Ökostrom-Boom: Raus aus der Nische
Lichtblick hat eine Erfolgsgeschichte - Täglich wechseln 1000 Kunden zum Ökostrom-Unternehmen. Jetzt steigt es ins Biogas-Geschäft ein. Wir der Markt moralisch?
+ Ökostrom-Unternehmen, gegründet im Oktober 1998 + Strom ist 100 Prozent regenerativ und entsteht neben dem Erneuerbaren-Mindestanteil (13,5 Prozent) zu 66,5 aus Wasserkraft (aus Norwegen und Österreich) und 20 Prozent aus Biomasse (Deutschland) + Geschäftsführer: Heiko von Tschischwitz, Wilfried Gillrath + Besitzverhältnisse: 91,4 Prozent im Besitz von Hamburger Unternehmerfamilien. Je 4,3 Prozent haben die Geschäftsführer + Begann mit sieben Mitarbeitern + Heute: 200 Angestellte plus 80 Mitarbeiter auf Provisionsbasis + Privatkundenentwicklung: 8 (1999), 100.000 (Okt. 2003), 200.000 (Juli 2006), 330.000 (September 2007). Umsatz wird 2007 etwa 200 Millionen Euro betragen + Nun auch auf dem Gasmarkt mit einer Innovation: einer Erdgas-Biogas-Mischung.
Wissen und Wohlstand in nie da gewesenem Ausmaß sind für den Soziologen Nico Stehr die Grundlage dafür, dass sich der Markt oder ein Teil davon im 21. Jahrhundert weiterentwickeln könnte zum "moralischen Markt". Eine These seines in diesem Jahr erschienenen Buches "Die Moralisierung der Märkte" lautet: Die Macht des kompetenten Konsumenten ist größer geworden und er nutzt das, indem er - inspiriert von gesamtgesellschaftlichen Veränderungen und aktuellen Erfahrungen - bestimmte Waren stärker nachfragt: Waren mit sozialem und ökologischen Mehrwert. Stehr ist längst nicht der Einzige, der den "bewussten Kapitalismus" schon am Horizont erkennen kann. Die US-amerikanische Bestseller-Autorin Patricia Aburdene hat ihn bereits vor zwei Jahren zum "Megatrend 2010" erklärt.
Da kann man nun mit guten Argumenten drüber höhnen, etwa mit Verweis auf die derzeit stattfindende Automesse IAA, die ja voller deutscher Unternehmen ist, die in 4,9 Sekunden ihre Sorge um das Weltklima von null auf hundert beschleunigten. Angeblich.
Gehen wir lieber los und schauen uns ein Unternehmen an, das seit Jahren eine Ware mit ökologischem und politischem Mehrwert anbietet - und deren Kundschaft sich im letzten halben Jahr um fünfzig Prozent vergrößert hat. Die Hamburger Zentrale des Ökostromanbieters Lichtblick liegt ein paar Schritte entfernt vom Bahnhof Altona. Allerdings nicht mehr lange. Die Zahl der Beschäftigten ist mittlerweile auf über 200 gewachsen, so dass die Räumlichkeiten zu klein geworden sind. Im nächsten Jahr wird man umziehen. Prokurist Gero Lücking hat noch ein Büro für sich. Darin sitzt er und skizziert eine rasante Entwicklung. Also: Seit Anfang des Jahres hat sich die Zahl der Privatkunden von 220.000 auf 330.000 vergrößert. Täglich kommen etwa 1.000 Neukunden dazu. Lichtblick hat zudem 15.000 Sondervertragskunden und gehört jetzt zu den Top 20 der deutschen Stromanbieter. Der Umstieg auf regenerativen Ökostrom ist ein Trend des Jahres, das Wachstum dieses Marktes für die Lichtblick-Manager noch nicht annähernd ausgereizt.
Und dennoch verkündet man am heutigen Montag den nächsten unternehmerischen Schritt: den Einstieg ins Gasgeschäft, zunächst in den fünf nordöstlichen Bundesländern. Seit längerem wurde an einem "Ökogas"-Produkt gebastelt, das den Markenkern des Strom-Produkts weiterträgt: Kampf für eine Energiewende und um eine Dezentralisierung des Marktes. "Es geht darum, politische und gesellschaftliche Ziele ideal in ein Produkt umzuwandeln", sagt Lücking. Nun glaubt man es gefunden zu haben mit einem zertifizierten Erdgas-Biogas-Gemisch. Der Anteil des komplett CO2-neutralen Biogases soll zunächst 5 Prozent betragen und dann wachsen. Klingt nicht spektakulär? Ist es aber, sagt Lücking.
Erstens sei es eine Innovation: "Das hat kein anderer Anbieter im Angebot." Zweitens sei es eine flächendeckende Alternative zu den etablierten Gasversorgern. Drittens: "Mit jedem Kunden müssen wir mehr Biogas erzeugen, also neue Anlagen schaffen, und damit bringen wir die Energiewende voran."
Das Biogas kommt aus einer gerade entstehenden Biogasanlage in Jüterbog, die exklusiv für Lichtblick liefert, die Erdgaslieferanten werden nicht genannt. Auf dem 1998 pseudoliberalisierten deutschen Gasmarkt gibt es bisher praktisch keinen Wettbewerb. 85 Prozent des benötigten Erdgases werden importiert. Die Vision ist, eines Tages von Lichtblick mit Ökogas belieferte Kunden zu haben, die mittels eines ebenfalls von Lichtblick gelieferten kleinen Blockheizkraftwerkes im Keller klimafreundlich und dezentral Strom produzieren - für sich selbst und für Lichtblick. "Wir glauben an unsere Kunden", sagt Lücking. Das wäre dann Phase III.
Gestartet wird zunächst Phase II. Und zwar ab dem 1. Oktober mit genau acht Kunden - eine symbolische Reverenz an den Start des Unternehmens im Herbst 1999, als man sich mit nur acht Kunden anschickte, den Strommarkt zu erobern. Einer dieser acht war Gründer und Geschäftsführer Heiko von Tschischwitz, ein anderer Prokurist Lücking.
Von Tschischwitz, 39, ist übrigens Anzugträger. Mit Manschetten am Hemd. Lücking, 44, trägt auch Anzug, aber keine Manschetten. Von Tschischwitz ist studierter Ingenieur, amtierender "Ökomanager des Jahres", musste sich aber garantiert nie "Öko" schimpfen lassen. Lücking hat Energiewirtschaft studiert und kommt aus der Umweltbewegung. Er arbeitete in den 90ern beim Öko-Institut und hat für Greenpeace Anti-Atom-Kampagnen gemacht. Von Tschischwitz liest Wirtschaftszeitungen. Und die taz. Seit Lücking sie ihm nahegebracht hat. Der eine ist also für Ökonomie hauptzuständig, der andere für Ökologie? Bisschen übertrieben, findet Lücking, gehe aber in die richtige Richtung.
Von Tschischwitz war Mitte der 90er bei Lichtblick-Hauptgesellschafter Michael Saalfelds damaligem Unternehmen Vasa Energy beschäftigt, an dem auch der Energieriese Vattenfall beteiligt war - noch vor der Gründung von Vattenfall Europe. Vor ein paar Jahren wollte sich Saalfeld in anderer Sache mit EnBW zusammentun, auch ein Atom- und Kohlestromkonzern.
Aus der Kooperation wurde zwar nichts, aber das sind so Gründe, warum man in Umweltkreisen leicht skeptisch ist, was Lichtblick betrifft. Auch andere ungewöhnliche Allianzen, etwa mit EnBW-Tochter Yello oder jüngst mit Springers Bild, irritiert das ideologisch denkende Milieu. Immer wieder taucht auch die für manche alles entscheidende Frage auf, ob und wie Lichtblick neue Anlagen fördere, um Erneuerbare und Dezentralität tatsächlich voranzutreiben. Bitte, man habe "wie kein anderer Ökostromanbieter investiert", sagt Lücking. Und verweist unter anderem auf den Bau eines Biomasse-Heizkraftwerks in Sulzbach-Rosenberg (Bayern), an dem man mit 60 Prozent und 14 Millionen Euro Investition beteiligt ist.
Es stört sich sicher auch mancher daran, dass es bei Lichtblick ums Geldverdienen geht. Vielleicht ist das aber gerade die Stärke: nicht die Weltrettung in der Nische, sondern den Wettbewerb an einem Gesamtmarkt zu suchen, den der SPD-Energieexperte Hermann Scheer als "Neofeudalismus von transnational operierenden Großkonzernen" definiert. Der Marktanteil der großen Kohle- und Atomstromkonzerne RWE, Eon, EnBW und Vattenfall in Deutschland liegt bei 80 Prozent.
Selbst wenn von Tschischwitz die Konzerne nicht mit der gleichen Inbrunst hassen sollte wie mancher Kunde, so ist der Weg in eine dezentrale, klimaneutrale Energiewirtschaft und damit weg von den großen vier und ihrer fossil-atomaren Kraftwerke-Bonanza die Vision und Geschäftsgrundlage von Lichtblick. Deshalb ging auch immer darum, zu zeigen, dass man es kann; dass man das Know-how, die Raffinesse und die Puste hat, sich aus diesem Markt gegen alle Widerstände der etablierten Energiekonzerne, der häufig mit ihnen verbandelten Stadtwerke und der eingebundenen Politiker ein größeres Stück rauszuschneiden.
Der Markt war zwar 1999 liberalisiert worden, aber nicht reguliert, das heißt: das Stromnetzmonopol existiert weiter. Bis die Bundesnetzagentur kam und zumindest mal die Preise kontrollierte, verlangten die Monopolisten für die Nutzung ihrer Netze so viel, dass die neuen Konkurrenten fast alle längst aufgegeben haben. Lichtblick-Hauptgesellschafter Saalfeld hatte verlustreiche Jahre einkalkuliert, Lichtblick bot trotzdem nie nur Moral, sondern stets auch marktfähige Preise an, kämpfte, prozessierte, hielt durch - und wies 2006 erstmals Gewinn aus.
Das Unternehmen hatte auch schon vorausschauend in die eigene Infrastruktur investiert, als die Kunden noch gar nicht da waren. Damals, sagt Heiko von Tschischwitz und ist sichtlich amüsiert, habe sein Vater im Bekanntenkreis für das Produkt des Sohnes geworben. Statt einer Unterschrift bekam er meist nur ein Schulterzucken. Heute ist nicht nur Bundesumweltminister Sigmar Gabriel auf seine alten Tage Ökostrom-Kunde geworden; es gibt auch echte Prominente und Künstler in der Kundenkartei. Lichtblick-Strom gehört zum Lebensstil eines Teils der gebildeten Mittelschicht. Man kann aber auch in keine Postfiliale gehen, ohne zum Wechsel aufgefordert zu werden.
Von Tschischwitz sagt, er sei überzeugt, dass der Erfolg nachhaltig sein werde. Das Thema Klimawandel werde nicht mehr weggehen, und der "aktive Vertrieb" von Lichtblick sei so strukturell organisiert, dass er auch künftig vierstellige Kundenzuwächse täglich akquirieren könne. Muss er auch, der Hauptgesellschafter hat als Ziel zwei Millionen Kunden ausgegeben. Also siebenmal so viele, wie es heute sind.
Na und? Lichtblick verbreitet einen selbstbewussten Wo-ist-das-Problem?- Optimismus. Es gibt 42 Millionen Haushalte in Deutschland, die Verkrustung bricht gerade erst auf. Von Tschischwitz sagt, er wundere sich, dass sich nicht längst weitere Unternehmen auf diesem Marktsegment bewegten: "Wir haben ja noch nicht einmal ein Prozent des Marktes", sagt er. Da sei "noch viel da".
Warum die Leute nach all den Jahren nun tatsächlich auf Ökostrom und unabhängige Anbieter umsteigen? Bei Lichtblick sieht man drei Hauptgründe: Bewusstsein um den Klimawandel, Ärger im Publikum über die Großkonzerne, die ihre monetäre Fixierung zuletzt allzu deutlich raushängen ließen, und die aktuellen Störfälle in den AKWs.
Auch die drei anderen Ökostromanbieter Schönau (EWS), Greenpeace Energy und NaturStrom sind in diesem Jahr gewaltig gewachsen. Sie haben allerdings zusammen nicht halb so viele Kunden wie Lichtblick.
Ökostromwechsel werde von Menschen vollzogen, die über das Thema nachgedacht hätten und nun die politische Position und die Nachfrage nach erneuerbarer, umweltfreundlich erzeugter Energie stärken wollten. Sagt Lücking. Dieser Mehrwert sei wichtig, aber vor allem müsse schon auch der Preis stimmen. Und der Service. Das könnte man das Geschäftsprinzip von Lichtblick nennen.
Im Zug zurück nach Berlin erklärt am Nebentisch eine ganz offenbar beim Springer-Konzern beschäftigte Dame einem neuen Kollegen die Probleme der WamS und der BamS und dass sie jetzt mal weg von Vattenfall müsse. Im Freundeskreis rate man ihr zu Lichtblick. Fragt er: "Wie, Lichtblick? Da sind Sie schon?" Sagt sie: "Nein." Fragt er: "Aber Sie wollen?" Kurzes Nachdenken. Dann sagt sie mit fester Stimme: "Ja."
Der Anteil der Stromerzeugung am weltweiten Gesamtumfang des klimaschädlichen Treibhausgases Kohlendioxid beträgt derzeit 40 Prozent.
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