Österreich vor der Europawahl: Auf Anti-Europa-Kurs
In Österreich erlebt die FPÖ vor der Europawahl einen Höhenflug. Ihre Herausforderer haben keine wirkungsvolle Strategie dagegen.
W enn man dieser Tage durch Wien spaziert, bemerkt man schnell, dass im Sommer das EU-Parlament gewählt wird. Sieben Parteien treten in Österreich an, ihre Wahlplakate zieren bereits die Hauptstadt. Eines fällt dabei besonders ins Auge. Es ist eine Illustration, mit feinen schwarzen Linien auf weißem Hintergrund.
Darauf zu sehen sind Ursula von der Leyen und Wolodymyr Selenskyj. Sie stehen sich ganz nah gegenüber, es ist ein intimes Bild. Ihre Köpfe neigen sich wie zum Kuss zueinander, ihre Lippen berühren sich schon fast. Im Hintergrund ein Gebirgspanorama, Helikopter fliegen durch die Luft, ein Panzer ist zu sehen, ein Flüchtlingsboot und auch ein Coronavirus.
Um die beiden schwirren ein paar Schlagworte: Öko-Kommunismus, Kriegstreiberei, Corona-Chaos, Asylkrise. Darunter das Wahlmotto der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ): „EU-Wahnsinn stoppen“.
Wenn man diesem Plakat auf den Straßen Wiens begegnet, bleibt einem nicht viel mehr übrig, als fassungslos den Kopf zu schütteln. Und doch zeigt es sehr gut, welche Themen im derzeitigen Wahlkampf die Hoheit genießen. Und vor allem: mit welchem Spin sie vorkommen. Sachlich diskutiert wird über Ukrainekrieg und Asylpolitik herzlich wenig. Das ist nicht verwunderlich, wenn man die Zuspitzungen von FPÖ-Spitzenkandidat Harald Vilimsky hört, der von EU-Kriegstreiberei und Flüchtlingsinvasion spricht. Die Spitzenkandidaten der anderen Parteien begeben sich jedoch rhetorisch fast schon auf Vilimskys Niveau.
Ein Beispiel: NEOS-Spitzenkandidat Helmut Brandstätter bezeichnete die FPÖ bei der ersten Elefantenrunde der Spitzenkandidat*innen zur EU-Wahl am 9. Mai live im Fernsehen mehrmals als Freunde Putins in Österreich. Anstatt eigene Themen zu setzen, wird auf jede populistische Zuspitzung der FPÖ ausführlich reagiert. So bleiben diese Themen mit FPÖ-Spin im Diskurs und werden emotional aufgeladen. Und das spielt den Freiheitlichen in die Karten.
Anbiedern und Anprangern
Die Österreichische Volkspartei (ÖVP), die derzeit den Bundeskanzler stellt und seit 1987 durchgehend in der Regierung ist (mit Ausnahme der Expertenregierung 2019/2020, nachdem der Ibiza-Skandal die ÖVP-FPÖ-Regierung gesprengt hatte), fährt derweil die Strategie, sich inhaltlich an die FPÖ anzunähern und gleichzeitig FPÖ-Politiker, allen voran Parteichef Herbert Kickl, als unwählbar anzuprangern. Eine Taktik, die in Deutschland seit Jahren versucht wird und nicht aufgeht. Hier schaffen es CDU/CSU auch nicht, den Aufstieg der in Teilen gesichert rechtsextremen AfD zu bremsen. Stattdessen werden deren Themen salonfähig gemacht.
Dasselbe passiert in Österreich. Wenn die ÖVP beginnt, von einer österreichischen Leitkultur zu sprechen, schwächt das nicht die FPÖ. Wenn die ÖVP DNA-Tests anwenden will, um den Familiennachzug von Asylwerbern zu bremsen, schadet das der FPÖ, die schon seit Jahren gegen Flüchtlinge hetzt, ebenso wenig. Und wenn die ÖVP lautstark den Rücktritt von FPÖ-Chef Herbert Kickl fordert, führt das auch nicht dazu, dass FPÖ-Wähler*innen in Scharen zur Volkspartei überlaufen. Vielmehr ist es Wasser auf den Mühlen der „Wir gegen die Systemparteien“-Erzählung, die Kickl propagiert.
Die FPÖ führt seit mehr als einem Jahr in Österreich alle Umfragen an. Seit Dezember bewegt sie sich in der wöchentlichen Sonntagsumfrage zur EU-Wahl stets zwischen 25 und 30 Prozent. Dieses Ergebnis will die FPÖ bei der Europawahl nach Hause tragen. Dafür muss die tendenziell EU-skeptische Stammwählerschaft dazu bewegt werden, überhaupt zu einer EU-Wahl zu gehen. Daher auch die Provokationen Vilimskys und die aggressiven Wahlplakate.
Opa? Europa!
Traditionell gilt die EU-Wahl in Österreich als unbeliebt, die Wahlbeteiligung ist stets niedriger als bei der Nationalratswahl. Diese steht im Herbst 2024 an, und man könnte das Gefühl bekommen, die größten Herausforderer der FPÖ sind in Gedanken schon dort. Das lässt sich auch an der Wahl der Spitzenkandidaten erkennen: „Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa“, heißt es oft hämisch. Böse Zungen könnten behaupten, dieses Motto trifft bei dieser Wahl den Nagel auf den Kopf. Die Adjektive jung, charismatisch und beliebt sind weder auf Andreas Schieder (SPÖ, 55 Jahre) noch auf Reinhold Lopatka (ÖVP, 64 Jahre) oder Helmut Brandstätter (NEOS, 69 Jahre) anzuwenden.
Eine Ausnahme gibt es bei den Grünen, die als Spitzenkandidatin die 23-jährige Klima-Aktivistin Lena Schilling präsentierten. Mit ihr wollte man die diesjährige Wahl zur Klimawahl machen. Das ist bisher noch nicht gelungen. Themen wie der Krieg in der Ukraine und die Asylpolitik dominieren den Wahlkampf. Dass sich daran noch etwas ändert, ist zu bezweifeln. Lena Schilling sieht sich nach einer Recherche der Wiener Tageszeitung der Standard mit schweren Vorwürfen konfrontiert.
Derzeit deutet also viel auf einen EU-Wahlsieg der FPÖ hin, einer Partei, die sich in vielen Themen ganz klar gegen EU-Linien stellt. Einer Partei, die bisher gegen jede Russland-Sanktion gestimmt hat und 2016 einen Freundschaftsvertrag mit Putins Partei „Einiges Russland“ unterzeichnet hatte. Einer Partei, die ganz offen davon spricht, EU-Politik nach dem Vorbild Victor Orbáns zu machen.
Natürlich, bis zum Wahltermin am 9. Juni ist es fast noch einen Monat hin, aber man könnte das Gefühl bekommen, die beiden ehemaligen Großparteien SPÖ und ÖVP schreiben die EU-Wahl bereits ab und konzentrieren sich auf die Nationalratswahl im Herbst. Das wäre fatal, denn ein gutes Ergebnis der FPÖ bei der EU-Wahl wäre eine Steilvorlage für die Nationalratswahl. Ein Wahlsieg dort und eine Regierungsbeteiligung der FPÖ wären denkbar. Das wiederum gäbe der FPÖ viel mehr Macht, um Österreich außenpolitisch auf Anti-EU-Kurs zu bringen.
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