Österreich: Abgeschobener Syrer verschwunden
Österreich schiebt erstmals seit 15 Jahren einen Syrer in sein Heimatland ab. Doch in Istanbul verliert sich seine Spur, der Verbleib ist ungeklärt.

Besonders brisant: Das Asylverfahren des Mannes war zum Zeitpunkt der Abschiebung noch nicht endgültig abgeschlossen. Es lag zwar eine rechtskräftige Entscheidung aus dem ersten Quartal 2025 vor, jedoch hatte der 32-Jährige einen Folgeantrag gestellt, der noch nicht final entschieden war. Dessen ungeachtet wurde die Abschiebung am 3. Juli vollzogen.
Der Mann war im November 2018 vom Landesgericht Salzburg wegen Beteiligung an der Terrormiliz IS zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Dem Urteil zufolge hat er versucht, in den sozialen Medien Mitglieder für den IS anzuwerben. Außerdem habe er Bildmaterial früherer Terroranschläge verbreitet. Aufgrund seiner Verurteilung erkannten ihm die österreichischen Behörden 2019 den Status eines Asylberechtigten ab.
Aufgrund der bisherigen Sicherheitslage in Syrien, wo seit 2011 der Bürgerkrieg tobte, kam es bisher zu keinen Abschiebungen dorthin. Denn es gilt der völkerrechtliche Grundsatz für Nichtzurückweisung: Rückführungen in ein Land, in dem einem Verfolgung droht, sind unzulässig.
Abgeschobener Mann nicht erreichbar
Über die Sicherheitslage geben vor allem die Länderleitlinien der Europäischen Asylagentur EUAA Auskunft. Nach dem Regimewechsel in Syrien haben sie ihre bisherige Einschätzung geändert und Rückführungen zwischenzeitlich ermöglicht. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte der Abschiebung zugestimmt.
Seit seiner Abschiebung versucht die Deserteurs- und Flüchtlingsberatung, die den Syrer beraten hatte, Kontakt zu ihm herzustellen – bisher erfolglos. Das letzte Lebenszeichen stammt aus Istanbul, wo der Flug zwischenlandete und von wo der Syrer seine Schwester anrief. Danach gab es keinen Kontakt mehr. Auch Journalisten und Menschenrechtler konnten ihn nicht erreichen.
Der medienwirksame Fall des IS-Sympathisanten war bewusst als erster gewählt worden, glaubt man bei der Deserteurs- und Flüchtlingsberatung. Die Abschiebung könnte somit ein Präzedenzfall für weitere Rückführungen nach Syrien werden, trotz nach wie vor unklarer Sicherheitslage. Dies vermutet auch Lukas Gahleitner-Gertz, Sprecher der NGO Asylkoordination Österreich.
Österreich ist derzeit das einzige EU-Land, das nach Syrien abschiebt. Und das, obwohl das Innenministerium seit Ende 2024 Entscheidungen in syrischen Asylverfahren weitgehend pausiert hat, mit der Begründung: Es lägen keine belastbaren Länderinformationen vor, die sichere Entscheidungen ermöglichten.
Syrien weiterhin unsicher
Im Fall der Abschiebung war man sich dann behördlicherseits doch sehr sicher zur Sicherheitslage. Dabei kamen in den letzten Tagen bei Kämpfen verschiedener religiöser Gruppen mindestens 89 Menschen ums Leben, was die Angst vor einem neuerlichen Bürgerkrieg anfacht. Die aktuellen EU-Länderinformationen zeigen „Risikoprofile für Verfolgung“ und eine „höchst volatile“ Sicherheitslage auf.
Einen taz-Fragenkatalog ließen das österreichische Innen- sowie das Außenministerium unbeantwortet. „Der abgeschobene, verurteilte Straftäter wurde mit einem Linienflug außer Landes gebracht und den zuständigen Behörden übergeben“, heißt es vom Innenministerium. Die Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl beobachte die Lage in den Ländern sehr genau, zudem würden für Rückführungen strenge Regeln gelten, so das Ministerium.
Asylrechtsexperte Gahleitner-Gertz lässt dies nicht gelten. Er sieht sowohl die österreichische Regierung als auch den Europarat in der Pflicht, den Verbleib des Mannes aufzuklären. Danach sieht es aber nicht aus: Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) kündigte an, weitere Abschiebungen nach Syrien vorzunehmen.
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