Olympiazentrum in Peking: Chinas neues Gesicht
Beim Weltcup der Turmspringer wird die futuristische Halle zum Star. Die bedrohliche Kraft der KP spüren dabei nur die wenigsten.
PEKING taz Bisher mussten Reporter über Bauzäune klettern und sich vor Wachposten hüten, wenn sie Pekings neues Olympiagelände bestaunen wollten. Jetzt aber baumelte ein paar Dutzend chinesischen Journalisten erstmals ein elektronisch lesbarer Ausweis um den Hals. Kein Polizist hielt sie mehr auf. Kein Sicherheitsdienst war zu sehen. Nur freundliche freiwillige Helfer winkten sie und 5.000 weitere Besucher heran - zur Einweihung des futuristischsten aller olympischen Neubauten, dem fensterlosen, blauen Wasserwürfel. In ihm findet bis Montag eine Weltcup-Veranstaltung im Turmspringen statt, einer der ersten Tests auf dem neuen olympischen Gelände.
"Der Wettkampf dient dazu, das wir uns alle mit den Abläufen und Regeln von Olympia vertraut machen", begrüßte Li Aiqing, Präsident des Organisationskomitees der Veranstaltung, Sportler, Zuschauer und Journalisten. Gesagt, getan. Wie sie es mit der politischen Kritik der Olympischen Spiele in einem Einparteienstaat halten würden, wollte man von den deutschen Turmspringerinnen Ditte Kotzian, 28, und Nora Subschinski, 16, wissen. "Wir sind politisch unvoreingenommen und konzentrieren uns auf den Wettbewerb", antwortete Kotzian. Man konnte sich vorstellen, wie diese Frage zukünftig an gleicher Stelle noch oft gestellt und genau so beantwortet werden würde.
Sport ohne Politik, das jedenfalls wünschen sich die kommunistischen Olympiaveranstalter. Und sie wünschen sich Siege. Natürlich gewannen am Dienstag zwei Chinesen den ersten Wettkampf, das Synchronspringen der Männer vom Dreimeterbrett. Das deutsche Paar Tobias Schellenberg und Andreas Wells belegte nach einem missglückten vierten Sprung nur den achten Platz. Schellenberg aber störte das kaum. Er rubbelte in der Mixed Zone sein blondes Haar trocken und staunte nur: "Das Schwimmstadion ist einfach riesig, viel größer, als wir das von zu Hause kennen", sagte er, als hätte er zuvor einen chinesischen Propagandatext eingeübt.
Wegen des Wasserwürfels waren an diesem Tag die meisten gekommen. Sie wollten das Ereignis Olympia-Architektur erleben. "Er sieht wirklich aus wie ein Würfel mit Wasserblasen - als ob man durch die Wand laufen könnte", sagte die 43-jährige Chemikerin Yao Guihua, als sie ihren frierenden Mann vor der Schwimmhalle fotografierte.
Der Würfel wurde vom australischen Architektenbüro PTW entworfen. Er verbinde Wasser "als strukturelles und thematisches Leitmotiv mit dem Quadrat, der Urform des Hauses in der chinesischen Tradition und Mythologie", schrieben die Architekten. Doch wer heute davorsteht, denkt nicht an chinesische Tradition. Der Würfel erhebt sich auf weiter, ebener Fläche. Der Platz wirkt noch größer als der riesige Tiananmenplatz im Zentrum Pekings.
Im Westen erhebt sich das neue Olympiastadion, das "Vogelnest", mit seiner Fassadenkonstruktion aus ineinander verschlungenen Stahlstilen. Im Norden liegen die flach gehaltenen Wettkampfhallen für Handball, Turnen und Fechtern - auffallend sind die geschwungenen, unregelmäßigen Dächer. Alles zusammen aber ergibt das neue symbolische Zentrum von Peking - hier soll man glauben, das Gesicht Chinas zu erblicken.
Es schien zu klappen: "Das ist die schönste Sportanlage, die ich je gesehen habe, viel gigantischer als in der Animation", sagte Turmspringerin Kotzian. Damit hatte sie im Sinne der Erfinder gesprochen: Gigantisch, futuristisch, originell soll die Olympia-Architektur wirken, auch westliche Besucher in Staunen versetzen und zugleich alles Kommunistisch-Traditionelle aus dem Selbstbild Pekings tilgen.
Wie anders aber hatte das Olympiagelände noch vor vier Wochen ausgesehen: Da lag der Baustaub über allen Gebäuden. Der Pekinger Sportreporter Wang Xiaoshan, ehemals Feuilletonchef bei einer Pekinger Tageszeitung, hatte sich damals über die Bauzäune gemacht. Er stiefelte durch den Staub vorbei an den Bauarbeitern, die rund um die Sportstätten die Wege befestigten. "Man darf nicht zu klug und schöngeistig sein", hatte Wang bei seinem verbotenen Rundgang gewarnt. "Hier, zwischen Vogelnest und Wasserwürfel, spürt man die bedrohliche Kraft der Kommunistischen Partei am meisten." Er wollte sich nicht von der Architektur verführen lassen. Er erinnerte an die alten Hüttenviertel der Wanderarbeiter, die das Olympiagelände vor seiner Neubebauung bedeckt hatten. "Früher wohnten hier Bürger, es war ihr Zuhause. In einer Demokratie hätte ihre Umsiedlung Ewigkeiten gedauert", sagte Wang.
Kritik, wie er sie übte, aber war schon bei der Einweihung des Wasserwürfels nicht mehr zu hören. Zu hell glänzte der durch die Wände strahlende Bau im Abenddunkel. Zu zivil und bürgerfreundlich verlief die Veranstaltung, als dass man sich noch bedroht fühlen konnte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter