Opernuraufführung in Bremen: Hier wird nicht getaucht
Davor Vinczes Kammeroper „Freedom Collective“ will schönsten B-Movie-Stoff erzählen. Die Regie von Heinrich Horwitz weiß das zu verhindern.
Mitten im Stück führen Text und Musik zu einem illegalen Rave. Während das Orchester schweigt und die Elektronik die etwas stumpfen Beats so eines Underground-Events einspielt, verwandelt sich die Bühne tatsächlich für wenige Augenblicke in einen Dancefloor. Auf dem ist nicht zu unterscheiden: Wer ist Publikum, wer Statist? Das geht aber, zum Glück, schnell wieder vorbei.
Direkt hinein in eine futuristisch-dystopische Halbwelt lockt Davor Vinczes Kammeroper „Freedom Collective“ ihr Publikum. Nach einer Uraufführung in Gelsenkirchen Anfang des Jahres ist sie – gemäß der Logik des bundesweiten Musiktheater-Förderprogramms „NOperas!“ – nun für drei Tage in Bremen zu sehen.
Als Eckpunkte des düsteren Plots erscheinen im Textbuch illegale, gefährliche Fights, neuartige Drogen sowie ein schwunghafter Organhandel, bester B-Movie Stoff also. Eng am englischsprachigen Libretto von Aleksandar Hut Kono komponierend, verwandelt die Partitur dessen etwas wirre Erzählung in eine mal voran drängende, mal geradezu meditative Musik von schön abgemischten Klangfarben.
Weniger durch harmonische Originalität, als durch ihre ausgetüftelte Polyrhythmik vermag sie regelrecht Herzrasen zu verursachen. Einem fein austarierten, vielfarbigen Schlagwerk müssen Piccolo, Klarinette, Trompete und Posaune sowie Streichquintett Paroli bieten in geradezu bösartig gegeneinander gesetzten Läufen aus Tri- bis Quindeolen, also 15 gleichlangen Noten auf einen Schlag.
Träumerische Akzente
Manchmal setzen Harfe und Synthesizer dazu träumerische Akzente. Durch diese derart auseinanderstrebende Welt ohne festen Halt lotst der famose Premil Petrović das auf der Bühne platzierte Ensemble mit heiterer Gelassenheit. Dass das sauschwer ist, merkt man kaum: Sein Dirigat wirkt mühelos und leicht.
Unter seiner Leitung klingt, was die Instrumentalist*innen abliefern, unterhaltsam flockig wie feinste Salonmusik. Nur halt eine, die jede Orientierung verweigert. Als echter Unglücksfall für diese Produktion erweist sich leider Heinrich Horwitz. Mit der Regie betraut, hat Horwitz lieber was ganz anderes, eigenes machen wollen.
Statt einen Technoclub einfach als Ort einer zentralen Szene zu nutzen – so wie in einer Mozart-Oper eine Dorfkapelle Hochzeitstänze aufspielt –, hat die Inszenierung kurzerhand das ganze Werk in einen hinein verlegt. Nebenher soll die Location aber auch eine Gamehalle sein, damit sich im derart der Oper übergestülpten Setting irgendwie doch noch ihre Handlung unterbringen lässt.
Das offenbar dringend gewollte Eintauchen in den Club soll dadurch erreicht werden, dass die Bühne von hinten zu betreten ist und ihn dann Publikum und Sänger*innen einmal durchqueren. Der gewünschte Effekt wird aber nicht erreicht, Alltagslogik beherrscht unmissverständlich die von Horwitz beschworene Heterotopie: Getränke mitzunehmen ist zwar erlaubt, aber nicht in Gläsern, nur in Plastikbechern oder Flaschen. Auch frei bewegen darf man sich im Prinzip, allerdings unter rigider Anleitung.
Davor Vincze: „Freedom Collective“, Kammeroper. Nächste Aufführungen am Theater Bremen, Kleines Haus, 4.4., 20 Uhr sowie 7.4., 18.30 Uhr. Staatstheater Darmstadt: 24.5., sowie 6. und 15.6., jeweils 19.30 Uhr
Letztlich führt diese Art Freiheit dazu, dass fast alle in die Zuschauerreihen strömen, um sich bequem hinzusetzen, während der Rest sich auf der Raumbühne ein bisschen fehl am Platze fühlen kann – oder besonders verwegen. Peinlich überambitioniert wirkt der Einfall, an drei Stellen die Smartphones des Publikums miteinzubeziehen.
Auch nicht gerade immersionsfördernd: Statt das vorzügliche Sänger*innenquartett in die vom Textbuch vorgesehenen Interaktionen zu verstricken, stellt Horwitz es, dem grundlegenden Einfall treu, auf je eine von Magdalena Emmering errichtete Gaming-Plattform, also jede Person auf ihre eigene Guckkastenbühne. Auf der muss sie dann durch Wischgesten vorgeben, in ihre Virtual Reality abzutauchen.
Die wiederum wird durch Videoanimationen dargestellt, geschaffen von Rosa Wernecke. Grafisch erinnern sie ein wenig an die Figuren aus dem Ego-Shooter „Counter-Strike: Condition Zero“, herausgekommen im Jahr 2004. Allerdings waren die Bewegungen der Spielfiguren damals schon weniger hölzern, als sie jetzt hier erscheinen.
Texttafeln ersetzen szenisches Erzählen
Weil die Regie nahezu sämtliche theatralen Mittel aus den Händen gegeben hat, muss sie auf Stummfilm-Texttafeln in Englisch und fehlerhaftem Deutsch zurückgreifen, um klar zu machen, was sie hätte szenisch erzählen müssen – hätte sie sich nicht wichtiger genommen, als das Stück.
Über diese Tafeln erfährt man also, dass die korrupte Chirurgin Zsuzsi, die skrupellose Box-Promoterin und (laut Programmheft) Ernährungswissenschaftlerin Fan, der prollige Coach Karl sowie der talentierte Kämpfer Andrei wechselseitig und überkreuz persönliche, geschäftliche, sexuelle und erotische Abhängigkeiten entwickelt haben.
Weshalb sie mitunter in fast beiläufigem Rezitativ-Stil streiten: „I want you to leave her!“, sprechsingt Nerita Pokvytyte als Zsuszi ihren Lover Karl an; der ist noch immer mit Fan verheiratet. Christoph Heinrichs begütigender Bariton dagegen: Wir brauchen sie doch noch. Aber da kann Zsuszi nur lachen, „YOU do!“, ja, du vielleicht!
Schön wird’s, wo Emma McDermott in der Rolle der Fan in den tiefsten Tiefen ihrer Mezzo-Partie ihre Liebe zu Andrei enthüllt, dem non-binären Kämpfer, dessen Rolle sich Constanze Jader und Bele Kumberger teilen.
Die Zärtlichkeit des sich anschließenden Duetts vermag Raum, Zeit, unvorteilhafte Kostüme und saudumme Regiekonzepte einfach wie von Zauberhand wegzuwischen. Die Magie der Musik ist eben immer noch mächtiger, als jede VR. Und wer will, kann darin eintauchen.
[Der Name des Librettisten war durch einen Tippfehler entstellt. Das wurde korrigiert. Wir bitten um Entschuldigung, d.Red.]
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