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Österreich vor der EuropawahlAuf Anti-Europa-Kurs

Livio Koppe
Kommentar von Livio Koppe

In Österreich erlebt die FPÖ vor der Europawahl einen Höhenflug. Ihre Herausforderer haben keine wirkungsvolle Strategie dagegen.

Herbert Kickl (Mitte): Aufwind im Bierzelt Foto: Christian Bruna/ap

W enn man dieser Tage durch Wien spaziert, bemerkt man schnell, dass im Sommer das EU-Parlament gewählt wird. Sieben Parteien treten in Österreich an, ihre Wahlplakate zieren bereits die Hauptstadt. Eines fällt dabei besonders ins Auge. Es ist eine Illustration, mit feinen schwarzen Linien auf weißem Hintergrund.

Darauf zu sehen sind Ursula von der Leyen und Wolodymyr Selenskyj. Sie stehen sich ganz nah gegenüber, es ist ein intimes Bild. Ihre Köpfe neigen sich wie zum Kuss zueinander, ihre Lippen berühren sich schon fast. Im Hintergrund ein Gebirgspanorama, Helikopter fliegen durch die Luft, ein Panzer ist zu sehen, ein Flüchtlingsboot und auch ein Coronavirus.

Um die beiden schwirren ein paar Schlagworte: Öko-Kommunismus, Kriegstreiberei, Corona-Chaos, Asylkrise. Darunter das Wahlmotto der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ): „EU-Wahnsinn stoppen“.

Wenn man diesem Plakat auf den Straßen Wiens begegnet, bleibt einem nicht viel mehr übrig, als fassungslos den Kopf zu schütteln. Und doch zeigt es sehr gut, welche Themen im derzeitigen Wahlkampf die Hoheit genießen. Und vor allem: mit welchem Spin sie vorkommen. Sachlich diskutiert wird über Ukrainekrieg und Asylpolitik herzlich wenig. Das ist nicht verwunderlich, wenn man die Zuspitzungen von FPÖ-Spitzenkandidat Harald Vilimsky hört, der von EU-Kriegstreiberei und Flüchtlingsinvasion spricht. Die Spitzenkandidaten der anderen Parteien begeben sich jedoch rhetorisch fast schon auf Vilimskys Niveau.

Ein Beispiel: NEOS-Spitzenkandidat Helmut Brandstätter bezeichnete die FPÖ bei der ersten Elefantenrunde der Spit­zen­kan­di­da­t*in­nen zur EU-Wahl am 9. Mai live im Fernsehen mehrmals als Freunde Putins in Österreich. Anstatt eigene Themen zu setzen, wird auf jede populistische Zuspitzung der FPÖ ausführlich reagiert. So bleiben diese Themen mit FPÖ-Spin im Diskurs und werden emotional aufgeladen. Und das spielt den Freiheitlichen in die Karten.

Anbiedern und Anprangern

Die Österreichische Volkspartei (ÖVP), die derzeit den Bundeskanzler stellt und seit 1987 durchgehend in der Regierung ist (mit Ausnahme der Expertenregierung 2019/2020, nachdem der Ibiza-Skandal die ÖVP-FPÖ-Regierung gesprengt hatte), fährt derweil die Strategie, sich inhaltlich an die FPÖ anzunähern und gleichzeitig FPÖ-Politiker, allen voran Parteichef Herbert Kickl, als unwählbar anzuprangern. Eine Taktik, die in Deutschland seit Jahren versucht wird und nicht aufgeht. Hier schaffen es CDU/CSU auch nicht, den Aufstieg der in Teilen gesichert rechtsextremen AfD zu bremsen. Stattdessen werden deren Themen salonfähig gemacht.

Dasselbe passiert in Österreich. Wenn die ÖVP beginnt, von einer österreichischen Leitkultur zu sprechen, schwächt das nicht die FPÖ. Wenn die ÖVP DNA-Tests anwenden will, um den Familiennachzug von Asylwerbern zu bremsen, schadet das der FPÖ, die schon seit Jahren gegen Flüchtlinge hetzt, ebenso wenig. Und wenn die ÖVP lautstark den Rücktritt von FPÖ-Chef Herbert Kickl fordert, führt das auch nicht dazu, dass FPÖ-Wähler*innen in Scharen zur Volkspartei überlaufen. Vielmehr ist es Wasser auf den Mühlen der „Wir gegen die Systemparteien“-Erzählung, die Kickl propagiert.

Die FPÖ führt seit mehr als einem Jahr in Österreich alle Umfragen an. Seit Dezember bewegt sie sich in der wöchentlichen Sonntagsumfrage zur EU-Wahl stets zwischen 25 und 30 Prozent. Dieses Ergebnis will die FPÖ bei der Europawahl nach Hause tragen. Dafür muss die tendenziell EU-skeptische Stammwählerschaft dazu bewegt werden, überhaupt zu einer EU-Wahl zu gehen. Daher auch die Provokationen Vilimskys und die aggressiven Wahlplakate.

Opa? Europa!

Traditionell gilt die EU-Wahl in Österreich als unbeliebt, die Wahlbeteiligung ist stets niedriger als bei der Nationalratswahl. Diese steht im Herbst 2024 an, und man könnte das Gefühl bekommen, die größten Herausforderer der FPÖ sind in Gedanken schon dort. Das lässt sich auch an der Wahl der Spitzenkandidaten erkennen: „Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa“, heißt es oft hämisch. Böse Zungen könnten behaupten, dieses Motto trifft bei dieser Wahl den Nagel auf den Kopf. Die Adjektive jung, charismatisch und beliebt sind weder auf Andreas Schieder (SPÖ, 55 Jahre) noch auf Reinhold Lopatka (ÖVP, 64 Jahre) oder Helmut Brandstätter (NEOS, 69 Jahre) anzuwenden.

Eine Ausnahme gibt es bei den Grünen, die als Spitzenkandidatin die 23-jährige Klima-Aktivistin Lena Schilling präsentierten. Mit ihr wollte man die diesjährige Wahl zur Klimawahl machen. Das ist bisher noch nicht gelungen. Themen wie der Krieg in der Ukraine und die Asylpolitik dominieren den Wahlkampf. Dass sich daran noch etwas ändert, ist zu bezweifeln. Lena Schilling sieht sich nach einer Recherche der Wiener Tageszeitung der Standard mit schweren Vorwürfen konfrontiert.

Mit der FPÖ könnte eine Partei gewinnen, die offen davon spricht, EU-Politik nach dem Vorbild Victor Orbáns zu machen

Derzeit deutet also viel auf einen EU-Wahlsieg der FPÖ hin, einer Partei, die sich in vielen Themen ganz klar gegen EU-Linien stellt. Einer Partei, die bisher gegen jede Russland-Sanktion gestimmt hat und 2016 einen Freundschaftsvertrag mit Putins Partei „Einiges Russland“ unterzeichnet hatte. Einer Partei, die ganz offen davon spricht, EU-Politik nach dem Vorbild Victor Orbáns zu machen.

Natürlich, bis zum Wahltermin am 9. Juni ist es fast noch einen Monat hin, aber man könnte das Gefühl bekommen, die beiden ehemaligen Großparteien SPÖ und ÖVP schreiben die EU-Wahl bereits ab und konzentrieren sich auf die Nationalratswahl im Herbst. Das wäre fatal, denn ein gutes Ergebnis der FPÖ bei der EU-Wahl wäre eine Steilvorlage für die Nationalratswahl. Ein Wahlsieg dort und eine Regierungsbeteiligung der FPÖ wären denkbar. Das wiederum gäbe der FPÖ viel mehr Macht, um Österreich außenpolitisch auf Anti-EU-Kurs zu bringen.

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Livio Koppe
Studiert Journalismus & Medienmanagement in Wien.
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7 Kommentare

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  • Von der Leyen wurde „einfach mal so“ gemäß geltendem Recht bestimmt: Der Europäische Rat hat das Vorschlagsrecht, nicht die stärkste Fraktion im EU-Parlament oder gar ein Wahlparteitag vorab. Darum war es eher eine „einfach mal so“-Bestimmung, dass die Parteien vor der letzten Europawahl behauptet haben, die Spitzenkandidat*innen seien irgendetwas anderes als prominente Zugpferde.

    • @o_aus_h:

      In der Tat war es geltendes Recht.



      Entspricht dieses geltende Recht aber auch dem, was man ansonsten auf jeder anderen politischen Ebene, angefangen bei Kommunen über Landtage über den Bundestag erwartet - eigentlich sogar einfordern müsste, um hier von wirklich demokratischen Sturkturen sprechen zu können?

      Bei jeder simplen Schülermitverwaltung und in jedem noch so kleinen Verein ist es (bei Vereinen gemäß dem geltenden bürgerlichen Gesetzbuch auf dessen Paragraphen z.T. das Vereinsrecht basiert) normal, dass die Mehrheit dann auch den "Chef/Chefin" wählt, nur bei der EU nicht - wie kann das sein und verwundert es einen dann wirklich nicht, dass man Europafan, nicht aber EU Fan sein kann?

  • Es wäre doch ganz einfach einen Sieg der FPÖ zu verhindern. Jeder weiss warum sie siegen wird. Das sie Regierung trotzdem nichts unternimmt ist mir unverständlich denn in einer Demokratie hat der Recht der die meisten Stimmen kriegt und nicht der welcher am menschlichsten handelt.

  • Die CDU/CSU für das Aufstreben der AFD verantwortlich zu machen, ist schon harter Tobak.



    Die unsägliche Migrationspolitik der Ampelregierung liegt zeitlich deutlich näher an den Stimmenzuwächsen der AFD als die Politik der GroKo

  • Das wird genau so kommen! Das sind die Themen, die aktuell sind. Gruss aus Niederösterreich !

  • Man kann sehr wohl fuer Europa und genau aus diesem Grunde gegen die EU sein, wie sie im Moment praktiziert wird.



    Dies fängt bereits mit der Unübersichtlichkeit der Entscheidungsprozzese an, wie es Herr Semsrott in einem Artikel der taz geschildert hat:



    taz.de/EU-Abgeordn...67&s=eu+parlament/



    und geht bishin zu Aspekten, wie beispielsweise, dass die derzeitige Kommissionspräsidentin von der Leyen nicht einmal bei den letzten EU Wahlen kandidiert hatte, sondern einfach mal so bestimmt wurde. Da kann man sehr wohl Zweifel an dem Grad der Demokratisierung in der EU bekommen, wenn solche Basta Politik Einzug genommen hat und das allerhöchste Führungspersonal eben nicht mehr transparent durch Kandidieren und Gewähltwerden bestimmt wird, sondern eher wie ein Kanzler in einer Monarchie, bestimmt durch die Regierungschefs von Deutschland und Frankreich, wie es damals kolportiert wurde.

  • "Hier schaffen es CDU/CSU auch nicht, den Aufstieg der in Teilen gesichert rechtsextremen AfD zu bremsen. Stattdessen werden deren Themen salonfähig gemacht."

    Das stimmt so nicht. Das Problem der CDU ist, das sie eine Koalition mit den Grünen nicht ausschließt, sondern sogar impliziert. das macht sie für viele potenzielle AfD Wähler nicht wählbar. "Wer schwarz wählt, bekommt grün". Es handelt sich also um Lippenbekenntnisse, und das macht die CDU unglaubwürdig und deswegen stagniert sie bei 31%. Ich kenne die politischen Verhältnisse in Österreich nur in groben Zügen, vermute aber dass es genauso ist.