartei gegründet hatte, veranstaltet seit einigen Wochen eine Reihe namens "Stasi Dada". Kürzlich hat er dabei zusammen mit dem Publikum eine Akte aus den Archiven der Staatssicherheit vertont. Danach, erzählt er, sind sich Opfer und Täter bei einigen Gläsern Pfefferminzlikör näher gekommen. Eine Atmosphäre sei das gewesen, "fast wie 89, als alle miteinander reden konnten." Nur Gau und Schmelz reden nicht mehr.

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