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Online-SupermärkteJetzt ist auch Getir am Ende

Jonas Wahmkow
Kommentar von Jonas Wahmkow

Bald müssen Yuppies wieder selbst einkaufen gehen. Zurück bleiben ausgebeutete Fah­re­r:in­nen.

Verlässt den deutschen Markt: der Online-Supermarkt Getir Foto: Reto Klar/Imago

D er Vorhang ist gefallen: Der Onlinesupermarkt Getir zieht sich aus Europa und den USA zurück und will sich auf seinen türkischen Heimatmarkt beschränken. Das Unternehmen hat den letzten 1.300 Mitarbeitenden bis Montag gekündigt.

Gorillas, das zeitweilig jede zweite Werbetafel Berlins mit provokanten Sprüchen zugekleistert hat, ist bereits seit August vergangenen Jahres nur noch eine tote Hülle. Konkurrent Getir übernahm das Unternehmen und entließ schon damals rund die Hälfte der Angestellten. Aus Kostengründen wurden die Marken damals nicht fusioniert.

Lediglich Flink harrt noch auf dem deutschen Markt aus, vor allem durch seinen starken Partner Rewe. Aber auch hier mehren sich die Stimmen, das verlustreiche Geschäft bald einzustellen. Es scheint, als sei das Geschäftsmodell der Onlinesupermärkte am Ende.

Denn profitabel waren Getir und Co selbst zur Hochzeit in der Coronapandemie nie. Dafür sind die gelieferten Mengen einfach zu gering, der logistische Aufwand für die versprochenen 15 Minuten, in denen die Ware beim Kunden sein sollte, zu hoch und die Liefergebühren zu niedrig. Bran­chen­ken­ner:in­nen warnten von Anfang an, dass Onlinesupermärkte in Deutschland keine Zukunft haben würden.

Was vom Ende Getirs bleibt, ist ein Lehrstück des modernen Bullshit­kapitalismus. Anders als in seiner klassischen Variante geht es hier nicht darum, den Mehrwert aus der Arbeit der Beschäftigten zu kassieren, sondern mit einer Art Theaterstück möglichst viel Investorenkapital einzuwerben.

Astronomische Profitmöglichkeiten in der Zukunft

Die Story des Stücks ist immer die gleiche: Ein geniales Start-up kommt und will irgendetwas Alltägliches von Grund auf revolutionieren – in diesem Fall den Supermarkteinkauf. Mit der Idee werden astronomische Profitmöglichkeiten in der Zukunft beschworen. Kurzfristige Verluste können da schon mal in Kauf genommen werden, denn am Ende winkt ein Monopol – das „The winner takes it all“-Prinzip; eine heile Welt, in der niemand mehr in den Supermarkt geht, sondern nur noch stündlich per App Chips, Nudeln und Pesto bestellt.

Je glaubwürdiger die Start-ups ihr Theater spielen, desto mehr Kapital ziehen sie an. Und je mehr Kapital sie anziehen, desto glaubwürdiger werden sie – eine Spirale, die zusammenbricht, sobald sie auf die Realität trifft.

Ar­bei­ter:in­nen werden in diesem Spiel zu Statisten degradiert. Anfangs stellten Getir und Co möglichst viele Fah­rer:in­nen ein, um Wachstum zu simulieren. Ganz egal, dass die Lohnkosten in Deutschland viel zu hoch und die Fah­rer:in­nen einen Großteil der Zeit nichts zu tun hatten. Wenig später entließen sie viele, um Profitabilität vorzutäuschen. Funktionierende Fahrräder, warme Winterkleidung und rückenschonende Transportboxen hatte die Fah­rer:in­nen aber nur selten. Böse Zungen behaupten, es sei den Lieferdiensten nie darum gegangen, ein nachhaltiges Geschäftsmodell zu etablieren.

Lästige Störungen

Streiks, Arbeitsschutz und Betriebsratsgründungen sind in den Augen der Bullshitkapitalisten nur lästige Störungen der Inszenierung. Deshalb greifen sie besonders gerne auf migrantische Ar­bei­ter:in­nen zurück, die ihre Rechte nicht kennen und auf ihren Arbeitsplatz für ihre Aufenthaltserlaubnis angewiesen sind. Dumm nur, dass gerade die Gorillas-Beschäftigten ziemlich gut darin waren, sich zu organisieren.

Nicht zuletzt sind auch die Kon­su­ment:in­nen im Bullshitkapitalismus egal. Denn gefragt, ob wir wirklich eine Revolution des Supermarkteinkaufs brauchten, hat uns schließlich niemand. Musste man ja auch nicht, denn die Milliarden sind geflossen und die Taschen der Gründer sind voll. Was bleibt, sind die geschundenen Rücken der Fah­rer:in­nen.

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Jonas Wahmkow
Redakteur für Arbeit und Soziales im Berlin Ressort.
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10 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • "Was vom Ende Getirs bleibt, ist ein Lehrstück des modernen Bullshit­kapitalismus. (...) Ar­bei­ter:in­nen werden in diesem Spiel zu Statisten degradiert. (...) Streiks, Arbeitsschutz und Betriebsratsgründungen sind in den Augen der Bullshitkapitalisten nur lästige Störungen der Inszenierung. Deshalb greifen sie besonders gerne auf migrantische Ar­bei­ter:in­nen zurück, die ihre Rechte nicht kennen und auf ihren Arbeitsplatz für ihre Aufenthaltserlaubnis angewiesen sind."



    Sauber auf den Punkt gebracht 👍



    Jetzt wünsche ich mir noch eine genauere Recherche wo Getir, Gorillas und flink am meisten ausgeliefert haben - meiner eigenen Wahrnehmung nach sah und sieht man ihre Räder nämlich in Berlin interessanterweise auffällig häufig in Prenzlauer Berg und Friedrichshain-Kreuzberg durch die Straßen flitzen...



    Doppelmoral ick hör dir trapsen - grad da wo vermehrt links gewählt und progressiv gelebt wird florier(t)en derlei Dienste ganz besonders 😯 - es war (und ist) halt super bequem UND hip UND während Corona konnte man damit auch noch nach außen hin auffällig sein Verantwortungsbewusstsein zur Schau stellen - Moral ist halt bei keinem unendlich 🤷‍♂️

  • Dabei ist das Geschäftsmodell schon auf den ersten Blick Schwachsinn. Denn die Lieferdienste gibt es schließlich nur da, wo eh an jeder Ecke alles verfügbar ist. Es ist also ohne weiteres möglich, die fehlenden Nudeln in unter 10 Minuten selbst aus dem Supermarkt zu holen oder die gewünschte Tüte Chips von Kiosk gegenüber.



    Ich wage außerdem zu behaupten, dass das Konzept dann für viele doch zu offensichtlich Dekadenz und rücksichts- und planlosen Konsum beschworen hat und moralische Hemmungen bestehen, für spontan zur Unzeit auftauchende Gelüste einen Ausgebeuteten an die Haustür zu zitieren.

  • Mindestlohn anheben, verbindliche Arbeits- und Pausenzeiterfassung, die am besten stichprobenartig vom Zoll/Gewerbeaufsicht jederzeit online eingesehen werden kann Anpassung der Richtlinien für die Arbeitssicherheit und die durch den Arbeitgeber zu stellende Ausrüstung.



    Bevor wieder so ein paar hippe Typen eine tolle Geschäftsidee entwickeln. Schwachsinnigen Turbokapitalismus oder die Simulation selbigens darf man auch mal im Keime ersticken.

  • Ich habe einmal nach einen Krankenhausaufenthalt einen Lebensmittel Lieferdienst ausprobiert. Die Hälfte der Ware hatte Mängel, war nicht lieferbar oder es wurde mir statt der Eigenmarke das Teurere Markenprodukt geliefert. Ich habe fast ein Drittel mehr bezahlt als wenn ich zum selbst zum Supermarkt gegangen wäre. Einmal und nie wieder. Ein paar Konserven reichen zur Not zu Hause

  • Ich sehe das als willkomene Rückverteilung. weg von Investmentfonds, hin zu allen, die damit etwas zu tun hatten.

    • @Sybille Bergi:

      Haken bei der Sicht: Zu denen, "die damit etwas zu tun hatten", gehören vor allem die Gründer dieser Firmen, die sich die Taschen voll gemacht (und das Geld insolvenzsicher verstaut) haben, bevor der Vorhang fällt.

  • Solange ich meinen Hintern selber zum Supermarkt tragen kann, werde ich das auch tun.

  • Ist Getir in Deutschland in Konkurs? Falls ja, warum und wie sollten dann Entschädigungen für die Mitarbeiter gezahlt werden? Wäre interessant gewesen, das etwas genauer zu erfahren. Abgesehen davon es gibt gegenwärtig Schrottjobs wie bei Getir an nun wirklich jeder Ecke.

    • @Nachtsonne:

      Was für Entschädigungen? Falls es noch Lohnforderungen gibt, muss man warten, ob es zu einer Insolvenz kommt. Beim "Erfolg" des Geschäftsmodells muss eigentlich erwartet werden, dass für eine Insolvenz nicht genug Masse vorhanden ist.

  • Gier frisst Hirn, wer ein wenig denken kann weiß, dass das diese "Geschäftsidee" keine ist. Das erinnert mich auch an die Dotcom-Blase, da wurde jeder Gründer der das Wort Internet in seine Geschäftsidee gepackt hatte mit Geld zugeworfen.



    Die Mutter der Dummheit ist halt immer schwanger...