Opposition in Russland: Was tun mit Alexei Nawalny?
Am Mittwoch beginnt ein Prozess gegen den Blogger wegen Veruntreuung. Der Kreml sitzt am längeren Hebel, doch der Anwalt macht den Mächtigen Angst.
MOSKAU taz | „Es herrscht Krieg“, sagt Alexei Nawalny. Die Machthaber in Russland wüssten, dass er ihnen alles wegnehmen wolle. Daher sei er nicht überrascht, wenn die politische Führung mit ihm jetzt das Gleiche vorhabe. Er sagt es, als ließe ihn das kalt. „Nur, sie haben eben viel mehr zu verlieren als ich.“
Damit spielt der 36-jährige Anwalt und Blogger auf die Ängste an, welche die Nomenklatura seit den Demonstrationen gegen den Betrug bei den Dumawahlen 2011 umtreiben. Nawalny gibt sich kühl, klingt abgebrüht, manchmal spricht ein bisschen Größenwahnsinn aus ihm. Eine Attitüde, die er pflegt, seit er die politische Bühne betrat. Inzwischen hat es jedoch auch etwas Selbstzerstörerisches.
Der Gegner sitzt am längeren Hebel. Die Justiz überzog ihn mit einem Verfahren wegen Veruntreuung in großem Umfang, das ihm schlimmstenfalls eine längere Lagerhaft, zumindest aber eine Bewährungsstrafe einbringt. Der Prozess soll am Mittwoch beginnen. Dass die Anklage fingiert ist und politische Motive dahinterstecken, scheint unbestritten.
In seiner Absurdität erinnert der Fall an den des Ex-Ölmilliardärs Michail Chodorkowski. In ihm witterte Präsident Wladimir Putin auch einen politischen Konkurrenten, der das Zeug hatte, ihn herauszufordern. Er musste von der Bühne verschwinden.
Nawalnys Ambitionen auf das Präsidentenamt
Nawalny ist verwundbarer als Putin. Wird er verurteilt, verliert er die Anwaltslizenz und das Recht auf politische Betätigung. Vor dem Prozessauftakt verabschiedete die Duma noch ein Gesetz, eine „Lex Nawalny“ quasi, die Vorbestraften Zeit ihres Lebens eine Kandidatur für das Präsidentenamt untersagt. Der Volkstribun, der bereits Ambitionen auf das Präsidium angemeldet hat und seine Anhänger auf Demonstrationen „Wir sind die Macht“ skandieren lässt, wäre neutralisiert.
Für Kompromisse ist der Familienvater nicht zu haben. Dutzende Politiker hätten nach den Protesten im letzten Jahr heimlich versucht, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Auch Angebote seien ihm unterbreitet worden, für Ämter auf Lokal- und Regionalebene zu kandidieren, sagte er russischen Medien. Einzige Bedingung: Er solle sich aus den Protesten heraushalten.
Das Abflauen der Demonstrationen hat dem Kreml eine Verschnaufpause eingeräumt, die er jetzt zu nutzen sucht. Nawalnys Fähigkeit, zu mobilisieren und die unzufriedenen Mittelschichten hinter sich zu sammeln, beunruhigt die Mächtigen. Keiner würde es zugeben, doch indirekt gab der widerspenstige Jurist die innenpolitische Agenda vor und trieb auch Präsident Putin vor sich her. Indem er die Kremlpartei „Einiges Russland“ als „Partei der Diebe und Gauner“ bezeichnete, beschleunigte er die Erosion des Machtapparats und zwang Putin, sich neuen Rückhalt in der Gründung einer amorphen „Volksfront“ zu verschaffen.
„Was sollen wir mit Nawalny machen?“
Als Kämpfer gegen die Korruption betreibt Nawalny im Internet das Projekt „Rospil“, was so viel wie „russische Korruption“ bedeutet. Eine Million Nutzer klicken die Seite im Monat an. Dort sind Korruptionsskandale im Detail dokumentiert und juristisch aufgearbeitet.
Das Projekt brachte in den letzten Wochen mehrere Abgeordnete und Senatoren zu Fall. Einer von ihnen war der Vorsitzende der Ethikkommission der Duma, der sich an seine Liegenschaften in Florida nicht erinnern konnte. Er hätte sie dem Fiskus melden müssen.
„Was sollen wir mit Nawalny machen?“ Mit dieser Frage beginne jede Sitzung im Kreml, meint der Chefredaktor der Nesawissimaja Gaseta, Konstantin Remtschukow. Ob auf die Festnahme eine neue Protestwelle folge oder gar ein Orkan, darüber herrsche Verunsicherung. Zurzeit sieht es eher ruhig aus.
Außerhalb der Metropolen ist Nawalny nur einer Minderheit bekannt. Wüsste man in der Provinz, dass der Anwalt seit einem Jahr das gleiche Paar braune Schuhe trägt, würde ihm das auch dort Sympathisanten bescheren. Zumal sich Nawalny gerne als Patriot mit nationalistischem Einschlag präsentiert, wie sein Gegenspieler Wladimir Putin übrigens. Auch als Spross eines Armeeangehörigen würde er in den traditionalistischeren Kreisen Gehör finden. Das macht ihn zu einem ebenbürtigen und gefürchteten Herausforderer.
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