Onlinewahlkampf in Frankreich: Le Pen im Matsch
Der Front National ist seinen Konkurrenten online weit voraus. Allein Jean-Luc Mélenchon bietet der „Fachosphère“ im Netz die Stirn.
Ende März führte der Front National den Präsidentschaftskandidaten Emmanuel Macron online vor – mal wieder. Das Video „Le vrai Macron“ („Der wahre Macron“) im YouTube-Kanal von Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen zeigt einen hässlich grinsenden Comic-Macron, der sich in eingespielten Zitaten gegen die Vorstellung einer einheitlichen französischen Identität und Kultur ausspricht.
Und weil der arme Macron nach Auffassung des FN nicht kapiert zu haben scheint, was französische Nationalkultur ausmacht, erklärt es ihm Le Pen in den letzten Sequenzen des Videos und präsentiert sich im typisch französischen Idyll: in einer katholischen Kirche, im Matsch eines ordentlichen französischen Bauernhofs und natürlich vor der malerischen Kulisse einer herrschaftlichen Burg.
Die anderen Parteien haben auf die digitalen Vorstöße des FN keine ausreichende Antwort, sagt der Polit-YouTuber Jean Massiet: „Französische Politiker_innen nutzen nicht die Potenziale, die die sozialen Medien ihnen bieten“, kritisiert er im Gespräch mit der taz.
Dies beträfe nahezu alle Bewerber um das Präsidentenamt: „Fillon, Macron und Hamon veröffentlichen über YouTube im Wesentlichen Zusammenfassungen ihrer Interviews aus dem Fernsehen. Sie verstehen die YouTube-Kultur, die Kultur der sozialen Medien im Allgemeinen nicht richtig und benutzen dieselben Kommunikationsstrategien wie im Fernsehen. Aber das funktioniert nicht“, erklärt Jean Massiet im Skype-Interview. Er ist Gründer des YouTube-Kanals accropolis, auf dem er politische Debatten und Prozesse in einfacher Sprache erklärt und in direkten Dialog mit seinen Zuschauer_innen tritt.
Rechte Seiten werden häufig geklickt
Gerade die sozialen Medien bieten eine neue Chance, mit den Bürger_innen einfach und effektiv in einen Dialog zu treten, glaubt Massiet. Diese Chance nutzen sie aber nicht, sie beten fernsehmäßig monoton Versprechungen herunter – Gelegenheit verpasst, kritisiert Massiet: „Die Politker_innen sollten weniger ihre Parteiprogramme präsentieren, sondern mit den Bürger_innen über deren Wünsche, Hoffnungen und Ängste sprechen.“
Der FN ist, was seine Präsenz im Netz angeht, den anderen französischen Parteien immer etwas voraus gewesen. Als die anderen Parteien ihre Onlineauftritte Ende der nuller Jahre schwerfällig aufbauten, war der FN bereits auf Twitter, YouTube und Facebook aktiv und führte mithilfe extrem rechter Seiten wie Fdesouche oder Egalité et reconsiliation die politischen Internetdebatten an. Nach Angaben der Analyseseite Alexa waren im Juni 2016 sieben der zehn meistgeklickten politischen Websites in Frankreich der radikalen Rechten zuzuordnen. Dieses Konglomerat nennt man auch Fachosphère.
Guten Umgang damit findet nach Ansicht von Massiet nur der linke Präsidentschaftskandidat: „Jean-Luc Mélenchon bietet der Fachosphère mit seinen Onlineformaten die Stirn. Bei ihm ist eine Strategie erkennbar, er liegt mit über 200.000 YouTube-Abonnenten weit vor allen anderen Kandidaten, auch vor Marine Le Pen.“ Erstaunlich: Es ist der 65-jährige Mélenchon, der mit seiner linkspopulistischen Bewegung „La France insoumise“ („Ungehorsames Frankreich“) mehr Menschen im Netz mobilisiert als der Jüngste der Kandidat_innen, der 39-jährige Emmanuel Macron, dessen Wahlslogan „En Marche – In Bewegung“ das vielleicht eher vermuten lassen könnte.
Mélenchons Team baut seine Kommunikationsstrategie stark auf dem Wahlkampftool NationBuilder, der Videoplattform YouTube und einem Jugendcomputerspielforum aus. Der Provider NationBuilder ist ein Content Management System, das alle gängigen Social-Media-Kanäle in einem System vereint und den Kontakt zu den Wähler_innen vereinfacht. Vor allem die Kommunikation mit freiwilligen Helfer_innen und Spender_innen wird über diese Plattform erleichtert.
Rückhalt aus der Computerspielszene
Im Gegensatz zu anderen Kandidat_innen präsentiert Mélenchon auf seinem YouTube-Kanal eigene Formate. Neben dem Format der Wochenrückblicke spielt er in „Pas vue à la télé“ („Nicht im Fernsehen gesehen“) den Journalisten und lädt Menschen mit politischen Anliegen ein, die seiner Meinung nach in den traditionellen Medien nicht genügend Aufmerksamkeit bekommen haben.
Kurios ist sein Engagement im Computerspielforum Jeuxvideo.com: Nachdem sein Team mitbekam, dass in dem Forum über Mélenchon diskutiert wird, dankte Mélenchon den User_innen persönlich in einem seiner Wochenrückblicke. Seitdem kann er einen enormen Rückhalt aus der Computerspielszene verzeichnen und hat damit junge Menschen erreicht, die online weitere Mitstreiter_innen für ihn mobilisieren.
Und auch jenseits des Internets wartet Mélenchon mit futuristischer Technik auf. Im Februar 2017 trat er mithilfe eines Hologramms gleichzeitig in Lyon und in Paris auf. Zusätzlich verfolgten rund 20.000 Zuschauer_innen seine Rede live auf YouTube.
Jean Massiet glaubt, dass Mélenchon ein gutes Beispiel bietet, wie man den Einfluss der Fachosphère dauerhaft mindern könnte. „Ich hoffe, dass die Debatten online wachsen werden, denn es ist meiner Meinung nach eine offene Diskussionskultur, die die extreme Rechte zurückdrängen könnte.“
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