Online-Magazin „Addendum“: Nichts als die Wahrheit
Die österreichische Plattform soll die „Lücken“ des Journalismus füllen und gibt sich politisch neutral. Oder ist sie nur ein Alpen-Breitbart?
![Ein Mann fährt mit einer Frau als Beifahrerin auf einem Red Bull-Motorrad Ein Mann fährt mit einer Frau als Beifahrerin auf einem Red Bull-Motorrad](https://taz.de/picture/2315426/14/19327636.jpeg)
Dietrich Mateschitz, 73, der eine Zuckerwassermischung zum Welterfolg gemacht hat, hält sich nicht mit Kleinigkeiten auf. Der Mann, der sich zwei Formel-1-Rennställe, zwei Fußballteams und Extremsportler sonder Zahl hält, kleckert nicht. Er klotzt. Und obwohl er sich bisher nicht als Bildungsbürger hervorgetan hat, liebt er es neuerdings Latein.
„Addendum“ ist das, was hinzuzufügen ist. Der vom Gründungsteam erfundene Name ist wohl eine Anspielung auf die „Lückenpresse“, die mit gezielten Auslassungen operiere. Man will uns also die volle Wahrheit sagen. Dazu passt auch die gemeinnützige Stiftung Quo vadis veritas?, die als Träger fungiert. „Wahrheit, wohin gehst du?“ Mateschitz lancierte das Projekt im September als „multimediale Antwort auf die viel zitierte Krise des Journalismus“.
Der Dosenmilliardär hat zu Recht erkannt, dass guter Journalismus heute unterfinanziert ist. Bei „Addendum“ klemmt sich ein Team von erfahrenen Journalistinnen und Journalisten sechs Wochen lang hinter ein einziges Thema und stellt dann die Beiträge, die alle Aspekte möglichst erschöpfend ausleuchten, nach und nach ins Netz. Zuletzt 14 Artikel zum Thema Terrorismus – bisher ohne Bezahlschranke. „Dieser rekonstruktive Journalismus stellt nicht den Anspruch, die Wahrheit gefunden zu haben, wir bemühen uns aber, ihr mithilfe von Recherche und Datenanalyse so nahe wie möglich zu kommen“, heißt es in der Selbstdarstellung.
Da wird zunächst durch eine Erstreckung auf die vergangenen 46 Jahre der Terrorismus in Europa in den historischen Kontext gestellt. 61 Prozent aller Opfer sind in den drei Ländern Großbritannien, Spanien und Frankreich getötet oder verletzt worden. Auf einer Grafik wird farblich sichtbar gemacht, ob ethnisch-nationalistische, religiöse, linke oder rechte politische Motive nachgewiesen werden konnten.
Seit der Jahrtausendwende hat religiöser den ethnisch-nationalistisch motivierten Terrorismus als Hauptursache abgelöst. Man begibt sich auch auf Ursachenforschung und stellt die zehn folgenschwersten Interventionen in muslimischen Ländern vor.
Angestellte von konservativen Blättern
Von den etwa 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind die meisten mit Recherche beschäftigt. Gelegentlich werden externe Experten beigezogen. Die meisten haben ein Vorleben bei konservativen Publikationen wie Die Presse oder Kurier. Einige wurden frisch von der Uni geholt, viele sind völlig unbeschriebene Blätter. Die einzigen bekannten Namen sind die beiden Geschäftsführer: Michael Fleischhacker, ehemals Chefredakteur der konservativen Tageszeitung Die Presse, sowie der Religionskritiker Niko Alm, Anhänger des Quatschglaubens an das Fliegende Spaghettimonster, zuletzt Abgeordneter der liberalen Neos.
Mitarbeiter sind angewiesen, über ihre Arbeit nicht mit der Presse zu sprechen. Die relevante Information gehe ja aus dem Impressum und den Artikeln hervor. Tatsächlich werden bei jedem Text die an der Recherche Beteiligten samt Porträtfoto ausgewiesen und alle Quellen offengelegt.
Bei der Präsentation der Plattform am 25. September hat Fleischhacker noch Stellung genommen: „Die Bürger haben den Eindruck, dass sie manipuliert werden.“ Traditionelle Medien würden nicht unbedingt absichtlich die Unwahrheit verbreiten, allerdings würden die Informationen immer mehr und gleichzeitig immer unvollständiger. „Das, was da nicht stimmt, ist, dass etwas fehlt.“
Geldgeber Dietrich Mateschitz hält wenig von Politikern und hat wiederholt seinen Zorn über die sogenannte Willkommenskultur kundgetan. Kein Zufall, dass gleich der erste Schwerpunkt dem Thema Asyl gewidmet war. Aber Mateschitz ist zu schlau, als dass man den Beiträgen eine eindeutige Tendenz nachweisen könnte. „Addendum“ ist weder links noch klar rechts, weder Boulevard noch für die Intellektuellen gemacht. Die Süddeutsche Zeitung machte sich lächerlich mit der Vermutung, dass da ein „Alpen-Breitbart“ Falschnachrichten in die Welt setzen würde.
Wenn „Addendum“ nachhaltig zur Hebung der journalistischen Qualität in Österreich beiträgt, sei es willkommen. Allerdings sollten die Mitarbeiter nicht auf die Idee kommen, einen Betriebsrat zu gründen. Bei Mateschitz’ Servus TV hat dieses Vorhaben fast zur Einstellung des Senders geführt.
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