Organspende-Skandal in Hamburg: „Alle Organe einbeziehen“

Der Direktor der Stiftung Eurotransplant versucht im taz-Gespräch zu erklären, wie es zu den Transplantationspannen in Regensburg, Göttingen und Hamburg kommen konnte.

Symmetrisch oder asymmetrisch geteilt? Chirurgen bei einer Leber-Transplantation. Bild: dpa

taz: Herr Rahmel, die mehr als 40 Transplantationsfälle an den Unikliniken Göttingen und Regensburg, in denen die Staatsanwaltschaft jetzt ermittelt, liegen Jahre zurück. Ihre Stiftung Eurotransplant ist zuständig für die Vergabe von Spenderorganen in sieben europäischen Ländern. Bei Ihnen laufen die Daten von Organen wie von Patienten zusammen. Wieso ist Ihnen nicht aufgefallen, dass offenbar Patientendaten und Laborwerte in großem Stil manipuliert wurden?

Axel Rahmel: Für jeden Patienten, der uns gemeldet wird, führen wir eine Plausibilitätskontrolle seiner Laborwerte und der anderen Befunde durch. Daneben werden die Daten abgeglichen mit den Originalbefunden, die uns übermittelt werden. Anhand dieser Papierlage, und über nichts anderes verfügen wir, konnten wir keine Auffälligkeiten feststellen. Es ist ja nicht so, dass es deutliche Laboranstiege innerhalb kürzester Zeit nicht auch bei tatsächlich akut kranken Patienten gäbe.

Aber die Werte, die aus Göttingen und Regensburg an Eurotransplant gemeldet wurden – das jedenfalls legen die bisherigen Ermittlungen nahe –, passten dann doch nicht zu den sonstigen Patientendaten. Haben Sie das übersehen?

Unser Überprüfungsraster ist allgemein gehalten und hat manche Ungereimtheiten, die jetzt diskutiert werden, nicht erkennen können, weil uns die dazu nötigen Daten nicht mitgeteilt werden müssen. Zu den Leberkranken etwa müssen uns die Transplantationszentren derzeit nur drei Werte übermitteln, den Leber-, den Nieren- und den Gerinnungswert. Es ist schwierig, allein anhand dieser Werte besondere Verläufe zu charakterisieren. Ob man an dieser Regelung künftig etwas ändert, darüber wird nachzudenken sein.

Ohne den anonymen Anruf bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation in Frankfurt im Juli 2011 wären die Vorfälle nie ans Licht gekommen?

Es ist nicht auszuschließen, dass sie ohne diesen Anruf nicht aufgefallen wären.

Axel Rahmel, 50, ist seit 2005 Medizinischer Direktor der privatrechtlichen Stiftung Eurotransplant im niederländischen Leiden. Eurotransplant vergibt Spenderorgane an Patienten in sieben europäischen Ländern.

Aber als es dann intern aufgefallen war, verging ein weiteres Jahr, bis Staatsanwälte eingeschaltet wurden. Warum?

Damit Unregelmäßigkeiten künftig früher auffallen oder am besten gar nicht passieren, ist es wichtig, dass ein zweiter, vom Transplantationsprogramm unabhängiger Arzt in der Klinik die zu übermittelnden Laborwerte kontrolliert. Daneben muss es flächendeckende Vorortkontrollen an den Transplantationszentren geben, um die Plausibilität anhand der Akten im Nachhinein abzugleichen. Darauf hat Eurotransplant schon vor einigen Jahren hingewiesen. In anderen Ländern wie Frankreich oder den USA ist das Standard.

Nun fallen Medizinskandale nicht vom Himmel. Waren die Aufsichtsgremien zu blauäugig, auf wirksame Kontrollen zu verzichten?

Retrospektiv betrachtet hätte man manche Fälle vielleicht verhindern können. Ehrlicherweise muss man aber auch sagen, dass weder meine Kollegen aus anderen Ländern noch ich geglaubt haben, dass diese Art der Manipulation, die jetzt im Raum steht, möglich sei, dass also Serumröhrchen ausgetauscht oder Gerinnungschemikalien verändert werden können.

Und jetzt sind Sie schlauer?

Ich halte es für unmöglich, dass eine Person das allein macht. Zumindest nicht ohne Kenntnis oder Duldung von anderen.

Denken Sie, dass andere Zentren ebenfalls betrogen haben?

Ich gehe nicht davon aus, kann es aber nicht ausschließen.

Am Uni-Klinikum Hamburg-Eppendorf soll 2009 eine Spenderleber nicht Eurotransplant übergeben worden sein. Straf- oder berufsrechtliche Folgen gab es nicht. Warum haben Sie nicht Alarm geschlagen?

Das kann ich so nicht bestätigen. Die Spenderleber wurde dem Transplantationszentrum Hamburg nach den Vermittlungsregeln angeboten. Hamburg hat dann angegeben, die Spenderleber teilen zu wollen, um zwei Patienten zu transplantieren. Die Verteilungsregeln für den zweiten Teil der Leber hängen davon ab, ob die Leber symmetrisch oder asymmetrisch geteilt wird. Gegenüber Eurotransplant wurde damals aus unserer Sicht angegeben, dass die Leber symmetrisch geteilt werde. In diesem Fall darf das entnehmende Zentrum die zweite Teilleber für einen eigenen Patienten verwenden. Für asymmetrisch geteilte Lebern gilt diese Regelung nicht. Später, bei der Dokumentation, hat sich dann aber herausgestellt, dass die Leber tatsächlich asymmetrisch geteilt worden war.

Das UKE hat eine Teilleber für sich behalten, die ihm und seinen Patienten gar nicht zustand.

Zur Klärung des Sachverhalts haben wir die Prüfungskommission eingeschaltet. Beim Abhören der Tonbänder stellte sich heraus, dass es zu Missverständnissen zwischen Eurotransplant und dem Mitarbeiter aus Hamburg bei der Verwendung der Fachbegriffe gekommen ist, es sich also um ein Kommunikationsproblem handelte.

Herr Rahmel, ist es plausibel, dass ein Transplantationsexperte nicht die Begriffe seines Fachs beherrscht?

In diesem Fall hat nicht der transplantierende Chirurg, sondern ein anderer Mitarbeiter im Zentrum mit Eurotransplant gesprochen. Die Prüfungskommission hat unabhängig davon diesen Fall als Verstoß gegen die Vergaberichtlinien eingestuft und die zuständige Stelle informiert.

Nicht nur bei den Manipulationen der Laborwerte, sondern auch bei der Frage, wie gerecht die Verteilungskriterien sind, geraten immer wieder die Lebern in Verruf. Über Herzen und Nieren hört man vergleichsweise wenig. Warum?

Herzen werden fast nur noch an Patienten mit Hochdringlichkeitsstatus vergeben. Die Klinik muss also nicht bloß den einen oder anderen Laborwert an Eurotransplant schicken, sondern Röntgen und Echobefunde, Epikrisenberichte, Kopien der Intensivkurven. Diese Daten werden dann von internationalen Auditoren geprüft. Bei den Nieren wiederum ist die Übereinstimmung der Gewebeeigenschaften von Spender und Empfänger ausschlaggebend für den Erfolg der Transplantation. Wenn ein Arzt hier also Werte fälscht, dann heißt das nicht, dass sein Patient schneller eine Niere bekommt, sondern bloß, dass er ein nicht passendes Organ bekommt. Das will natürlich keiner. Dennoch meine ich, dass künftige Kontrollen breit angelegt sein und alle Organe einbeziehen müssen.

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