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OperVerstörfaktor Marthaler

Kommentar von Frieder Reinighaus

Beifall für die Sänger - Buhs für Regisseur und Koüstum - die Premiere von Marthalers La Traviata-Inszenierung in der Pariser Nationaloper.

Ein ungnädiges "buh" für den Herrn Regisseur... Bild: dpa

S eit es Oper gibt, haben sich die Auffassungsunterschiede des Publikums entladen. Mitunter heftig bis zur Handgreiflichkeit. So weit ist es am vergangenen Samstag in der altehrwürdigen Pariser Nationaloper bei "La Traviata" nicht gekommen. Aber fast. Dem einhelligen Riesenbeifall für das Sängerteam um Christine Schäfer stand die überwiegende Ablehnung der Arbeit des Dirigenten Sylvain Cambreling gegenüber - und eine hasserfüllte Schreierei gegen die Bühnen- und Kostümbildnerin Anna Viebrock und den Regisseur Christoph Marthaler.

Was war geschehen? Für die vier Bilder von Verdis meistgespielter Oper waren Einblicke in eine Mehrzweckhalle der Fünfzigerjahre geboten worden. Vor der Bühne auf der Bühne, auf der dann Alfredo zu entrückten Harfenklängen von der einmaligen Liebe träumt, erstreckte sich eine Garderobe - ein Tresen, wie er sich in den Foyers des Palais Garnier befindet. An ihm drängelte sich ein feierlauniges Publikum, in dessen Physiognomien und Manieren sich der ältere Teil des Premierenpublikums porträtiert gesehen haben muss. Die Kurtisane aber dürfte so gar nicht nach ihrem Gusto inszeniert worden sein: im sittsamen kleinen Schwarzen lädt sie zum Fest. Und bleibt eine anständige Frau, die eher an Liebesentzug als an Tuberkulose zugrunde geht.

Nichts an dieser Interpretation erschien mutwillig: sie setzte konsequent das Frauen- und Gesellschaftsbild des Librettos von F. M. Piave und die Intentionen der Musik in Szene. Wie die Moralität des Werks, die (Selbst-)Täuschungen der Protagonisten, der Liebeserkältungstod vorgeführt und wie die mit konzilianter Präzision ausgeführte Musik genutzt wurde - das sorgte für die Opern-Top-Produktion der Saison. Über die politische Zuordnung der lauthals Protestierenden liegen zwar keine exakten Erhebungen vor. Es darf gleichwohl vermutet werden, dass die Krakeeler jener Klientel entstammen, die bei der Ankündigung applaudiert, die Banlieues würden jetzt "mit dem Kärcher durchgepustet".

Offensichtlich erregte, dass die neue Inszenierung den Hochdruckreiniger auf ihre Vorstellungswelt ansetzte: die so schön "falsche Welt" der Violetta Valéry wurde nicht durch großbürgerliche Wohninsignien auf sichere Distanz gehalten, die Nobelkurtisane andererseits nicht durch Hand- und Beinbewegungen der Peepshowsphäre nahe gebracht (wie Anna Netrebko dies tut). Indem Viebrock und Marthaler den Mief der Jugendjahre der Geschmacksträgerschicht zeigten, ließ die Meute angestauten Unmut entweichen. Nicht auszuschließen allerdings, die Erfahrung mit anderen Opernskandalen zeigt es, dass sie sich nach Gérard Mortier und Marthaler zurücksehnen werden, wenn ihr ein erzkonservativer neuer Direktor Nicolas Joël Langeweile organisiert.

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