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Auch eine Form von steinreich: In Garten des Fischers Humberto Almeida in São Sebastião liegen brotlaibgroße Ölklumpen Foto: Niklas Franzen

COP30 in BrasilienGrüne Bühne, schwarzer Boden

Brasilien als COP30-Gastgeber stellt sich als Vorreiter der Energiewende dar. Gleichzeitig fördert die Regierung immer mehr Öl. Mit ernsten Folgen.

Niklas Franzen

Aus São Sebastião

Niklas Franzen

N Nach rechts, nach rechts“, brüllt Humberto Almeida und fuchtelt heftig mit dem Arm. Das kleine Boot neigt sich leicht, als der junge Mann am Steuer reagiert. Der Motor heult auf, der Bug schneidet durch das tintenschwarze Wasser. Am Ufer glitzern friedlich die Lichter.

Almeida, 41 Jahre, hochgewachsen, deutet auf zwei Schatten, die Rücken an Rücken im Hafen liegen. Ein scharfer Geruch liegt in der Nase. „Siehst du diesen U-förmigen Schlauch?“, ruft er über das Dröhnen des Motors. „Da fließt das Öl durch.“

Eine Runde drehen, beobachten, dann verschwinden, bevor die Sicherheitsleute sie bemerken – so der Plan. Almeida erklärt, was hier passiert: Ein Tanker füllt Öl in einen anderen. Ship-to-Ship-Transfer nennt man das. Das Risiko? „Wenn da was schiefgeht, landet Öl im Meer.“ Almeida ist überzeugt: Genau das passiert hier.

Er lebt in São Sebastião, einer Küstenstadt im Bundesstaat São Paulo. Er ist Fischer in dritter Generation, wie er betont. Doch wie lange er noch fischen kann, ist ungewiss. „Dieses verfluchte Öl zerstört alles.“

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Unter der Küste Brasiliens schlummern riesige Mengen „schwarzen Goldes“. Der Großteil wird offshore gefördert, vor allem aus dem Pre-Sal-Vorkommen, das tief unter einer Salzschicht liegt und zu den ertragreichsten Ölfeldern des Landes zählt. Auch vor der Küste São Paulos stehen Bohrinseln. Das Öl mache das Land reich, behaupten Po­li­ti­ke­r*in­nen und Konzernchefs unisono. Petrobras, der halbstaatliche Ölkonzern, ist Brasiliens größtes Unternehmen, Öl das wichtigste Exportgut.

Die Fischer haben Behörden angerufen, Beschwerden geschrieben, Journalisten kontaktiert. Doch nichts hat sich geändert. Der Gegner scheint übermächtig.

Im Juni versteigerte die Regierung Förderflächen in der Amazonas-Mündung. Im Oktober genehmigte die Umweltbehörde Ibama Probebohrungen, kurz darauf begannen die ersten Operationen. Gleichzeitig verhandelt die COP30 in Belém über Maßnahmen gegen die Klimakrise. Brasilien präsentiert sich als Vorreiter der grünen Wende. Doch wie passt das zum Ölrausch?

Almeida fährt oft hinaus, um die Operationen zu beobachten. Mit anderen Fischern teilt er Bilder und Videos in einer Whatsapp-Gruppe – Beweise, wie sie hoffen. Sie haben Behörden angerufen, Beschwerden geschrieben, Journalisten kontaktiert. Doch nichts hat sich geändert. Der Gegner scheint übermächtig.

Petrobras betreibt in São Sebastião über die Tochterfirma Transpetro einen Ölexporthafen. Auf Anfrage der taz erklärte das Unternehmen, man halte sich an die Vorschriften der brasilianischen Behörden und sei auf Notfälle vorbereitet. Medien berichten jedoch von wiederholten Öllecks. Die Ermittlungen seien eingestellt worden, betont Petrobras. Es habe „keine Anzeichen für ein Verbrechen oder einen relevanten Schaden“ gegeben.

Am nächsten Tag steht Almeida vor seinem Haus am Araçá-Strand. Sein Blick geht hinüber zum Hafen, wo ein Frachter vor Anker liegt. Er bückt sich, greift in den Sand. Schwarze Körnchen bleiben in seiner Hand zurück. „Ölreste.“

In seinem Garten liegen brotlaibgroße Klumpen. Die glänzenden Brocken spült das Meer regelmäßig an, sagt er. Das Wasser sei verschmutzt, die Fischer brächten immer weniger Fang zurück. Keines seiner fünf Kinder wolle seinen Beruf übernehmen. Für Almeida eine Katastrophe.

Von seinem Haus aus kann Humberto Almeida den Hafen sehen Foto: Niklas Franzen

Er versteht sich als caiçara. So nennt sich die traditionelle Küstenbevölkerung in Südbrasilien. Sie leben von Fischerei, Landwirtschaft und Kunsthandwerk, sprechen einen eigenen Dialekt, pflegen eigene Bräuche. „Ich kann nicht ohne das Meer leben“, sagt Almeida.

Weil die Fischerei kaum noch etwas einbringt, suchte er sich eine andere Arbeit. Doch für Arme gibt es kaum gute Jobs. Viele hätten nur zwei Optionen: Drogendealer oder für einen Petrobras-Zulieferer schuften. Auch Almeida arbeitete dort. Stundenlang bearbeitete er Betonplatten mit dem Presslufthammer, lud Lkws ab.

Vier Monate hielt er durch. Kurz, aber lang genug, um seinen Körper zu ruinieren. Die Folgen spüre er bis heute, Schmerzmittel gehören zu seinem Alltag. Als er nicht mehr arbeiten konnte, sei er entlassen worden. Almeida wehrte sich und erhielt nach langem Kampf eine Entschädigung. Damit baute er sein Haus fertig und kaufte ein kleines Boot. Doch das Geld war schnell aufgebraucht. Heute fischt er wieder. „Aber davon wirklich leben geht eigentlich nicht.“

São Sebastião ist ein typischer Fischerort mit Altstadt und einer Promenade voller Restaurants. Vor der Küste liegt Ilhabela, die „schöne Insel“, ein beliebtes Ziel für gestresste Paulistanos. In der Stadt prangt überall das gelb-grüne Logo von Petrobras. Der Ölkonzern ist allgegenwärtig. Viele Menschen arbeiten für den Ölriesen. Für die einen ein Segen, für die anderen ein Fluch.

Evaldo Pereira, 51 Jahre alt, trägt die Geschichte seiner Familie in einer Plastiktüte: Fotos, Dokumente, Zeitungsausschnitte. Auf einem der Bilder sieht man einen kleinen Jungen, vielleicht vier Jahre alt. Es ist Pereira. Er steht vor einer palafita, einem Stelzenhaus. Dort wurde er geboren, dort wuchs er auf. Heute ist dort der Hafen.

Auch Pereira ist Fischer. Er ist ein etwas hyperaktiver, herzlicher Mann, der Fragen beantwortet, bevor sie gestellt werden. Wenn er spricht, wirbeln seine kräftigen Hände durch die Luft, als zöge er unsichtbare Fische heraus. Er redet wie jemand, der sein ganzes Leben gegen Wind und Wellen ansprechen musste.

Seine Familie kam vor mehr als 100 Jahren aus dem Nordosten hierher. Seine Wurzeln: afrikanisch, europäisch, indigen. „Ich bin Brasilien in einer Person.“ Er habe eine schöne Kindheit gehabt, sei oft mit dem Boot rausgefahren, in den Wäldern Capybaras jagen gegangen. Sein Vater war einer der besten Kokospalmen-Kletterer, damals ein Volkssport. Doch 1998 mussten sie ihr Haus verlassen, weil der Hafen erweitert wurde. Eine Entschädigung gab es nicht. Sie zogen auf einen Hügel. Doch damit gingen die Probleme erst richtig los.

Itatinga heißt das Viertel, 20 Gehminuten vom Strand entfernt, das sich scheinbar die Anhöhe hinaufzieht. Motorräder knattern, Musik dröhnt, und gefühlt ist jedes dritte Haus eine evangelikale Kirche. Daumen hoch, „tudo bem?“, „alles gut?“ Pereira läuft durch die Straßen, als kenne er jeden – vermutlich tut er das auch. Er ist ein bunter Hund: Aktivist, Poet, Musiker, Kanubauer. Ob er irgendetwas nicht mache? Pereira lacht. „Geld!“

Dass er überhaupt noch lebt, sagt er, sei dem Glück zu verdanken.

2012 fühlte er sich plötzlich schlapp. Schmerzen in der Lunge, Schwindel, Halluzinationen, Blut im Stuhl. Der Arzt fragte: „Haben Sie Drogen genommen?“ Hatte er nicht. Als Pereira seinen Wohnort nannte, folgten Tests. Er zieht einen Arztbericht aus einer Plastiktüte. „Ich wurde vergiftet. “

Der taz liegt ein Bericht des Medizinischen Rechts- und Kriminalinstituts von São Paulo (IMESC) vor. Daran heißt es, „dass die begutachtete Person an einem myelodysplastischen Syndrom mit deutlicher Neutropenie leidet, wahrscheinlich sekundär aufgrund einer Benzolexposition.“ Heißt: Der Kontakt mit Öl war wahrscheinlich für die Knochenmarkerkrankung Pereiras verantwortlich. Petrobras wollte sich auf Anfrage der taz nicht äußern.

In den 1970er Jahren hatte Petrobras im Stadtteil Itatinga eine Grube geöffnet und dort Rückstände der Ölförderung entsorgt. Berichte und Zeitungsartikel belegen das. 2018 stimmte Petrobras zu, rund 1,2 Millionen Euro in die Reinigung des verseuchten Gebiets zu investieren.

Doch noch immer soll Öl im Boden stecken. Pereira zeigt Stellen im Schlamm, an denen sich offenbar Öl sammelt. Das am stärksten kontaminierte Gelände liegt direkt vor seinem Haus. Ein Zaun sperrt es ab, Sicherheitsleute bewachen es. Sie beobachten Pereira skeptisch, während er vorbeigeht.

Ein Land mit so viel Armut wie Brasilien kann nicht auf potenziellen Reichtum verzichten.

Edinho da Silva, Vorsitzender der Arbeiterpartei PT

Pereira habe überlebt, weil er „zu den richtigen Ärzten“ ging. Nach zehn Jahren Kampf ist er heute gesund. Viele seiner Nach­ba­r*in­nen sind es nicht. Eine alte Frau klagt am Holztor über Ausschlag am Hals, eine andere musste ihren Uterus entfernen lassen, und wieder eine weitere Frau liegt mit Krebs in ihrem Bett. Man spricht von auffällig vielen autistischen Kindern, von Depressionen, von Erblindungen. Viele glauben, das Öl sei schuld. Tatsächlich können Erdölderivate Krankheiten auslösen. Ob die Leiden der Be­woh­ne­r*in­nen aber wirklich damit zusammenhängen, ist schwer nachzuweisen.

Humberto Almeida (links) sammelt Beweise für das umweltschädliche Vorgehen der Ölfirmen. Bewohner Evaldo Pereira (rechts) habe überlebt, weil er „zu den richtigen Ärzten ging“ Foto: Niklas Franzen

Dass nun auch in Amazonien Erdöl gefördert werden soll, findet Pereira wahnsinnig. Eine sichere Ölförderung gebe es nicht.

Ein paar Wochen zuvor, Berlin. Edinho da Silva sitzt im Besprechungsraum der Friedrich-Ebert-Stiftung. Der Blick fällt auf den Landwehrkanal, unten rauscht der Verkehr, es nieselt. Da Silva, 60, ist seit Juli 2025 Vorsitzender der Arbeiterpartei PT. Ein freundlicher Mann mit unprätentiöser Art.

Er teilt mit Präsident Luiz Inácio Lula da Silva nicht nur den Nachnamen, sondern auch eine Überzeugung: dass Brasilien das Recht – ja, sogar die Verpflichtung – habe, sein Öl abzubauen. „Ein Land mit so viel Armut wie Brasilien kann nicht auf potenziellen Reichtum verzichten.“ Solche Töne sind typisch für die Arbeiterpartei PT.

Die Partei verfolgt schon lange das Entwicklungsziel, den Ressourcenreichtum des Landes für soziale Fortschritte zu nutzen. In Amazonien baute sie einst riesige Staudämme, holte Bergbaufirmen ins Land und arbeitete eng mit dem Agrarsektor zusammen. Kri­ti­ke­r*in­nen weisen darauf hin: Viele dieser Projekte gingen auf Kosten traditioneller Gemeinschaften und der Natur. Warum sollte es diesmal anders laufen?

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Die Partei habe gelernt, heißt es. Sollte Öl gefördert werden, müsse ein Fonds eingerichtet werden, betont da Silva. Zunächst sollen die Einnahmen genutzt werden, um zerstörte Waldflächen wieder aufzuforsten. Und langfristig? Investitionen in Bildung, Gesundheit und Forschungszentren.

Gerne wird von den Granden der PT das Beispiel Maricá herangezogen, einer Küstenstadt in der Nähe von Rio de Janeiro. Die von der PT geführte Kommune finanziert Projekte wie eine Sozialwährung und kostenlosen Nahverkehr mit Abgaben aus der Ölindustrie. Das „rote Maricá“ gilt als Leuchtturmprojekt der PT.

Präsident Lula betont, die Förderung müsse verantwortungsvoll erfolgen. Doch er sagt auch, Brasilien sei nicht bereit, auf fossile Brennstoffe zu verzichten. Seine Logik: Wenn die USA und die Golfstaaten weiter Öl fördern, warum sollte Brasilien darauf verzichten? Dahinter steht die Debatte über die Verantwortung für die Klimakrise. Brasiliens Regierung hebt die historische Verantwortung der Industrieländer hervor und setzt sich auf der COP-Konferenz für finanzielle Verpflichtungen ein.

Und tatsächlich ist Brasilien bei der Energiewende weiter als viele andere Länder. 2024 stammten fast 90 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen. Doch bei der gesamten Energieversorgung liegt der Anteil niedriger. Die Regierung sieht die Ölförderung als notwendig, um die grüne Wende voranzutreiben. Energieminister Alexandre Silveira sagte, das Öl ebne einer „Zukunft der energetischen Souveränität“ den Weg. Fraglich bleibt dennoch, wie Brasilien seine Klimaziele erreichen will, wenn es weiterhin stark auf Öl setzt.

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Öl spielt in Brasilien seit Langem eine zentrale Rolle, oft mit nationalistischen Untertönen. Bereits in der Zeit des Estado Novo unter Getúlio Vargas war die Parole „O petróleo é nosso“ – „Das Öl gehört uns“ – verbreitet. Nationalistische Bewegungen erreichten in den 1940er und 1950er Jahren die Gründung von Petrobras und dem staatlichen Monopol für die Ölförderung. Heute nutzen auch Linke gerne die Parole. Dabei wird oft übersehen, dass internationale Unternehmen kräftig mitverdienen. Bei der jüngsten Offshore-Versteigerung schlugen Firmen aus aller Welt zu.

Umweltministerin Marina Silva steht Ölbohrungen kritisch gegenüber. Die Tochter von armen Kautschukzapfern und langjährige Umweltaktivistin aus dem Amazonas-Bundesstaat Acre trat bereits einmal aus Protest gegen Lula Umweltpolitik zurück. Ob das erneut passieren könnte? Der Dialog mit Silva laufe gut, sagt Edinho da Silva knapp. „Sie unterstützt Entwicklung, sofern sie nachhaltig ist.“ Tatsächlich ist es um Silva auffällig ruhig geworden. Sie scheint den Kurs von Lula mitzutragen.

Und die Kritik von Umweltschützer*innen? Studien seien gemacht worden, sagt der Parteivorsitzende der PT. Es gebe kein Risiko für eine Kontaminierung der Amazonasküste. Das sieht Gustavo Moura völlig anders. Er sitzt in einem grell beleuchteten Raum voller Plastikstühle mit integrierten Pulten. Normalerweise sitzen hier Student*innen.

Moura – 44 Jahre, randlose Brille, Flipflops – wirkt selbst wie ein Student. Er ist Ozeanograf und Professor an der Bundesuniversität von Pará. Sie liegt in der Amazonasmetropole Belém, wo auch die COP30 stattfindet. Auf dem Campus wachsen Bananenstauden, bunte Wandbilder zeigen Indigene, ein Schild mit Schlangensymbol warnt vor wilden Tieren.

Mit einem Beamer strahlt Moura eine Karte an die Wand, die Küstenregion Amazonies. Die geplanten Bohrungen liegen zwar 170 Kilometer von der Küste entfernt, doch er zeigt auf rot markierte Kreise im Wasser: „Die Fischgebiete befinden sich gerade einmal 40 Kilometer entfernt.“ Ein Ölleck könnte verheerend sein – wie 2010 im Golf von Mexiko, als eine Explosion auf einer Bohrplattform eine der größten Ölkatastrophen der Geschichte auslöste. Auch die wachsende Zahl von Schiffen könnte die Fischer beeinträchtigen.

In Amazonien sind erst einmal Probebohrungen gestartet, heißt: Es wird geprüft, ob es überhaupt Öl dort gibt. Doch das ist sehr wahrscheinlich. Das Gebiet an Brasiliens Küste weist ähnliche geologische Eigenschaften auf wie das benachbarte Guyana, wo ExxonMobil derzeit riesige Ölfelder erschließt.

Während in Belém über die Zukunft des Planeten diskutiert wird, legen im Hafen Schiffe ab, um Ausrüstung für die Probebohrungen ins Amazonasdelta zu bringen. Von der Metropole aus wird die gesamte Arbeit koordiniert.

Warum die Umweltbehörde Ibama die Genehmigung noch vor der COP erteilte, bleibt unklar. Moura will als Professor nicht spekulieren, vermutet aber: Sollte die Ölförderung genehmigt werden, könnte dies entlang der gesamten Küste einen Dominoeffekt auslösen.

Laut Petrobras wurde das Projekt seit einer ursprünglichen Ablehnung im Mai 2023 mehrfach überarbeitet und verbessert worden. Das Unternehmen erklärte, die jüngste Entscheidung sei „ein Erfolg für die brasilianische Gesellschaft“. Sie zeige die „Robustheit der gesamten Umweltschutzstruktur“, die für die Bohrungen vorgesehen sei. Petrobras betonte, dass man „sicher, verantwortungsbewusst und mit technischer Qualität“ arbeiten werde.

Der Ozeanograf Gustavo Moura äußert sich hingegen skeptisch: „Petrobras hat Know-how für die Küste im Südosten Brasiliens, aber nicht hier.“ Es fehle sowohl die notwendige Ausstattung als auch die Zeit. Eine angemessene Reaktion auf eine Ölkatastrophe sei kaum möglich. Auch das Argument, dass in der Region wenige Menschen leben, lässt er nicht gelten: Im Einzugsgebiet wohnen über zwei Millionen Menschen, darunter viele Indigene und traditionelle Gemeinschaften. Diese seien nicht konsultiert worden, kritisiert Moura – ein Verstoß gegen die ILO-Konvention 169.

Für Andrea Rocha, 46, krause Haare, grüne Perlenohrringe, sind sowohl Amazonien als auch São Sebastião „klassische Fälle“. Sie arbeitet für den Pastoralen Rat der Fischer und Fischerinnen, der sich für die Rechte von Küs­ten­be­woh­ne­r*in­nen einsetzt. Ihre Erfahrung: „Ein Fortschritt der Industrie bedeutet nicht automatisch Entwicklung für die Gemeinden.“ Auffällig sei, dass es sich häufig um Gemeinden handelt, in denen überwiegend Schwarze und Indigene leben. „Umweltrassismus“ nennt sie das.

Umweltgruppen haben Klagen eingereicht und Proteste organisiert, doch diese bleiben klein. Umweltthemen schaffen selten große Schlagzeilen. Kaum jemand glaubt, dass die COP den Ölboom in Brasilien stoppen wird.

Evaldo Pereira, der Fischer aus São Sebastião, hofft, dass es im Amazonasgebiet nicht zur Ölförderung kommt. „Sie sollen nicht durchmachen, was wir erleiden mussten.“ Brasilien könne energieautark sein, ohne auf Öl angewiesen zu sein. Die Einnahmen machten wenige reich und viele krank.

Sein Traum? Ein Stück Land, ein kleines Haus, am besten in Strandnähe – und irgendwann wieder in Ruhe fischen zu können.

Transparenzhinweis: Teile der Recherche entstanden auf einer Pressereise von Misereor.

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1 Kommentar

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  • Energiebedarf und finanzielle Not zwingt die Schwellenländer in dieselben Fallstricke globaler Verschmutzung wie die 1. Welt. Sie sollten beim Aufbau umweltfreundlicher Industrien unterstützt und nicht rücksichtslos ausgenutzt werden, um den Reichtum der 1. Welt zu supporten. Das sollte ein Hauptanliegen des COP30 sein. An fossilen Brennstoffen festzuhalten, ist in etwa so intelligent wie Ketterauchen mit nur einem Lungenflügel.