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Offene Fragen bei EU-Öko-VerordnungKontrolle nur noch alle zwei Jahre

Die EU will nicht mehr alle Bio-Betriebe jährlich vor Ort inspizieren lassen. Gefährdet das die Glaubwürdigkeit des Siegels?

Akteneinsicht reicht doch: Besuch auf dem Bauernhof Foto: dpa

Berlin taz | Die meisten Biohöfe müssen nach Plänen der EU nur noch alle zwei Jahre statt jedes Jahr vor Ort kontrolliert werden. Das geht aus dem Entwurf der neuen Öko-Verordnung hervor. Kontrolleure haben das nun kritisiert. Sie warnen, dass es das Vertrauen der Verbraucher in das Bio-Siegel schwächen würde, wenn weniger Vor-Ort-In­spek­tionen zugunsten von mehr Aktenprüfungen in der Kon­trollstelle stattfänden.

Voraussetzung für den größeren Abstand zwischen den Besuchen der Inspekteure ist laut Art. 26b des Verordnungsentwurfs, dass das Risiko von Verstößen in dem Betrieb gering ist. Das kann etwa bei sehr kleinen Höfen der Fall sein.

Zudem soll für den größeren zeitlichen Abstand verlangt werden, dass es 3 Jahre hintereinander keine Beanstandungen an der „Inte­gri­tät“ der Bioprodukte des Betriebs gab. Näher definiert wird das nicht. Für den deutschen Branchenverband Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) fallen darunter nur gravierende Verstöße, deretwegen Waren ihr Bio-Siegel verlieren.

„Das ist nicht, was wir ausgehandelt haben“

„Aufgrund dieser Formulierung sind 90 Prozent der Betriebe im zweijährigen Kon­trollverfahren“, sagte Friedrich ­Lettenmeier, Vorstandsmitglied des Bundesverbands der Öko-Kontrollstellen, am Freitag in Berlin bei einer Veranstaltung des grünen Europaabgeordneten Martin Häusling zu den neuen Bioregeln. Lettenmeier warnte vor einer „Erosion des Kontrollverfahrens“. Der belgische Inspekteur Tom Nizet ergänzte, seine Kontrollstelle Certisys müsste je nach Definition der Kriterien 35 bis 94 Prozent ihrer Kunden nur alle 2 Jahre besuchen.

„Das ist jedenfalls nicht das, was wir ausgehandelt haben“, sagte Häusling, der die Reform für das EU-Parlament verhandelt hat. „Das ist die Ausnahme, dass man eine zweijährige Kontrolle hat.“ Dafür dürften Betriebe 3 Jahre lang „aber auch gar keine Auffälligkeit“ haben. „Wir werden das in der weiteren Arbeit jetzt klarstellen“, so der Grüne.

Derzeit überarbeiten Juristen der EU-Institutionen den Text, auf den sich EU-Kommission, -Parlament und -Rat Ende Juni geeinigt haben. Der Rat der Mitgliedstaaten soll laut Häusling Ende des Jahres über den Entwurf abstimmen, damit die neuen Regeln 2020 in Kraft treten können. Anschließend sollen Durchführungsverordnungen weitere Details festlegen.

Häusling warnte, falls die Reform scheitere, würde die EU das überarbeitungsbedürftige Ökorecht jahrelang überhaupt nicht verändern.

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12 Kommentare

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  • Man sollte sich sowieso andere Labels einfallen lassen. Öko wurde so verwässert, das heißt doch inzwischen fast nichts mehr.

    • @Robin Hastrad:

      was wurde vom wem genau verwässert?

  • Durch die jährlichen Kontrollen wurden auch ein paar schwarze Schafe entdeckt. Die EU ist der Überzeugung, daß dem dringend abgeholfen werden muß.

    • @wxyz:

      Und Geld ohne Ende verbrannt. Bei meinem Nachbar stapft jedes Jahr ein Agraringenieur zwei Tage lang über die Wiesen und zählt nach, ob noch alle Obstbäume da sind. Da kann man sich schonmal fragen, ob das bei ansonsten unauffälligen Betrieben wirklich jedes Jahr sein muss.

      • @explicit:

        Bedenken bestehen hier wohl nicht in erster Linie in Bezug auf Obstbäume, sondern hinsichtlich der gehaltenen Tiere.

        Die Erfahrung zeigt, dass dort, wo mangelnde Kontrolle herrscht und Schlupflöcher bestehen, diese im Sinne der Gewinnmaximierung in der Regel auch genutzt werden.

        • @Christina de Havilland :

          Diese Denke geht davon aus, daß man Biobauer ist um Gewinnmaximierung zu betreiben. Die meisten, die ich kenne, sind Biobauern aus Überzeugung. Wer schnelles Geld verdienen woll, soll an die Börse und nicht in Biolandwirtschaft. ich als heutiger Biobauer hätte in meinem alten Beruf als Informatiker ein Vielfaches verdient. Deshalb haben meine Tiere ca. 5 mal soviel Platz wie die EU Bio VO vorschreibt.

          • @Andreas Fendt:

            Das mag in Ihrem (Einzel-)Fall so sein. Tatsächlich sind im Bio-Bereich jedoch 4 800 "Masthühner" oder 3 000 "Legehennen" in einer Gruppe zulässig. Da dies offensichtlich noch immer nicht lukrativ genug ist, wird in einem Stall auch gerne Gruppe an Gruppe gereiht. Der größte Demeter-Eierproduzent hält übrigens 24 000 Hennen.

            Wen wundert es bei derartigen Bestandsdichten noch, dass Foodwatch 2016 nach Auswertung 19 wissenschaftlicher Studien zur Tierhaltung zu dem Ergebnis gekommen ist, dass es in Bezug auf das Tierwohl keine signifikanten Unterschiede zwischen konventioneller und Bio-Haltung, zwischen kleinen und großen Betrieben, gibt (vgl. http://www.stern.de/gesundheit/foodwatch-enthuellt--so-krank-sind-unsere-nutztiere-7068522.html)?

             

            Statt Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen, arbeitet die Branche jedoch beharrlich daran, das Siegel weiter zu verwässern: So gibt es Bestrebungen, die Freilauffläche für Hühner zu verkleinern und die Kontrollen (s. o.) noch weiter herunterzufahren.

            Apropos Kontrollen: Von Bio-Kontrolleuren aus Bayern weiß ich, dass diese gehalten sind, bei den Kontrollen nicht so genau hinzuschauen. Insbesondere geht es um Elektroleitungen, die Hühner daran hindern sollen, den Freilauf zu nutzen.

            • @Christina de Havilland :

              wie ich mehrfach bei Foodwatch direkt kommentiert habe, gibt es zu deren Behauptung, daß es kaum Unterschiede bzgl. Tierwohl bei Bio und Konv. gibt, keine stichhaltigen Belege. Das zugrundeliegende Buch von Wolfschmidt gibt das nicht her. Da ich seit vielen Jahren zu den Kritikern von Bioverbänden gehöre (ich habe den Demeter Betrieb mit 24.000 Hennen schon vor 6 Jahren kritisiert) stimme ich beim Rest zu. Ich widerspreche allerdings, daß die EU Bio VO bisher verwässert wurde, allerdings arbeiten Lobbyisten von Bioland stark, daß deren Umsetzung weich ausgelegt wird. Siehe enthornen von RIndern, laut EU nur im Einzelfall erlaubt, gemeint war je Tier, Bioland hat durchgesetzt, daß ein ganzer Betrieb der "Einzelfall" ist. Dennoch bleibe ich bei der Aussage: die grosse Mehrheit der Biobauern, also ca. 90%, auch jene, die keinem Verband angehören, machen das aus Überzeugung und nicht zur Gewinnmaximierung.

              • @Andreas Fendt:

                der größte Demeter-Produzent hält diese Hühner allerdings in 8 Ställen zu je 2500-3000 Tieren

              • @Andreas Fendt:

                Was genau finden Sie denn an den Behauptungen Wolfschmidts nicht stichhaltig? Mir ist im Moment nicht ganz klar, welches Interesse Foodwatch daran haben sollte, „Bio“ in Misskredit zu bringen. Kurz nach Bekanntwerden der Ergebnisse, Ende 2016, berichtete der MDR übrigens bereits über eine weitere relevante Studie, diesmal zu „Bio-Kühen“. Der Beitrag lautete „Auch Bio-Milch stammt oft von kranken Kühen“. Leider ist der Artikel auf der Website bereits nicht mehr abrufbar, aber bei Interesse suche ich gern anderweitig. Eine Forscherin der Uni Kassel spricht dort von „Berufskrankheiten“ der Tiere.

                Sicherlich wollen Sie nicht all den Forschern unterstellen, unsauber gearbeitet zu haben.

                Und: Wenn Demeter sich gegen die von Bioland erhobenen Forderungen verwahrt, hätte ich seinerzeit einen Aufschrei und eine eindeutige Distanzierung des Verbandes erwartet. Habe ich diese möglicherweise übersehen? Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass Demeter in Ausnahmefällen sogar die Anbindehaltung von Kühen zulässt.

                Für den Verbraucher ist im Übrigen nicht zu erkennen, wie das Tier, dessen (Bio-)Produkt er kauft, gehalten wurde.

                • @Christina de Havilland :

                  P. S.: Ich habe hier Demeter herausgegriffen, da das EU-Bio-Siegel bekanntermaßen sowieso nur den Mindeststandard abbildet und hier die Erwartungshaltung der Verbraucher entsprechend geringer ist.

                   

                  Dass die zulässigen Ausnahmen bei den Bio-Anbauverbänden häufig zur Regel werden - darin stimme ich Ihnen zu.