Ombudsfrau über Diskriminierung: „Nicht immer böse gemeint“
Die Polizei verhindere bewusst, dass Vorfälle aufgeklärt werden. Diesen Eindruck habe sie manchmal, sagt Berlins Ombudsfrau Doris Liebscher.
taz: Frau Liebscher, seit fast eineinhalb Jahren gibt es das Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG), das Diskriminierung durch Berliner Behörden verbietet. Und es gibt Ihre Ombudsstelle, an die man sich wenden kann, wenn einem dies passiert. Wie vielen Menschen konnten Sie bislang helfen?
Doris Liebscher: Insgesamt hatten wir bislang etwa 850 Beschwerden, von denen wir rund ein Drittel weiter vermittelt haben, weil wir nicht zuständig waren. Zum Beispiel, wenn es um Beschäftigungsverhältnisse geht, hilft nicht das LADG sondern das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Ebenso wenn es um Vermieter geht, die nicht landeseigene Wohnungsgesellschaften sind. Wir hatten also bislang etwa 550 Anfragen, wo es um eine Diskriminierung entweder durch Berliner Behörden geht oder durch andere Einrichtungen des Landes: die BVG, die Berliner Bäder Betriebe, Kultureinrichtungen etc.
Über wen wird besonders viel geklagt?
Wir haben festgestellt, dass es in Bereichen, wo es einen 1:1-Bürger*innenkontakt gibt und gleichzeitig Situationen vorkommen, die Stress produzieren können, häufiger zu Diskriminierung kommt. Das ist zum einen beim Kontakt mit Polizei, aber auch mit Ämtern. Zum Beispiel haben wir sehr viele Beschwerden über Bürgerämter. Da haben die Kolleg*innen einen bestimmten Takt zu erfüllen, sie haben zum Beispiel cira 15 Minuten Zeit pro Anliegen – was dazu führt, dass sobald jemand aus der Norm herausfällt, es schnell zu Stress kommt. Und in diesen Stresssituationen wird augenscheinlich Diskriminierung aktiviert.
Augenscheinlich?
Ja, weil das die Beobachtungen sind, die wir machen. Diskriminierung muss ja gar nicht böse gemeint sein, oft sind es unbewusste Stereotype, die dazu führen. Wenn zum Beispiel jemand ins Standesamt kommt und nicht gut Deutsch spricht oder sein Name entspricht nicht der deutschen Normalvorstellung von Namen, dann ist das eine diskriminierungsanfällige Situation. Denn offenbar führt Stress dazu, dass solche unbewussten Stereotype aktiviert werden.
Um was für Arten von Diskriminierung geht es zumeist? Um Beleidigungen, Benachteiligungen?
Das geht oft Hand in Hand, gerade wenn wir über Behörden sprechen. Wenn man zum Beispiel in eine Verkehrskontrolle gerät und der Eindruck entsteht, der vielleicht bestätigt wird durch Zeuginnen, dass hier jemand kontrolliert wurde, weil er oder sie nicht typisch deutsch aussieht, ist das erstens eine herabsetzende Erfahrung. Zweitens ist es eine öffentliche Kriminalisierung, weil andere Leute das sehen. Und drittens kann es sein, dass damit auch noch ein Bußgeldbescheid einhergeht. Das heißt, wir haben Diskriminierung oft auf verschiedenen Ebenen – von Herabsetzung bis zur handfesten Benachteiligung.
Doris Liebscher, geboren 1974, ist Juristin und seit Juli 2020 Leiterin der Ombudsstelle zum LADG.
Vielfach kann man Diskriminierung nicht beweisen. Wie nehmen Sie das wahr: Müssen Sie harte Beweise anführen? Oder zeigen die Ämter Einsicht?
Die Erfahrungen sind sehr unterschiedlich. Tatsächlich können wir nicht alle Fälle glasklar beweisen. Oft müssen wir daher wie ein Richter die Glaubwürdigkeit einer Beschwerde einschätzen. Diese unsere Einschätzung, die natürlich auf bestimmten Kriterien beruht, vermitteln wir der jeweiligen Behörde – und die kann auch zu einer anderen Einschätzung kommen. Dann stellt sich für uns die Frage, ob wir jemandem raten, zu klagen.
Und? Haben Sie schon jemandem dazu geraten?
Die meisten Menschen wollen nicht klagen, sie wünschen sich eine außergerichtliche Einigung und dafür sind wir da. In den Fällen, in denen Diskriminierung beweisbar ist, hilft also bereits die Ombudsstelle, eine Klage erübrigt sich dann meist.
Vor wenigen Monaten wurde es medial sehr gefeiert, als sich die Polizei zum ersten Mal auf Ihre Vermittlung hin bei einem Betroffenen für einen Fall von Racial Profiling entschuldigte. Das ist nicht gerade viel nach über einem Jahr, oder?
Schon. Aber wenn wir uns die gesamte Debatte um Racial Profiling bundesweit anschauen, die Vielzahl der Beratungsstellen und staatlichen Beauftragten, die zu dem Thema arbeiten, ist das ein Riesenerfolg. Und zwar gerade mit Blick auf die Einsicht vonseiten der Berliner Polizei, die sagt: Ja, es gibt diese Fälle, und wenn das passiert, entschuldigen wir uns. Wir müssen mal schauen, ob es bei diesem Einzelfall bleibt. Aber ich würde das nicht zu gering schätzen.
Spüren Sie nach eineinhalb Jahren LADG eine Veränderung bei den Behörden?
Das Gesetz Das Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) trat im Juni 2020 in Kraft. Es ist bundesweit einmalig und verbietet Berliner Senats- und Bezirksverwaltungen (zum Beispiel Schulen, Polizei, Bürgerämter), landesunmittelbaren öffentlich-rechtlichen Körperschaften (zum Beispiel Hochschulen, Universitäten), Anstalten und Stiftungen, sowie Gerichten und Behörden der Staatsanwaltschaft die Diskriminierung von Bürger*innen aufgrund ihres Geschlechts, der ethnischen Herkunft, einer rassistischen oder antisemitischen Zuschreibung, der Sprache, der Religion, der Weltanschauung, einer Behinderung, einer chronischen Erkrankung, des Lebensalters, der sexuellen Identität, der geschlechtlichen Identität sowie des sozialen Status. Das Gesetz enthält eine Beweiserleichterung für Betroffene: Man muss die Diskriminierung nicht beweisen, sondern „Tatsachen glaubhaft machen“, die eine solche „überwiegend wahrscheinlich“ machen.
In Zahlen Seit Inkrafttreten des Gesetzes gab es 538 Anfragen (Stand Dezember 2021) mit Bezug zum LADG bei der Ombudsstelle. Die häufigsten Diskriminierungsgründe waren „rassistische Zuschreibung oder ethnische Herkunft“ (172), Behinderung oder chronische Krankheit (153), Sozialer Status (39), Lebensalter (39), sexuelle Identität (26). Teilweise wurden in einer Beschwerde mehrere Gründe angegeben (intersektionale Diskriminierung). Die Behörden, die am häufigsten genannt wurden, waren Polizei (72) und Bürgerämter (63).
Ich glaube, es wächst langsam ein professioneller Umgang mit dem Fakt, dass Diskriminierung überall stattfindet, und zwar auch in der Verwaltung. Und dass es Teil einer professionellen Verwaltungskultur ist, sich damit auseinanderzusetzen. Es wächst zudem die Einsicht, die wir auch immer vermitteln, dass man diskriminieren kann, ohne es zu wollen – sprich: dass Diskriminierung nicht böse gemeint sein muss. In vielen Fällen ist es Unachtsamkeit oder Stress, mal greifen unbewusste Stereotype und Vorurteile, mal geht es um die Unmöglichkeit, sich in die Perspektive der anderen Person hineinzuversetzen. Kurz: Das Thema ist nicht mehr so angstbesetzt, die Abwehrhaltung wird geringer. Wichtig ist aber auch, dass sich die Behördenkultur ändert: Was wird den Mitarbeitenden von der Leitungsebene vermittelt? Wie geht eine Leitung mit Diskriminierungsfällen um, kommuniziert sie klar ihre Erwartungen, dass in der vielfältigen Stadtgesellschaft freundlich mit Bürger*innen umgegangen wird?
Aber was, wenn das nur Show ist? Die Polizei etwa betont gerne, wie multikulturell ihre Mitarbeitenden sind und dass es kein Racial Profiling gibt, weil das ja gegen das Gesetz wäre. Die Erfahrungen von Bürger*innen sind aber oft andere.
Es gibt natürlich immer eine Schauseite, das ist insbesondere bei der Polizei stark spürbar. Ich lobe die Polizei ja immer, dass sie sich dem Thema LADG grundsätzlich offen annimmt. Aber gleichzeitig steht da stark eine Angst vor Imageverlust im Raum. Das führt einerseits dazu, dass unsere Beschwerden von der Polizei meist zügig bearbeitet werden. Andererseits wird oft gedeckelt und wir haben den Eindruck, dass sich Polizist*innen absprechen und Vorgesetzte das mittragen, also ganz bewusst verhindert wird, dass diskriminierende Vorfälle aufgeklärt und eben auch geahndet werden.
Kommen wir zu dem, was fehlt. Wer beklagt sich nicht bei Ihnen?
Wir wissen aus der Zusammenarbeit mit Beratungsstellen wie Amaro Foro, aber auch aus der wissenschaftlichen Erfassung von Antiziganismus, dass Diskriminierungen von Sinti und Roma ein Riesenproblem sind. Dennnoch bekommen wir nur wenige Beschwerden, zumeist vermittelt von Beratungsstellen. Das zeigt uns, dass diese Menschen eine sehr geringe Beschwerdemacht haben. Sie haben einfach so viel zu tun mit schlechten Lebensbedingungen, dass die Ressourcen, um sich zu beschweren, oft nicht da sind. Und es gibt zudem eine große Angst im Umgang mit Behörden – und die Ombudsstelle gilt eben auch als eine. Auch wenn wir unabhängig sind.
Was können Sie da tun?
Wir müssen noch stärker an unserer Unabhängigkeit arbeiten. Und mehr in die Communities gehen. Aber das können wir nur, wenn wir mehr Ressourcen haben.
Die meisten Geschichten enden nicht einfach, nachdem in der taz darüber berichtet wurde. Deshalb fragen wir und haken noch einmal nach: In unserer Serie „Was macht eigentlich?“ rund um den Jahreswechsel 2021/22 erzählen wir einige Geschichten weiter.
Teil 4: Das Landesantidiskriminierungsgesetz Seit Juni 2020 gibt es das LADG, Doris Liebscher von der Ombudsstelle zieht eine erste Bilanz.
Alle Texte der „Was macht eigentlich ...“-Serie sind auch online auf taz.de/berlin nachzulesen. (taz)
Sie brauchen mehr Mitarbeitende?
Dringend! Wir haben nur zwei feste, unbefristete Stellen. Ganz viel von der Arbeit wird geleistet mit Hilfe von rotierenden Regierungsrät*innen und Rechtsreferendar*innen.
Gibt es etwas, was gesetzlich nachgebessert werden müsste?
Gesetzlich könnte man darüber nachdenken, noch mal in den Katalog der Diskriminierungsgründe reinzugehen. Da gibt es die Diskriminierung nach dem „sozialen Status“, aber was konkret darunter fällt, ist rechtlich unklar ist.
Haben Sie noch mehr Verbesserungsvorschläge?
Man könnte darüber nachdenken, ob die Ombudsstelle ein Initiativrecht bekommen sollte. Das wurde auch im Koalitionsvertrag aufgenommen. Dabei geht es darum, dass wir von uns aus darauf aufmerksam machen, wenn Regelungen, Verordnungen, Gesetze zu Diskriminierungen führen. Mit einem Initiativrecht könnten wir Senatsverwaltungen oder auch dem Abgeordnetenhaus dann Vorschläge für Veränderungen machen.
Haben Sie ein Beispiel?
Zum Beispiel gibt es viele Formulare, Verwaltungspraktiken oder Verordnungen, die diskriminierend sind. Anträge zur Eheschließung etwa sind immer noch so formuliert, dass sie auf heterosexuelle Ehen abgestellt sind und der Mann immer an erster Stelle steht. Es gibt viele Frauen, die finden das diskriminierend – was ich verstehen kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind