Ordnungsamt rehabilitiert Werder-Ultra: Täter und Opfer verwechselt
Obwohl er von Neonazi-Hooligans zusammengeschlagen wurde, bekam ein Werder-Fan ein Aufenthaltsverbot in Bremen. Das zieht das Amt nun zurück.
Es galt für weite Teile der Stadt und an allen Tagen der laufenden Fußballsaison, an denen Werder Bremen I oder II ein Heimspiel haben. Für einen Dauerkartenbesitzer aus Göttingen quasi die Höchststrafe. Dabei war Müller selbst unvermittelt von Hooligans angegriffen und mehrfach mit Fäusten geschlagen worden.
Im vergangenen Dezember war es nach einer Bundesligabegegnung rund um das Lokal „Die Schänke“ im Steintorviertel zu einer Massenschlägerei gekommen. Die Polizei berichtete von fünf Leichtverletzten, elf Personen seien damals festgenommen worden – insgesamt sollen rund 120 Personen an der Auseinandersetzung beteiligt gewesen sein, die Polizei richtete eine eigene Ermittlungsgruppe ein. Sowohl die Polizei als auch das Fanprojekt waren im Vorfeld davon ausgegangen, dass es ein ruhiger Spieltag werden würde.
Ein nicht an der Schlägerei beteiligter Ultra sagte der taz nach Gesprächen mit Augenzeugen, es habe sich bei den Gästen der Kneipe um 30 bis 40 Nazi-Hooligans, unter anderen aus den angeblich aufgelösten Gruppen „Standarte Bremen“ und „Nordsturm Brema“ gehandelt. Der Mann widersprach damit der Darstellung der Polizei, wonach die Ultras die Kneipe angegriffen hätten.
Nach dem Vorfall ermittelte die Polizei wegen eines besonders schweren Falles von Landfriedensbruch gegen Frank Müller. Sein Handy wurde beschlagnahmt, er musste sich erkennungsdienstlich behandeln lassen und seine Fingerabdrücke abgeben. Dabei sei Müller „vorher polizeilich nie in Erscheinung“ getreten, sagt sein Anwalt Sven Adam: „Die Ermittlungsakte ist voll von Hinweisen darauf, dass er von Hooligans angegriffen wurde und er selbst gerade kein Straftäter war.“ Ihm trotzdem den Aufenthalt in Bremen zu verbieten, „war absurd“, so Adam.
Nachdem der Vorwurf des schweren Landfriedensbruchs nicht mehr aufrecht zu erhalten war, hob das Ordnungsamt den Platzverweis nun Ende August auf, die Stadt trägt die Kosten des Verfahrens.
Das heißt nicht, dass er jetzt als unschuldig gilt. Denn Frank Müller ist weiter in der umstrittenen Verbunddatei „Gewalttäter Sport“ gelistet. Dagegen geht Adam nun rechtlich vor, auch gegen die Anordnung zur erkennungsdienstlichen Behandlung. Die Polizei habe sich bisher dazu nicht geäußert, sagt Adam, und es gebe auch in der Akte keinerlei Hinweise darauf, warum Müller überhaupt als Straftäter und nicht als Opfer gehandelt wurde. Auch der Bescheid des Ordnungsamts geht darauf nicht ein.
Um der Polizei als „Gewalttäter Sport“ zu gelten, muss man sich aber auch nicht schuldig gemacht haben. „Es reicht, wenn ein Beamter sich am Rande eines Fußballspiels veranlasst fühlt, Ihre Personalien zu kontrollieren oder Sie sich in einer Gruppe mit verdächtigen Personen befinden“, sagte der Fan-Anwalt Torsten Kellermann der taz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind