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Oper „Der Vampyr“ in HannoverGeschichte einer Entmenschlichung

Ersan Mondtag verpasst Heinrich Marschners „Der Vampyr“ in Hannover eine Lokalkolorit-Infusion. Dank der spukt er gruselig über die Staatsopernbühne.

Der Schmelz von Michael Kupfer-Radeckys Bariton (Mitte) bringt Astarte (Oana Salomon) zum Stottern Foto: Sandra Then (Staatsoper Hannover)

Und losbricht ein echter Höllentanz: Das erste Bild der Oper „Der Vampyr“ gehört gleich dem großen Geisterchor. Hier ergeht der teuflische Auftrag an den untoten Lord Ruthwen, bis Mitternacht dreier Frauen Blut zu trinken, um ein weiteres Jahr auf Erden wandeln zu dürfen.

Die Exposition ist musikalisch von großartiger Schaurigkeit. Wilde Chromatik bringt die Harmonien ins Rutschen, Synkopen verunsichern den Takt, in den Ohren schmerzen schrille Piccolo-Läufe. Tolle Musik ist das, vielleicht die beste, die Heinrich Marschner je geschrieben hat. So mitreißend befiehlt’s: „Ihr Hexen und Geister schlingt fröhlich den Reihn“.

Der von Lorenzo da Rio glänzend eingestellte hannoversche Staatsopernchor schleudert diese Aufforderung zum Tanz so direkt ins Publikum, dass es sich nur gemeint fühlen kann. Josa Marx hat die Sän­ge­r*in­nen in Monsterkostüme gesteckt, deren Ästhetik genau die Mitte zwischen Muppet Show und Höllen-Breughel trifft.

So toben sie über ein Trümmerfeld vor der von Sascha Zauner gespenstisch ausgeleuchteten Nachbildung von Hannovers Neuer Synagoge, wie sie, zerstört, verbrannt, am 10. November 1938 ausgesehen haben muss; nur dass die Maßwerkfüllung ihrer Rosette im Original keinen Davidstern gebildet hatte.

Eine knalldeutsche Oper

„Wegen grauser Freveltaten/ward der Boden hier verflucht“, singt der verzweifelt-frohe Geisterchor. „Drum wird er von uns gesucht.“ Ja, „Der Vampyr“, obwohl angelehnt an eine Erzählung von John Polidori, ist eine knalldeutsche Oper.

Mit dem Lokalkolorit aber implantiert ihr Ersan Mondtag, für Regie und Bühne zuständig, auch die Beziehung des Komponisten zu Hannover: Heinrich Marschner hat 30 Jahre lang an der Leine gelebt, dort ist er auch begraben. Ohne es zu ahnen, hatte er, als er im Januar 1831 sein Amt als Opern-Kapellmeister antrat, das Ende seiner Karriere erreicht.

Dabei sah es damals richtig gut aus für ihn: Kurz nach dem auch international erfolgreichen „Vampyr“ – allein 60 Vorstellungen in London! – hatte er mit „Die Jüdin und der Templer“ nach Walter Scott einen zweiten Top-Hit gelandet. Marschner war 35, zweimal verwitwet, glücklich neu verheiratet.

Der Job in Hannover: mit 1.000 Talern Jahresssalär echt mies bezahlt. Er musste aus den eigenen Ersparnissen 800 Taler verbrauchen, um in der teuren Stadt über die Runden zu kommen, aber hey!, die erste Festanstellung, und direkt beim König! Das ist doch nicht nichts für den Sohn eines böhmischen Horndrechslers! Das ist doch ein Anfang!

Allerdings der Anfang des Endes, sein Job wird den armen Kerl aufzehren. Da ist das ständige Barmen bei Hof um ein wenigstens auskömmliches Gehalt, das ewige Betteln um etwas Zeit fürs Komponieren, später dann das Mobbing durch einen inkompetenten Intendanten, der ihn hasst.

Und das Schlimmste: Hannovers Publikum jubelt Marschner zu, auch, als er nur noch behagliche Routinekompositionen fabriziert, die überall sonst durchfallen. Berlin, Budapest, Wien: Marschner weiß, dass Komplotte gegen ihn geschmiedet werden, den treudeutschesten Tonsetzer, während die Opernintendanzen ihren welschen Chefdirigenten den Zucker nur so reinblasen in den … Ist doch wahr!

Das alles jedoch passiert viel später. Der selbstmitleidige Nationalismus ist im „Vampyr“ höchstens angelegt – viel unsichtbarer als das wilde Heer, das, einmal aufgetreten, sofort unter die Erde verdrängt wird. Von dort aus spukt es als irres Trillern noch durch die volksliedhaftesten Passagen der Oper.

Mondtag macht das einkomponierte Unheimliche elegant sichtbar: Er lässt drei Dämonenkinder durch die Fest- und Sauftableaus tanzen, mittels derer deutsche Opern nun mal die ganz normalen Leut’ definieren. Von ihnen hebt sich der von Michael Kupfer-Radecky geschmeidig und sexy gesungene Vampyr mit expliziten Beethoven-Anleihen heroisch ab.

Dagegen wirkt Norman Reinhardt als sein guter Widerpart Edgar leblos und Mercedes Arcuri als dem Biss entrinnende Malwina vor allem dominant. Die Komposition verlangt das auch so: Kaum ist Ruthwen in d-Moll geoutet und beseitigt, schmettert sie ihr bigottes Triumphlied in A stahlhart über die Rampe. Es lehrt, dass Schlimmes keinem passiere, der „Gottes Furcht im frommen Herzen“ trage. Eine grausame Moral. Erbarmen kennt sie keins.

Erdölabhängigkeit und Konsumismus dienen als Landmarken des Deutungshorizonts. Erzählt werden soll laut Dramaturg Till Briegleb insbesondere die Story vom Außenseiter Ruthwen, die Geschichte seiner – unmenschlichen – Entmenschlichung. Das ist plausibel.

Die Oper

Heinrich Marschner: „Der Vampyr“.

Nächste Aufführungen: 31. 3.; 8. + 21., 23. und 30.  4. sowie 6.5., jeweils 19.30 Uhr, Hannover, Staatsoper.

Der Mitschnitt des Premierenlivestreams steht auf operavison.eu bis Ende September zur Verfügung.

Nur ist man dafür auf die Idee verfallen, ein paar Götter im Exil durch die Inszenierung irren zu lassen: Oana Salomon schwebt, seltsam textunsicher, als früh verteufelte babylonische Astarte vom Schnürboden herab: Sie ist die Vampyrherrscherin. Ahasver, der Ewige Jude (Jonas Grundner-Culemann), latscht als schwafeliger Wiedergänger des Brian von Nazareth durchs Geschehen. Hinzu kommt ein logorrhöischer Lord Byron, den Benny Claessens in pinkem Samt­anzug Mattwitze reißen lässt.

Das wirkt, als hätte man für kluge Gedanken keine szenische Entsprechung gefunden. Zugleich ist es möglicherweise unklug, ausgrenzende Stereotype wiederzubeleben, um sie, gebrochen, zu reflektieren: Das übersieht, dass Musik die Macht hat, über jede solche Brechung hinwegzutanzen, ja: die Macht, zu berauschen.

Dank Stephan Zilias’ temperamentvollem Dirigat und der Lust des Staatsorchesters am Spielen übt sie diese Macht auch aus: Sie übertönt noch im Pianissimo die Vernunft. Besonders gelingt dies Sopranistin Nikki Treurniet als zweiter Vampyrsbraut, wenn sie mit ihrer großen Solo-Romanze den ganzen Saal in Wärme hüllt.

Dieses balladeske Lied ist pures Othering in zärtlichstem f-Moll: Es designiert „den bleichen Mann“, den die junge Frau bloß nicht ansehen solle, denn dann wär es bald um sie gethan, und dann … schlimm, schlimm, schlimm. Und doch, was sich hier ausspricht, ist keine Angst, sondern Sehnsucht nach dem Verbotenen. Wunderschön. Ein Highlight. Sie wird sterben müssen.

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