Orientalistin über arabische Literatur: „Mehr als nur Liebesgeschichten“

Die Orientalistin Claudia Ott übersetzte die „Geschichten aus tausendundeiner Nacht“ neu. In Celle stellt sie jetzt „Das Buch der Liebe“ vor.

Gemälde von jungen arabischen Menschen

Ausschnitt aus „Tausendundeine Nacht“ von Gustave Boulanger aus dem Jahr 1873 Foto: WikimediaCommons

taz: Frau Ott, den Anfang von „Tausendundeine Nacht“ und „Das glückliche Ende“ haben sie bereits publiziert. Was steht nun im „Buch der Liebe“?

Claudia Ott: Das „Buch der Liebe“ beginnt mit dem unmittelbaren Anschluss an das abgebrochene Ende des ersten Buches „Wie alles begann“. Endlich erfahren wir aus den ältesten greifbaren Quellen, in welch abgründige Liebesgeschichte die Protagonisten rund um König Kamarassaman hineinschlittern. Danach folgen im Buch noch drei der großartigsten Liebesgeschichten aus den ältesten arabischen Quellen der Tausendundeinen Nacht.

Sind dann alle Geschichten aus Tausendundeine Nacht erzählt?

Nein. Es gibt noch viele Geschichten und es wird auch mehr Bände geben. Tausendundeine Nacht ist ein eigener Kosmos. Man kann das in einem Band gar nicht erfassen, und das ist auch gut so.

Sie übersetzen aus den ältesten Quellen. Übersetzen heißt auch neu interpretieren. Wie treffen Sie Ihre Auswahl?

Claudia Ott, 54, ist Orientalistin, Musikerin und Autorin und als Übersetzerin eine der wichtigsten Vermittlerinnen arabischer Kultur ins Deutsche. Starke Beachtung findet seit 2004 ihre Neuübersetzung von „1001 Nacht“ sowie die Erstübersetzung der Erzählungen aus „101 Nacht“.

Es gibt von dieser alten arabischen Originalfassung von Tausendundeine Nacht kein durchgängig überliefertes Exemplar mehr. Wir haben nur Fragmente und damit man überhaupt etwas lesen kann, muss man eine Auswahl treffen. Ich habe bewusst nach Handschriften gesucht, die vor der europäischen Phase der Überlieferung verfasst wurden. Die im Jahr 1704 veröffentlichte französische Übersetzung, die einen richtigen Orient-Boom in Europa entfacht hat, beeinflusste alle nachfolgenden Fassungen der Tausendundeine Nacht. Deshalb suche ich immer die Handschriften, die vor dieser ersten Übersetzung vor 1704 geschrieben wurden.

Warum?

Diese Handschriften sind frei von europäischen Vorstellungen, sodass wir durch diese Texte nachvollziehen können, was für arabische Le­se­r*in­nen oder Hö­re­r*in­nen interessant war. Ich will wissen, wofür sich das damalige arabische Publikum begeisterte. Warum haben sie alles stehen und liegen gelassen, um sich diese Geschichten vorlesen zu lassen? Warum haben sie sich das in den Bücherschrank gestellt? Was fanden sie spannend?

Buchpremiere mit Musik „Tausendundeine Nacht – Das Buch der Liebe“ mit Übersetzerin Claudia Ott und dem Ensemble Ibtahidsch: So, 10. 7., 18 Uhr, Celle, Schlosstheater

Das Buch erscheint am 14. 7. beiC. H. Beck, 543 S., mit 7 Kalligrafien, 5 Abbildungen und einer Karte, 32 Euro

Greifen Sie Elemente auf, die in anderen deutschen Übersetzungen weggefallen sind?

Ja. Dafür gibt es zwei Beispiele: das Erste sind die häufigen Unterbrechungen, die Cliffhanger, bevor die Geschichte am nächsten Abend weiterging, nämlich die „Nacht-Grenzen“. Normalerweise haben europäische Geschichten aus Tausendundeine Nacht einen anderen dramaturgischen Aufbau mit einem deutlichen Anfang und Ende. Im Gegensatz dazu teile ich in meiner Übersetzung die Geschichten genau so ein, wie sie in den Vorlagen strukturiert sind. Jede von diesen Unterbrechungen ist ein Stückchen Handarbeit. Aber sie sind auch kleine Beispiele für den Witz im Leben dieser Literatur, die man aus meiner Sicht auf gar keinen Fall für überflüssig erklären soll.

Und das zweite Element?

Was bei mir ganz prominent ist, aber in den meisten anderen Übersetzungen eben wegfällt, sind die zahlreichen Gedichte. Auf die Gedichte hat das arabische Publikum wie auf die Arien in einer Oper gewartet. Eine Liebesgeschichte ohne Liebesgedichte war undenkbar. Auf diese elementaren Komponenten haben frühere Über­set­ze­r*in­nen verzichtet. Sie dachten, die langwierigen Gedichte bringen den Handlungsstrang gar nicht vorwärts. Tatsächlich sind diese Gedichte, auch wenn sie schwer zu übersetzen sind, das Feinste am arabischen Text. In der arabischen Sprache haben sie ein unglaubliches Niveau von Musikalität, also im Metrum und Reim. Die Aufgabe der Über­set­ze­rin ist eben, das so ins Deutsche zu bringen, dass es seinen Wert offenbart und nicht nur langatmig wirkt.

Die Veranstaltung am Sonntag hat sowohl musikalische als performative Elemente. Warum sind beide Komponenten relevant?

Tausendundeine Nacht war immer schon ein Werk zum Lesen und Vorlesen. Deswegen tragen wir es laut vor, sowohl auf Deutsch als auf Arabisch. Die Musik vom Ensemble Ibtahidsch, mit dem ich seit 2015 arbeite, gibt uns einen passenden Rahmen dafür. Ich freue mich sehr auf die Mitwirkung des Ensem­bles. Das Publikum soll nachvollziehen können, warum diese Texte mehr sind als nur Liebesgeschichten. Sie sind richtige kleine Epen, sie sind fast wie Opern.

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