Oppositioneller Schamane in Russland: Mit weißem Pferd gegen den Kreml
Von Sibirien nach Moskau, um den Dämon Vladimir Putin zu vertreiben: Alexander Gabyscheff erregt auf YouTube Aufmerksamkeit. Und erlebt Repression.
Bei Alexander Gabyschew läuft es demnächst wieder – ab März und mit 1 PS. In dieser Woche kündigte der selbst ernannte „kriegerische Schamane“ auf Youtube an, sich erneut aus dem sibirischen Jakutsk auf den Weg in die russische Hauptstadt Moskau zu machen. Die rund 8.000 Kilometer will er dieses Mal nicht zu Fuß, sondern auf einem weißen Pferd zurücklegen, Unterstützer*innen könnten ihm ja in Autos folgen. „Wir werden Sibirien durchqueren und dann den Ural erreichen. Dann ist es nur noch ein Katzensprung nach Moskau“, sagte Gabyschew. Sein Ziel ist der Kreml – genauer gesagt Präsident Wladimir Putin, den er vertreiben will.
Der 52-Jährige wurde in Jakutien geboren. Dort absolvierte er ein Geschichtsstudium, arbeitete jedoch als Schweißer und Hausmeister. Sein schamanisches Erweckungserlebnis hatte er 2009 infolge des Todes seiner Frau, den er meditierend verarbeitete.
Den ersten Ausflug nach Moskau unternahm Gabyschew 2018, um seinen Landsleuten den traditionellen Glauben der kleinen Völker Sibiriens näher zu bringen. Das Unternehmen fand ein jähes Ende, als sein Hund buchstäblich unter die Räder kam und medizinisch behandelt werden musste.
Ein Jahr später nahm Gabyschew erneut Kurs auf Moskau – notwendige Reiseutensilien, wie eine Jurte, zog er auf einem Handwagen hinter sich her. Jedoch war die Mission eine andere: Putin verjagen. Seine Aufgabe sei es, im Land eine Demokratie zu errichten und für Harmonie zu sorgen. Putin jedoch sei ein Dämon, die Natur liebe ihn nicht. Überall, wo Putin auftauche, ereigneten sich Katastrophen. Deshalb müsse der Präsident weg, friedlich, wenn nötig aber auch mit Gewalt, sagte Gabyschew.
Politischer Gefangener in der Psychiatrie
Unterwegs erfreute sich der Schamane wachsenden Zuspruchs. Wohlmeinende Bürger*innen versorgten ihn mit Geld und Lebensmitteln. Videos wurden millionenfach geklickt.
Am 19. September wurde Gabyschew an der Grenze zwischen Burjatien und dem Gebiet Irkutsk festgenommen, nach Jakutsk überstellt und dort in die Psychiatrie eingewiesen. Am 3. Oktober wurde er von Amts wegen für „verrückt“ erklärt. Damit einher ging ein Strafverfahren wegen Aufrufs zum Extremismus. Amnesty International führt Gabyschew als politischen Gefangenen.
Ein weiterer Reiseversuch im Dezember endete nach wenigen Tagen mit einer erneuten Festnahme und einer Verurteilung zu einer Geldstrafe von umgerechnet 11 Euro wegen Beschädigung der Uniformjacke eines Polizisten. Auch 2020 verbrachte Gabyschew wieder mehrere Monate zwangsweise in der Psychiatrie. Doch der Schamane lässt partout nicht locker.
Im Herbst 2019 sagte der amerikanisch-belarussische Politikberater Witali Schklarow, dass Gabyschew dem Kreml viel gefährlicher werden könne als Protestaktionen in Moskau mit mehreren tausend Teilnehmer*innen. Mal sehen, wie lange seine Reise wohl dieses Mal dauert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachtcafé für Obdachlose
Störende Armut
++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
Hamas und Israel werfen sich gegenseitig vor, Gespräche zu blockieren