Oscarverleihung 2014: Mittel budgetiertes Qualitätskino
Das Nominierungsverfahren ist kompliziert. Aber die Liste am Ende hätte jeder halbwegs regelmäßige Kinogänger zusammenstellen können.
James Schamus ist ein intelligenter Mann. Der diesjährige Jurypräsident der Berlinale war unter anderem Geschäftsführer der renommierten Produktionsfirma Focus Features und lehrt an der Columbia University Filmtheorie. Dreimal wurde er für einen Oscar nominiert und seit zwanzig Jahren ist er Mitglied der Academy of the Motion Picture Arts and Sciences, die den begehrten Preis vergibt – doch selbst Schamus kann nicht erklären, wie die Nominierungsliste für die Academy Awards in der Königskategorie „Bester Film“ genau zustande kommt.
Als Gastkolumnist des Branchenblatts Variety sollte er genau diese Frage im Vorfeld der diesjährigen Oscarverleihung klären, doch trotz der Hilfe von drei Rechercheuren muss er am Ende eingestehen: „Es gibt immer noch Grauzonen, die ich nicht verstehe.“
Das von den Unternehmensberatern von PriceWaterhouseCoopers entwickelte Wahlverfahren beginnt dabei eigentlich ganz harmlos mit einer Liste von fünf Lieblingsfilmen des Jahres, die alle 6.028 Academy-Mitglieder auf einen Zettel schreiben. Dann allerdings werden die Stimmen in einem komplexen Verfahren über mehreren Runden gewichtet und umverteilt, sodass irgendwann selbst Wahlforscher kaum noch einen Überblick bewahren würden. Aber das Tolle ist: Am Ende steht auch dieses Jahr wieder eine Liste von Filmen, die so auch jeder halbwegs regelmäßige Kinogänger hätte zusammenstellen können.
Das Spektrum reicht von Alexander Paynes Schwarzweiß-Roadmovie „Nebraska“ bis hin zu Alfonso Cuarons 3-D-Science-Fiction „Gravity“, zwei Filme, die ästhetisch kaum weiter entfernt sein könnten – aber mit der gleichen Digitalkamera des Münchner Herstellers Arri gedreht wurden. Und das wäre auch schon der bedeutendste Beitrag Deutschlands zu den Academy Awards 2014, neben der Nominierung zweier Absolventen der Filmakademie Ludwigsburg, Max Lang und Jan Lachauer, für ihren animierten Kurzfilm „Für Hund und Katz ist auch noch Platz“.
Populäre Filme für die TV-Quote
„Gravity“ ist ein Glücksfall für die Academy, ein Genrefilm von einem anerkannten Autorenfilmer, der nicht nur überragende Kritiken bekommen hat, sondern mit einem Einspielergebnis von knapp 270 Millionen Dollar 2013 der sechsterfolgreichste Film an den US-Kinokassen war. Die Erfahrung hat schließlich gezeigt, dass nur die Nominierung von wirklich populären Filmen der dieses Jahr von Ellen DeGeneres moderierten Preisverleihung gute TV-Quoten bescheren kann – und damit hohe Werbeeinnahmen.
Deswegen wurde 2009 die Zahl der konkurrierenden Filme von fünf auf bis zu zehn erhöht, nachdem in den Jahren zuvor verhältnismäßig unbekannte Filme die Quoten in den Keller getrieben hatten. Ein erweitertes Nominierungsfeld sollte mehr Blockbustern eine (zumindest theoretische) Chance auf den Hauptpreis geben. So ganz ist die Rechnung allerdings nicht aufgegangen: „Gravity“ ist der erste Film aus der Einspiel-Top-Ten, der es seit 2010 wieder auf die Liste geschafft hat.
Deutlich mehr Chancen auf den Oscar für den besten Film werden allerdings Steve McQueens „12 Years a Slave“ eingeräumt, zum einen weil die Academy-Mitglieder mit der Auszeichnung des Sklaverei-Dramas zusätzlich ein politisches Statement abgeben können und zum anderen weil die größte Gruppe der Wahlberechtigten Schauspieler sind, die in erster Linie Filmen Preise verleihen, in denen Darsteller mehr zu tun haben als in einem Science-Fiction.
Erwartungsgemäß ist „12 Years a Slave“ auch in drei Schauspielkategorien nominiert, übertroffen wird er hier allerdings von David O. Russells Gaunerkomödie „American Hustle“, der seine Darsteller verdientermaßen in allen vier Kategorien unterbringen konnte – und das nach „Silver Linings Playbook“ schon im zweiten Jahr in Folge. Mit insgesamt zehn Nominierungen steht „American Hustle“ zusammen mit „Gravity“ an der Spitze, es folgt „12 Years a Slave“ mit neun Chancen auf Oscars.
Und die Verlierer sind ...
Ein paar Verlierer lassen sich auch schon vor der Preisverleihung am Sonntag ausmachen: allen voran Robert Redford. Für seine Tour-de-Force im Einpersonenstück „All Is Lost“ wurde er nicht einmal nominiert – ein Schicksal, das er mit Daniel Brühl teilt, der sich Hoffnungen für seine Nikki-Lauda-Darstellung in „Rush“ gemacht hatte. Der 77-Jährige Redford wartet damit immer noch auf seinen ersten Oscar als Schauspieler.
Zu den Verlierern wird auch mindestens einer der beiden Kameramänner Roger Deakins und Emmanuel Lubetzki gehören. Der zum zehnten Mal nominierte Deakins („Prisoners“) und der zum sechsten Mal nominierte Lubetzki („Gravity“) waren in der letzten Dekade ohne Frage die herausragenden Meister ihres Fachs, aber höchstens einer wird die Trophäe am Sonntag erstmals mit nach Hause nehmen.
Beim Blick auf die gesamte Liste der nominierten Filme fällt es schwer, in die Klage vieler Filmemacher, darunter Steven Soderbergh und Steven Spielberg, einzustimmen, die dem mittel budgetierten Qualitätskino aus Hollywood bereits den Totenschein ausgestellt haben. Die große Mehrzahl der elf Filme mit mindestens drei Nominierungen fallen dieses Jahr genau in diese Kategorie.
Einen entscheidenden Anteil daran hat wie schon im vergangenen Jahr eine junge Frau, deren Name in Deutschland nur wenigen etwas sagen dürfte: Megan Ellison. Die 28-jährige Tochter des milliardenschweren Software-Unternehmers Larry Ellison hat mit ihrer Produktionsfirma Annapurna Pictures gleich zwei Filme im Rennen um den besten Film: neben „American Hustle“ auch Spike Jonzes prophetisches Science-Fiction-Melodram „Her“. Das hat vor ihr noch keine Frau geschafft.
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