Onlinewahlkampf der SPD: Roter Anstrich mit Bewegung
Innovativ, klassisch oder peinlich? Wir analysieren, wie sich die Parteien während des Wahlkampfes im Netz schlagen. Dieses Mal: die SPD.
Der Klassiker - die Parteiseite
Purpur oder das Rot der Sozialdemokratie? Die SPD entscheidet sich, sich nicht zu entscheiden – zumindest, was die Farbgebung auf ihrer Homepage angeht. Mal sind Schrift und Bilder purpur – außerhalb von Werbeagenturen auch Lila genannt – mal klassisch sozialdemokratisch rot. Meistens fließen die zwei Farben aber regenbogenhaft ineinander. Wieso?
2011 übermalte die Partei ihre Niederlage beim Steinmeier-Wahlkampf lila, damit die Zukunft rosiger wird. Gleichzeitig will sich die SPD aber wieder den roten Anstrich der Gerechtigkeitspartei geben, die sie vor Schröder einmal war. Die SPD als Speerspitze der Bewegung!
Schön und gut, auf ihrer Homepage nervt Bewegung nur. Alle zwei Sekunden läuft ein Banner, auf dem SPD-Themen stehen, um eine Position weiter. Kleiner Tipp: Oben rechts der Animationsstopp. Noch eine Anregung: Die Grafiken sehen aus wie Anzeigen. Liegt es an den dicken Balken oder der schlechten Einbettung in den Text – egal, ändern! Noch ist es nicht zu spät. Denn eine Vermischung von sozialdemokratischen Inhalten und Wirtschaft - diesen Eindruck will die SPD bei dem Spitzenkandidaten nicht erwecken.
Lieber will sie freundlich wirken. Nachdem schon im SPD-Wahlspot echte Menschen zu Wort kommen, werden die Parteithemen online von perlweiss-lächelnden, seidenhaarigen Models präsentiert. Die Videos, die Fakten und Forderungen der SPD etwa zum Thema Arbeit vermitteln sollen, meinen es zu gut mit der jungen Ansprache.
Sie sind schön produziert und der loungige Elektro-Beat ist nicht peinlich. Nur einen Fremdschämmoment gibt es, wenn eine Mädchenstimme sagt: „Wer bekommt heute noch einen normalen Job, mit Anerkennung und so?“ Wer will da besonders jung sein, mit allen Mitteln und so?
Geschenkt, dass die Startseite wie jede x-beliebige Nachrichtenseite aussieht, verziehen, dass, wer Mitglied werden will, auch nach drei Klicks noch nicht beim Online-Antrag ist, vergessen die Frage, für wen eigentlich die Positionen der SPD als Audio abrufbar sind – für Sehbehinderte? Nur leider wird nirgends auf diesen Service hingewiesen. Nein, wir wollen nicht nur über, sondern auch mit der SPD lachen. Und das geht. Am Ende der Homepage verbergen sich hinter zwei der sechs rot-lila Buttons gelungene Onlineauftritte.
Der schwarzgelblog ist zwar „nur“ ein Blog, aber dafür gibt's witzige Videos. Etwa wenn eine Szene aus dem „Leben des Brian“ zum Blick durch's Schlüsselloch in die CDU-Zentrale wird. Nur blöd, dass die FDP dieselbe Idee hatte. Originale gibt es auf der Seite zu 150 Jahre SPD. Vor allem die Werbesports der SPD und CSU von den 60ern bis jetzt lohnen sich.
Das Neuland - die Social Media Präsenz
Warum die SPD bei Facebook fast 15.000 mehr Likes hat als die CDU, weiß niemand. Wirklich Überraschendes gibt es hier nicht. Die Bildergalerie ist zugespamt mit hunderten Wahlkampf-Postern. Echte Fotos mit echten Menschen, das wär doch mal bürgernah.
An den Twitter-Papst und CDU-Umweltminister Peter Altmaier kommt die SPD auch nicht heran. Kurzzeitig weckte Gesche Joost Hoffnungen. Im Mai holte sie Steinbrück in sein Kompetenzteam, als Netzexpertin. Wer, wenn nicht Sie, hätte Altmeier überholen können? Jeder. Bevor sie als die Fachfrau für neue Medien gehandelt wurde, pausierte Joost bei Twitter gerne mal für vier Tage und hatte nur 103 Follower. Jetzt hat sie immerhin 2855 und postet jeden Tag. Das sieht alllerdings mehr nach Pflichtübung als nach wahrer Leidenschaft aus.
Das Oberhaupt
Peer Steinbrück führt zumindest auf Twitter die Spitzenkandidaten an. Niemand hat so viel Follower wie er, über 50.000. Authentisch wirkt sein Auftritt nicht, denn Steinbrück schreibt sicher nicht selbst. Oder wie hätte er gleichzeitig beim TV-Duell und auf Twitter sein können? Selbst betätigt sich der Spitzenkandidat aber auch. Er kritzelt regelmäßig Notizzettel voll, die dann auf seiner Homepage unter der Rubrik „Kurz notiert“ ausgestellt werden.
Sie sehen aber leider nur persönlich aus. Inhaltlich sind es platte Wahlkampfsprüche. Immerhin sieht die Homepage von Peer Steinbrück schöner aus, als die seiner Partei. Keine ausgefransten Texte, dafür ein kompaktes Bild, zusammen gesetzt wie aus Memorykarten, hinter denen sich das Leben oder das Kompetenzteam von Steinbrück verbergen.
Die Kleinigkeiten
Schön, dass die SPD ihre Wähler auf allen Kanälen bedienen will: Video, Audio, Bildergalerien. Wenn diese noch unterschiedliche Inhalte hätten, gäbe es ein Sternchen. Haben sie oft nicht. Steinbrück erzählt nur als Audio oder im Video bei dem Thema Mieten immer die gleiche Geschichte'. Wie im Kreisverkehr!
Der Peinlichkeitsfaktor
Liebe Politiker, ja, es gibt sie, die neuen Medien und ja, es ist gut, wenn ihr euch damit auskennt. Aber wenn ihr damit nichts anfangen könnt, dann lasst es einfach. Dieses Video der SPD-Bundestagsabgeordenten Gabriele Hiller-Ohm zeigt Euch, warum.
Gesamteindruck
Es scheint, als hätten sich einige Leute bei der SPD wirklich Gedanken darüber gemacht, was es so kann, dieses Internet. Dabei sind ein paar schöne Ideen rausgekommen. Nur manchmal hat es die SPD übertrieben. Etwa, wenn sie ganz besonders jung erscheinen mag. Anscheinend gibt es ja Leute bei der SPD, die mit dem Internet spielen können. Es wäre schön, wenn man ihnen dieses Feld auch überlassen würde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind