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OpioidkriseDie Augen werden immer leerer

Fentanyl ist ein tolles Schmerzmittel und eine üble Droge. In Kanada hat man lernen müssen, damit umzugehen. In Deutschland herrscht Ignoranz.

Die rammen mir zwei Dosen Fentanyl in den Arm, bis ich meine, fliegen zu können Foto: David Maialetti/The Philadelphia Inquirer/ap

E ines Morgens wache ich auf und kann meinen Kopf nicht mehr bewegen. Ich hab mir böse den Nacken verdreht und dabei einen Nerv so eingeklemmt, dass mein ganzer Körper gelähmt ist. Zwei Stunden liege ich da wie ein Brett. Dann rufe ich die Rettungssanitäter.

Die rammen mir zwei Dosen Fentanyl in den Arm, bis ich meine, fliegen zu können. Ich spüre, wie sich die Flüssigkeit über meinen linken Arm in meinen gesamten Körper aus­breitet und dieser flaumweich und glücklich wird. Die Welt glüht, die Sanitäter tragen Heiligenscheine. Ein Engelschor singt: O Canada! Denn diese Szene spielt in Kanada, wo ich 2018 lebte.

Obwohl ich den Namen „Fentanyl“ damals schon einmal gehört hatte, weiß ich in dem Moment nicht genau, was mir da verabreicht wird. Später erfahre ich, dass es sich um ein Opioid handelt, an dessen Wirkung in Kanada damals täglich etwa neun Leute sterben. Gefährliches Zeug also.

Oft konsumieren die Opfer die Droge unfreiwillig, da ihr Kokain oder Heroin damit gestreckt wird. Schon seit Jahren gibt es in Kanada Aufklärungskampagnen und sogenannte Naloxon-Kits für Überdosen, die es rezept- und kostenfrei in Apotheken gibt. Sie wirken Fentanyl und anderen Opioiden wie Morphium, Heroin oder Codein entgegen.

Hohe Dunkelziffer

In Deutschland starben 2022 etwa 2.000 Menschen an ihrem Konsum, 1.200 davon an Opioiden, Tendenz steigend. Oft landen die Betroffenen in den Händen Unfähiger. 2021 starb ein 19-Jähriger, der ein Opioid genommen hatte, in Polizeigewahrsam. Tode dieser Art werden in Deutschland kaum erforscht, weswegen von einer hohen Dunkelziffer auszugehen ist.

Zugegeben, die Todeszahlen sind hier noch geringer als in Kanada. Aber genau deswegen wäre es sinnvoll, dem dortigen Beispiel zu folgen und Prävention und Suchthilfe zu betreiben.

NALtrain, ein Projekt für die Verbreitung für Naloxon in Deutschland, berichtet, dass wegen „Zurückhaltung und Skepsis der Ärzteschaft“ bisher nur knapp 1.300 Abhängige das Angebot des Projekts wahrnehmen. Der Zahl stehen 165.000 Konsumierende gegenüber. Der Beauftragte für Sucht- und Drogenfragen, Burkhard Blienert (SPD), fordert einen Paradigmenwechsel. Forderungen allein reichen aber nicht. Wann wird gehandelt?

Besonders in Berlin wird eine Asymmetrie deutlich, wie mit Drogen umgegangen wird. Die Partyszene idealisiert sämtliche Substanzen und lebt davon, wie liberal mit ihnen umgegangen wird. Deswegen kommen die meisten ja her: fürs zwanglose Ballern. Derweil sieht das andere Ende des Spektrums finster aus.

Ausgegrenzt und stigmatisiert

Es gibt eine immense Ausgrenzung, beinahe einen Ekel vor denjenigen, die es zu weit treiben. Sie haben sich oft nicht nur auf die Straße, sondern in eine absoluten Tabuzone konsumiert. Die Betroffenen sind ausgegrenzt und stigmatisiert.

Täglich kann ich vor meiner Haustür in Kreuzberg beobachten, wie einige wiederkehrende Obdachlose noch lebend ihren Verwesungsprozess beginnen, mit klaffenden Wunden und unzähligen Verbänden. Sie sind für die meisten unsichtbar, bis sie nach Geld fragen. Und dann spenden die Pas­san­t*in­nen höchstens missbilligende Blicke.

Immer mehr obdachlose Menschen ziehen in den Kiez. Nicht nur sie, auch Uniformierte, die nicht zu helfen wissen, breiten sich aus. Es entsteht ein Nährboden für Intoleranz, auf dem die Abhängigen leben müssen. Und das sieht man ihnen an. Sie wirken wie aus einer anderen Welt gepflückt und in diese hineinplatziert. Die Augen werden leerer. Die Blicke verzweifelter. Hier ist der Engelschor schon lange verstummt.

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Valérie Catil
Gesellschaftsredakteurin
Redakteurin bei taz zwei, dem Ressort für Gesellschaft und Medien. Studierte Philosophie und Französisch in Berlin. Seit 2023 bei der taz.
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