Ortstermin: Liebe im Weltraumbahnhof
Die Band Selig spielt ein Einweihungskonzert in Hamburgs neuer U-Bahn-Station.
Der Herr vom Hamburger Nahverkehrsunternehmen Hochbahn trägt eine Krawatte unter seinem Arbeitsanorak und als die rund 350 Fans der Band „Selig“ auf ihn zukommen, deutet er auf eine Messingleiste am Boden: „Bis dahin dürfen die Leute an die Bühne ran. Weiter nicht.“
Die Leute sind folgsam: Es entsteht ein zirka zweieinhalb Meter breiter Streifen zwischen den Fans und der Bühne, die an diesem späten Mittwochabend in der neuen U-Bahn-Station „Hafencity Universität“ aufgebaut ist. Gleich wird hier die Hamburger Band Selig auftreten und ein Einweihungskonzert spielen. Tagsüber wurde die neue Station vom Bürgermeister und geladenen Gästen feierlich eröffnet, und auch am Abend geht es exklusiv zu: Der Veranstalter des Konzerts, der Radiosender 917xfm, verloste die Eintrittskarten. Zu kaufen waren sie nicht.
Auf die Fans wirkt das Gefühl der Exklusivität stimulierend. Gemeinsam sind sie vom Jungfernstieg per U-Bahn direkt in die neue Station gefahren. Selig-Frontmann begrüßt sie: „Ihr seid alles Sieger!“ und fordert sie auf, näher an die Bühne ran zukommen. Der Herr von der Hochbahn hebt noch kurz die Hände, aber er hat keine Chance.
Es ist eine kleine Bühne mit einer kleinen Verstärkeranlage, die da inmitten der imposanten U-Bahn-Station steht. Bühnenscheinwerfer gibt es keine, dafür leuchten die Lampen an der Decke, die die Form und die Ausmaße von Containern haben. Links und rechts stehen U-Bahn-Züge. Die Luft ist kühl – und selbstverständlich rauchfrei.
„Abgefahrene Location“, sagt Selig-Sänger Jan Plewka. Die Band wirkt mit ihrem langhaarigen 70er-Jahre-Gitarrenrock in diesem klinisch reinen Weltraumbahnhof so, als habe sie sich im Jahrhundert geirrt. Also unternimmt Plewka einen Versuch, das fremde Terrain zu erobern: „Ich würde gerne eine spirituelle Sitzung mit Euch abhalten“, sagt er. Alle sollen sich hinsetzen, um gemeinsam und ohne Band den Refrain des neuen Liedes zu singen. Der lautet: „Love – Peace. Wenn Du Dich selbst nicht verändern kannst, veränder’ die Welt“.
Es ist der Höhepunkt des Abends: Die Wasserverkäufer schwingen ihre Viva-con-Agua-Fahnen, eine junge Frau bricht unvermittelt in Jubel aus und wie sich da zwischen den Designer-Kacheln der Geist von Woodstock regt, hätte man fast meinen können, dies ist der Beginn einer neuen Jugendbewegung der Ü-25-Lodenmantel-Generation.
Aber der Zauber hält nur einen Moment. Dann holen alle ihre Handys raus, um zu filmen, wie Plewka in ihrer Mitte auf dem Boden sitzt. Dem Geist von Woodstock tut das gar nicht gut. Aber Exklusivität schreit nun mal danach, dokumentiert zu werden. Plewka ficht das alles nicht an. Ihm ist spirituell zu Mute. „Dieser Bahnhof ist eingeweiht“, ruft er. „Morgen tritt er in Erfüllung!“
Das „Wir-sind-heute-schon-da“ und die ganzen Selig-Hits machen den Fans gute Laune. Textsicher sind sie und gar nicht grantig, dass es für sie nur Wasser zu trinken gibt. „Wir haben das Ding eingeweiht. Wir sind Geschichte“, sagt Plewka, und dann hat er zum Abschied noch eine wahrlich poetische Idee: „Ihr steigt jetzt alle in die Bahn ein, und wir spielen so lange, bis ihr weggefahren seid.“ Das mit dem Einsteigen klappt, das mit dem Spielen nicht. Aber immerhin. Der Exklusivität sei Dank.
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