Opposition in der Türkei: Fast zehn Jahre Haft
Die Chefin des Istanbuler Verbands der CHP, Canan Kaftancioglu, wird verurteilt. Die Vorwürfe: terroristische Propaganda und Beleidigung Erdogans.
Canan Kaftancioglu ist die Vorsitzende der sozialdemokratisch-kemalistischen CHP in Istanbul. In dieser Eigenschaft war sie mit daran beteiligt, den späteren Wahlsieger Ekrem Imamoglu, einen bis dahin weitgehend unbekannten Bezirksbürgermeister, zum Kandidaten für den Posten des Oberbürgermeisters vorzuschlagen.
Später organisierte sie dann den erfolgreichen Wahlkampf von Imamoglu maßgeblich mit. Nachdem der Wahlsieg Imamoglus auf Drängen von Präsident Recep Tayyip Erdogan annulliert worden war und die Wahl vom März im Juni wiederholt werden musste, war es wiederum Canan Kaftancioglu, die für die Unterstützung von Imamoglu erfolgreich mobilisierte.
Canan Kaftancioglu gehört zum linken Flügel der CHP. Ihrem Engagement ist es maßgebend zu verdanken, dass viele Anhänger der kurdisch-linken HDP in Istanbul Imamoglu gewählt haben und nicht einfach zu Hause geblieben sind, nachdem die HDP darauf verzichtet hatte, selbst einen Kandidaten für den Oberbürgermeister zu nominieren.
Kontakt zur HDP gehalten
Diese Stimmen waren mit entscheidend für den Wahlsieg der Opposition. Auch nach diesem Erfolg war es Canan Kaftancioglu, die den Kontakt zur HDP gehalten und mit dafür gesorgt hat, dass sich die CHP mit den aus dem Amt gejagten HDP Bürgermeistern in Diyarbakir, Van und Mardin solidarisierte.
Die CHP ist deshalb davon überzeugt, dass der Prozess und die Haftstrafe gegen Canan Kaftancioglu ein politischer Racheakt der AKP und des Präsidenten ist. Die Anklage basiert ausschließlich auf Meinungsäußerungen auf Twitter aus den Jahren 2012 bis 2017.
Die Staatsanwaltschaft hatte sogar 17 Jahre Haft gefordert. Das jetzt ergangene Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Die Anwälte von Canan Kaftancioglu legten unverzüglich Berufung ein, weshalb die Politikerin auch erst einmal auf freiem Fuß bleibt.
Gegenüber Journalisten sagte Canan Kaftancioglu : „In diesem Land werden Urteile nicht nach dem Gesetz gefällt, sondern das Gesetz wird den gewünschten Strafen angepasst“. Sie gehe davon aus, dass „das Urteil im Präsidentenpalast und nicht im Gericht festgelegt wurde“.
Canan Kaftancioglu ist allerdings nicht die einzige, die in den vergangenen Jahren wegen Präsidentenbeleidigung verurteilt wurde. Im Gegenteil: Seit Recep Tayyip Erdogan 2014 zum Präsidenten gewählt wurde, ist die Zahl von Anklagen und Verurteilungen wegen Beleidigung des Präsidenten extrem angestiegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Jeder fünfte Schüler psychisch belastet
Wo bleibt der Krisengipfel?
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern