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Oper von 1929 beim Musikfest BerlinMultimediales Gesamtkunstwerk im Bauhaus-Geist

Vor fast 100 Jahren wurde sie geschrieben. Nun wurde Marc Blitzsteins kubistische Oper „Parabola et circula“ endlich in der Philharmonie uraufgeführt.

Keine Oper, dafür Tanz: Kurt Schmidt, Entwurf zum „Mechanischen Ballett“,1923 (eventuell Nachzeichnung um 1970) Foto: bpk/Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Die Musik braucht mehr als nur die primäre schöpferische Arbeit, um als Werk lebendig zu werden; sie ist auf Ausführende angewiesen. Sicherlich lagern weltweit Abertausende von unaufgeführten Opern in den Schubladen von TonkünstlerInnen. Bis zum vergangenen Sonntag gehörte auch „Parabola et circula“ dazu, ein Werk des US-Amerikaners Marc Blitzstein (1905-1964) aus dem Jahr 1929.

Beinahe hundert Jahre nach ihrer Entstehung erlebte die Oper nun auf dem Musikfest Berlin ihre Uraufführung. In der Vorankündigung zunächst als „einzige Bauhaus-Oper der Welt“ angepriesen, wurde diese Formulierung dann korrigiert zu „einzige kubistische Oper“, was es besser trifft(obwohl das Prädikat „einzige“ immer noch riskant ist).

Blitzstein, der sich in den 20er Jahren längere Zeit in Europa aufhielt, war kein Bauhäusler, sondern bekannt mit Leuten, die wiederum Leute am Bauhaus kannten (wo es ohnehin keinen Fachbereich Musik gab).

Aber „Bauhaus“ war kein nach außen abgeschlossenes Konzept, und auf die dortigen Kreativen traf dasselbe zu wie auf den jungen Amerikaner: Man war beschwingt vom avantgardistischen Zeitgeist und experimentierte mit neuen Formen – beziehungsweise mit der radikalen Reduktion der alten. Und sicher kannte Blitzstein das „triadische Ballett“, mit seinen geometrischen Kostümen, des Bauhäuslers Oskar Schlemmer.

Marc Blitzsteins Oper wurde vom Forschungsprojekt „Bauhaus Music“ entdeckt

Zu verdanken ist die Entdeckung und Belebung von Blitzsteins Oper dem Forschungsprojekt „Bauhaus Music“, in dessen Rahmen soeben ein Essayband zum Thema „Musikerinnen und Musiker im Umfeld des Bauhauses“ erschienen ist (welcher kostenlos von der Website des Bauhaus-Archivs heruntergeladen werden kann). Unter Federführung des Musikwissenschaftlers Kai Hinrich Müller und der künstlerischen Leitung von Karl-Heinz Steffens und Michal Friedländer gibt es seit 2023 zudem die Konzertreihe „Bauhaus Music“, die mit diesem Jahr auf der großen Bühne des Musikfests angekommen ist.

„From Bauhaus to Broadway“ hat die Pianistin Michal Friedländer ihr feines kleines Konzertprogramm genannt, in dem sie zusammen mit fünf Co-Musikerinnen am Sonntagnachmittag Musik von Komponisten aus dem Bauhaus-Dunstkreis vorstellt: Kurt Weill, George Antheil, Paul Hindemith und – etwas überraschend – Leonard Bernstein, der dabei ist, da ihn eine enge künstlerische Freundschaft mit Marc Blitzstein verband.

Zum Programm gehören auch Lieder von Blitzstein selbst, in denen der Komponist seine Doppelbegabung beweist, denn auch die Texte stammen aus seiner Feder. Es sind komprimierte Mini-Dramen, die von der Sopranistin Camilla Tilling mit souverän dosierter Ironie lebendig in Szene gesetzt werden.

„Bauhaus Music“-Dirigent Karl-Heinz Steffens leitet seit 2020 das Norrköping Symphony Orchestra, was erklärt, dass es ausgerechnet ein schwedisches Orchester ist, das am Sonntagabend die Uraufführung von „Parabola et Circula“ realisiert. Wie der Titel verrät, sind die handelnden Personen geometrische Figuren: Außer Parabola (Bariton) und Circula (Sopran) gibt es Rectangula (Tenor), Intersecta (Sopran), Prism (Tenor), Geodat (Bass) und Linea (Mezzosopran). Die gendermäßige Zuordnung der Rollen sieht also nicht viel anders aus als in einer herkömmlichen Oper.

Das Avantgardistische Moment liegt in der Handlung

Eigentlich, denkt man zuerst, ist es eine wirklich gute Idee, herkömmliche, oft unverständliche Opernhandlungen zu reduzieren auf Kernfunktionen. Allerdings geht Blitzsteins Librettist George Whitsett, über den im Programmheft keine Informationen zu finden sind, weit über eine Reduktion hinaus: Er stellt die gesamte Affektorganisation der Opernwelt in Frage.

Parabola und Circula nämlich müssen nicht, wie sonst üblich, ihre Liebe erkämpfen, sondern sind bereits liebend miteinander verwoben – und zwar so intensiv, dass es den sozial verträglichen Rahmen sprengt, wie ihre adoptierten Kinder Rectangula und Intersecta klagen, die sich missachtet fühlen. Während Rectangula sich emotional verhärtet hat, liebt Intersecta alle und leidet.

Prism stiftet Unruhe, und der bösartige Geodat tritt auf, um die abwesende Circula zu verleumden. Schließlich wird Circula durch Parabola ermordet, der eine monströse geometrische Figur („a huge, jagged, ragged object of felonious size and endowed with spikes“) nach ihr wirft. – Abgesehen davon, dass dieser Handlungsverlauf eher misogyn ausfällt, beweist sich der Librettist mit der nachdrücklichen Vernichtung des Konzepts der romantischen Opernliebe als der eigentliche Avantgardist des Projekts.

Die Musik, die Blitzstein dazu komponiert hat, ist ein Konglomerat zahlreicher musikalischer Stilrichtungen, dessen prinzipielle Bühnenwirksamkeit in der rein konzertanten Aufführung nicht voll zum Tragen kommt, da choreografische und visuelle Elemente fehlen. Eigentlich aber müsste „Parabola et Circula“, ganz im Bauhaus-Geist, als multimediales Gesamtkunstwerk erlebt werden.

In der zweiten Konzerthälfte reichen die Ohren aus zur Rezeption, als die Norrköpinger mit dem Pianisten Tzimon Barto die 2. Symphonie von Leonard Bernstein spielen: eine halbe Stunde ganz großen musikalischen Glücks zur Belohnung.

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