Optionen für eine Minderheitsregierung: Sachsen sieht schwarz-rot
Die sächsische CDU will nun mit der SPD über eine Minderheitsregierung sprechen. Das lenkt den Blick plötzlich auch auf Bündnisgrüne und Linke.

E ine Minderheitsregierung in Sachsen? Bis zum Ausstieg der Wagenknecht-Getreuen- und vor allem Getreuinnen aus den Koalitionssondierungen am vorigen Mittwoch galt das in der verwöhnten CDU noch als Teufelszeug. Die absoluten Mehrheiten der 1990er Jahre setzen bis heute Maßstäbe. Kurt Biedenkopf konnte nicht nur durchregieren, er kam auch dem latenten Royalismus der Sachsen entgegen. Nur einmal hatte der „Geenich“ in Sachsen keine Mehrheit, 1918, als der letzte August mit den berühmten Worten abdankte „Macht eich eiern Dregg alleene“.
Nun also doch, der Not gehorchend. CDU und SPD hatten, die Labilität des BSW ignorierend, stets stabile Mehrheitsverhältnisse beschworen. Wohl wissend, dass eine zwar überwiegend materiell gesicherte, aber ob der Perspektiven mental verunsicherte Gesellschaft nichts mehr ersehnt als klare Ansagen von oben. Ministerpräsident Michael Kretschmer, sein Brandenburger Kollege Dietmar Woidke und der Thüringer Möchtegern-Kollege Mario Voigt hatten sich beim BSW geradezu angebiedert. Denn in allen drei Ländern sind nach den Wahlen stabile Bündnisse nur mit der aus dem Stand erfolgreichen Linken-Ausgründung möglich, will man die AfD meiden.
Wenn die CDU nun ab Montag doch mit der SPD über eine Koalition redet, die im Landtag nur über 51 der 120 Sitze verfügt, signalisiert das immerhin, dass sich die AfD-Sympathisanten nicht durchgesetzt haben. Auch vier Jahre Erfahrungen mit einem alles andere als stabilen „Stabilitätsmechanismus“ in Thüringen scheinen nicht abzuschrecken. Demokratietheoretisch mögen Sachentscheidungen mit wechselnden Mehrheiten ja interessant sein. Aber die rot-rot-grünen Abgeordneten in Erfurt stöhnten bald ob des Gezerres um den Haushalt und der Erpressungsversuche der CDU.
Die neue Konstellation in Sachsen lenkt den Blick plötzlich auch auf Bündnisgrüne und Linke als potenziell mitverantwortliche Tolerierer. Mehrheiten könnten sie einer CDU/SPD-Allianz aber nur gemeinsam beschaffen, wenn man sich nicht auf das windige BSW verlassen will.
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