Räumungsbedrohte Habersaathstraße: Ohne Heizung ins neue Jahr
Die Mieter der Habersaathstraße trotzen weiter einem Eigentümer, der nichts unversucht lässt, um sie rauszuekeln. Hoffnung macht ein Gerichtsurteil.
Miriam wirkt müde, als sie an einem Montagnachmittag Ende Dezember an ihrer Kaffeetasse nippt. Ihren dicken Schal und die Mütze hat die 39-Jährige trotz der angenehmen Temperaturen in der Backwarenfiliale nicht abgelegt. In letzter Zeit sei sie kaum noch zu Hause, berichtet sie. Sie verbringe ihre Zeit hier oder in der Bibliothek. Hauptsache, warm.
Seit Wochen sind in ihrer Wohnung alle Heizungen kalt. Warmes Wasser gibt es schon seit über zwei Jahren nicht mehr. Nicht nur in ihrer Wohnung, sondern im ganzen Gebäudekomplex der Habersaathstraße 40–48. Doch Miriam fürchtet nicht nur die Kälte, sondern auch eine drohende Räumungsklage. Bald könnte sie wieder auf der Straße landen.
Im fünften Jahr nach der erfolgreichen Besetzung der Habersaathstraße in Berlin-Mitte wird es eng für die Menschen dort. Den ehemals wohnungslosen Bewohner:innen droht die Räumung, während die verbleibenden Bestandsmieter:innen weiter im Kalten sitzen.
Der Eigentümer ist entschlossener denn je, die 1980er-Jahre-Platte abzureißen und durch Luxusbauten zu ersetzten. Ende des Jahres läuft seine Abrissgenehmigung aus, doch der Bezirk Mitte scheint sich mit der Situation trotz wiederholter Rechtsbrüche abgefunden zu haben. Nach einem Gerichtsurteil können die Bewohner:innen immerhin wieder auf die Wiederherstellung der Fernwärme hoffen.
Widerständige Mieter:innen
Nach Jahren rabiater Entmietungsversuche leben in dem Haus noch fünf Mietparteien mit regulären Mietverträgen. Einer von ihnen ist Daniel Diekmann. Seit Eigentümer Andreas Pichotta das Haus 2017 kaufte, wehrt sich Diekmann gegen den Abriss.
Der Weg zu Diekmanns Wohnung führt vorbei an einer Wache aus drei Security-Mitarbeitern, die vor Briefkästen und Kellertür ihr Lager aufgeschlagen haben. Mit fünf Ölradiatoren versuchen sie zumindest den Eingangsbereich des Hauses warmzuhalten.
Am 20. Oktober ließ der Eigentümer mehrere Wohnungen des Aufgangs 48 per Gerichtsbeschluss räumen. Betroffen waren die Bewohner:innen ohne Mietvertrag, die viele der leerstehenden Wohnungen im Dezember 2021 besetzten und damit ihrer eigenen Obdachlosigkeit ein Ende bereiteten. Jetzt steht ein Großteil der Wohnungen im Aufgang wieder leer, viele Türen sind versiegelt. Einen Wohnungseingang haben Bauarbeiter sogar zugemauert.
Die Securitys seien seitdem rund um die Uhr hier, sagt Diekmann. Sie sollten verhindern, dass die leerstehenden Wohnungen wieder besetzt werden.
Keine Heizung, kein Wasser
Anfang November ließ Pichotta den Vertrag mit dem Fernwärmeversorger Berlin Energie und Wärme (BEW) auslaufen. Seitdem ist es im gesamten Haus kalt. Die Heizlüfter, die ihm sein Vermieter als Ersatz für die Einstellung der Fernwärme hingestellt hat, nutzt Diekmann nicht. „Da müsste ich noch die Stromkosten zahlen. Das sind 350 Euro mehr im Monat“, rechnet er vor.
Das Thermometer in seiner Zweiraumwohnung zeigt 9,5 Grad an. Aber selbst mit Heizlüftern wäre es nur ein paar Grad wärmer, weiß Diekmann von den Erfahrungen seiner Nachbar:innen. „Das ganze Haus kühlt aus, das kriegst du nicht mehr warm.“
Hoffnung schöpft Diekmann durch ein Urteil des Amtsgerichts. Eigentümer Pichotta ist wieder einmal mit einer Verwertungskündigung gescheitert. Die Richterin bezeichnete die Kündigung als unwirksam, mit der Begründung, „die geplante Verwertung mit der weiterhin angestrebten Rendite sei von vorneherein ein hochriskantes Geschäft und damit weniger schutzwürdig“. Dass sich der Kauf des Hauses nunmehr als Fehlkalkulation herausstelle, „könne nicht zu Lasten der Mieter:innen gehen“, so das Gericht. Und: „Ein Abriss rechtfertigender Erneuerungsbedarf des Gebäudes“ sei „nicht dargetan“.
Auch seien die gestellten Elektroheizkörper „kein geeigneter Ersatz für die ordnungsgemäße Fernwärmeversorgung“. Der Eigentümer müsse dafür sorgen, dass die Heizkörper in der Wohnung wieder funktionieren. Rechtskräftig ist das Urteil noch nicht. Auf taz-Anfrage teilt Pichotta mit, das Urteil anzufechten und bereits Berufung eingelegt zu haben.
Umsetzung aufwendig
„Ich räume der Berufung keine Chancen ein“, sagt Sebastian Bartels vom Berliner Mieterverein. Wenn es zu einem rechtsgültigen Urteil kommt, könnten die Mieter:innen empfindliche Zwangsgelder erwirken, sollte sich der Eigentümer weiter weigern, erklärt Bartels. Doch bis dahin müssen die Bewohner:innen weiter im Kalten sitzen. Unwahrscheinlich, dass die nächste Instanz noch in diesem Winter urteilt. „Wir fordern, dass der Bezirk tätig wird“, so Bartels. Dieser könnte mit der Wohnungsaufsichtbehörde einschreiten, sollten gravierende Mängel vorliegen.
Doch auf taz-Anfrage teilt der Bezirk Mitte mit, dass die Behörde in der Habersaathstraße keinen weiteren Handlungsbedarf sehe. Mit der Ausgabe der Ölradiatoren sei den „Belangen des Wohnungsaufsichtsgesetzes momentan Genüge getan“. Bei dem Gerichtsurteil handele es sich um Zivilrecht. „Die Durchsetzung des Urteils obliegt den Mietern und nicht der bezirklichen Verwaltung“, so ein Sprecher der Verwaltung. Die Entscheidung habe keinerlei Auswirkungen auf die Aufgaben der Wohnungsaufsicht.
Auch das Auslaufen der Abrissgenehmigung zum Jahresende scheint die Situation nicht grundsätzlich zu verändern. Pichotta kündigte gegenüber der taz an, eine neue Genehmigung zu beantragen – und der Bezirk teilte mit, diese auch genehmigen zu wollen. „Im vorliegenden Fall ist es so, dass die Antragstellerin einen rechtlich einklagbaren Anspruch auf Erteilung entsprechender Abrissgenehmigungen hat“, so ein Sprecher. Dem Bezirksamt seien „die Hände gebunden, hier eine entsprechende Genehmigung zu verweigern“.
Für Sebastian Bartels vom Mieterverein ist es unverständlich, warum der Bezirk nicht eine härtere Gangart gegenüber dem Eigentümer einlegt. „Ich kann nicht verstehen, warum nicht ein Treuhänder eingesetzt wird. Nach meiner Ansicht ist das im Wohnungsaufsichtsgesetz klar geregelt.“ Im Falle einer Treuhänderschaft könne der Bezirk entsprechende Maßnahmen ergreifen, um die Bewohnbarkeit des Hauses wiederherzustellen, und sie dem Eigentümer später in Rechnung stellen.
Einzige Option: Straße
Während der Abriss verhindert wird, solange die Bestandsmieter:innen nicht freiwillig gehen, wird es für die ehemals wohnungslosen Bewohner:innen ohne Mietvertrag eng. Rund 50 von ihnen leben noch im Haus, nicht nur ohne Heizung, sondern seit zwei Jahren auch ohne Strom und warmes Wasser. Gegen sie laufen weitere Räumungsklagen, aber mit deutlich besseren Erfolgsaussichten für den Eigentümer. Auch die Aufgänge 42–46 müssen damit rechnen, in den nächsten Wochen und Monaten geräumt zu werden.
Für Miriam und die meisten anderen Bewohner:innen ohne Mietvertrag würde eine Räumung de facto bedeuten, wieder zurück auf die Straße zu müssen. „Ich weiß nicht, wo ich sonst hinsoll“, sagt sie.
Miriam lebte in einem Zeltlager am Ostbahnhof, bevor sie im Dezember 2021 in der Habersaathstraße ein neues Zuhause fand. In den fast vier Jahren hat sich viel für sie verändert. Sie hat aufgehört zu trinken und zu rauchen und einen Job gefunden. „Ohne Wohnung hätte ich das nie geschafft“, glaubt Miriam. Eine Wohnung sei für sie ein Ort, wo sie einfach sein und denken könne, ohne dauernd über das Wetter, ihre Sachen oder Sicherheit besorgt zu sein.
Eine andere Wohnung oder ein Wohnheim kommt für sie nicht in Betracht. Als Schwedin ist es schwierig für sie, Bürgergeld oder andere Sozialleistungen zu beziehen. Plätze in den oft überfüllte Notunterkünften gibt es nur für eine Nacht, und sie bieten keine dauerhafte Bleibe, um zur Ruhe zu kommen.
Echte Alternativen werden den Bewohner:innen nicht angeboten, aufsuchende Sozialarbeit gibt es nicht. Das zuständige Bezirksamt Mitte beschränkt sich darauf, Aushänge in den Hausfluren zu befestigen. „Bestandsmieterinnen und Bestandsmieter sollen sich bei Bedarf an die soziale Wohnhilfe Mitte wenden, um sich hinsichtlich des Umgangs bei drohendem Wohnungsverlust beraten zu lassen“, schreibt das Bezirksamt auf taz Anfrage. In der letzten Zeit hätte sich aber niemand gemeldet.
Wie es mit der Habersaathstraße weitergeht, bleibt also auch 2026 ungewiss. Einen kleinen Hoffnungsschimmer sieht Sebastian Bartels dennoch: In den rabiaten Maßnahmen des Eigentümers will er eine gewisse Verzweiflung erkennen. „Irgendwann wird es dem zu teuer“, sagt der Mietrechtsexperte, „dann muss er verkaufen – und warum nicht an den Bezirk?“ Damit könnte die lange geforderte Rekommunalisierung doch noch Wirklichkeit werden.
Gemeinsam für freie Presse
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!