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Ökonomin über Wirecard-Skandal„Keiner fühlte sich zuständig“

Der Finanzminister will mit einem Gesetz verhindern, dass sich Manipulation wie bei Wirecard wiederholt. Doch dieses reiche nicht, sagt eine Ökonomin.

Will zukünftig Bilanzmanipulationen wie bei Wirecard verhindern: Finanzminister Olaf Scholz Foto: Florian Gaertner/photothek/imago
Anja Krüger
Interview von Anja Krüger

taz: Frau Rinker, der Bundestag wird in den kommenden Monaten über ein Gesetz debattieren, mit dem Bundesfinanzminister Olaf Scholz verhindern will, dass sich Bilanzmanipulationen wie beim ehemaligen Dax-Konzern Wirecard wiederholen. Taugt der Gesetzentwurf dazu?

Nein. Es gibt zwar einige gute Ansätze, zum Beispiel dass Aufsichtsräte von Unternehmen künftig stärker in die Bilanzkontrolle einbezogen werden. Aber insgesamt ist der Gesetzentwurf nicht konsequent genug.

Warum?

Beispielsweise sollen Unternehmen alle zehn Jahre eine andere Wirtschaftsprüfungsgesellschaft beauftragen müssen. Aber die jeweiligen Mitarbeiter müssen nicht wechseln, die­selben Personen können also länger prüfen.

Minister Scholz sagt, die Finanzaufsicht bekommt mehr Biss. Stimmt das?

Ein Stück weit ja. Aber es gibt Probleme, die nicht gelöst werden. Die privatrechtlich organisierte Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung soll weiterhin für die Bilanzkontrolle zuständig sein. Die Bafin aber auch. Deutschland geht mit dieser zweistufigen Bilanzkontrolle einen Sonderweg. Über die Frage, wer im Fall Wirecard eigentlich zuständig gewesen wäre, hat der Wirtschaftswissenschaftler Hans-Joachim Böcking von der Universität Frankfurt am Main ein 100-seitiges Gutachten erstellt. Das Problem bei Wirecard war: Keiner fühlte sich zuständig. Alle sehen sich als Opfer. Das kann nur behoben werden, wenn wir die Zuständigkeiten vereinfachen. Wir brauchen ein einstufiges System, um dieses Kompetenzwirrwarr zu lösen.

Wer sollte das Sagen haben?

Auf jeden Fall die staatliche Seite. Am besten in einer Institution, vielleicht in mehreren Abteilungen. Die wichtigste Stellschraube, um einen neuen Fall Wirecard zu verhindern, ist, die Aufdeckung zu beschleunigen.

Die Wirtschaftsprüfer von EY haben die Bilanzen von Wire­card seit 2009 geprüft und nicht Alarm geschlagen. In Frankreich gibt es eine Rotationspflicht von fünf Jahren. Wäre das für Deutschland sinnvoll?

Wirtschaftsprüfer müssen sich in ein Mandat einarbeiten, da sind fünf Jahre sehr kurz. Es muss darum gehen, die Qualität der Abschlussprüfung zu verbessern. Dazu ist vor allem wichtig, die kleineren Wirtschaftsprüfungsgesellschaften neben den sogenannten Big4 – EY, PwC, KPMG und Deloitte – zu stärken. Die Haftungsgrenzen zum Beispiel sollten sich an den Umsätzen der Prüfgesellschaften orientieren und nicht pauschal festgelegt werden. Ansonsten wird sich die Marktkonzentration verschärfen. Das führt sicher nicht zu einer besseren Prüfungsqualität.

Wäre es vielleicht sinnvoll, dass hierzulande wie in Frankreich eine kleine und eine große Wirtschaftsprüfungsfirma gemeinsam die Bilanzen von Aktiengesellschaften prüfen müssen?

Es sollte zumindest die Möglichkeit geben. Aber der vorliegende Gesetzentwurf schafft keine Anreize dafür. Im internationalen Vergleich sind die Honorare für Wirtschaftsprüfer in Deutschland niedrig. Sie liegen im Schnitt bei den im weltweit größten Aktienindex Russell gelisteten deutschen Firmen bei 0,09 Prozent des Unterneh­mens­umsatzes, bei europäischen bei 0,13 Prozent und bei US-amerikanischen bei 0,39 Prozent. Sinnvoll könnte die Einführung einer Honorarordnung wie bei Notaren sein. Sind die Honorare zu niedrig, besteht die Gefahr, dass bei der Prüfung an manchen Stellen gespart wird.

Im Interview: Carola Rinker

Die 34-Jährige ist Unternehmensberaterin und Bilanz­expertin. Die Volkswirtin schult unter anderem Mitarbeiter des Bundeskriminalamts zum Thema Bilanzfälschung und war Sachverständige im Bundestagsuntersuchungsausschuss zum Wirecard-Skandal. Sie meint, es wäre hilfreich, wenn die Abschlussprüferaufsichtsstelle Wirtschaftsprüfungsfirmen auch namentlich anprangern würde, wenn diese versagt haben.

Wäre es nicht besser, der Staat würde auf private Wirtschaftsprüfer verzichten und die gesamte Bilanzkontrolle selbst in die Hand nehmen?

Dadurch, dass die Abschlussprüfer in gewisser Weise in Konkurrenz stehen, haben sie auch einen Anreiz, gute Arbeit zu leisten. Wenn der Staat das übernimmt, gibt es keinen Wettbewerb in diesem Sinne. Was die Qualität der Abschlussprüfung auch deutlich verbessern würde, wäre die Angst der Wirtschaftsprüfer vor einem Reputationsverlust. Bisher veröffentlicht die Abschlussprüferaufsichtsstelle Apas Fehler von Wirtschaftsprüfern nur anonymisiert. In Großbritannien wird bei größeren Mängeln auch der Name der Prüfungsgesellschaft veröffentlicht. Das will man als Prüfgesellschaft natürlich nicht.

Auch die Apas hat im Fall Wirecard keine gute Figur gemacht. Der mittlerweile freigestellte Chef Ralf Bose hat Wire­card-Aktien gekauft, obwohl seine Behörde in den Fall eingeschaltet war.

Die Apas kontrolliert die Wirtschaftsprüfer, aber wenn sie nicht streng genug ist, bringt das nichts. Die Apas und die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung müssen mehr öffentlich berichten. Wenn die Prüfstelle Fehler feststellt, wird das im Bundesanzeiger veröffentlicht. Aber wenn man sich nicht gut mit Bilanzen auskennt, versteht man das nicht. Diese Informa­tio­nen sollten so publiziert werden, dass sie auch verständlich sind für jemanden, der nicht die Höhen und Tiefen der interna­tio­nalen Rechnungslegung kennt. Der gesamte Prüfprozess muss transparenter werden.

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6 Kommentare

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  • Die BRD hat die Verpflichtung die - zumindest privaten - Investoren zu schützen. Das ergibt sich ganz direkt aus der Verfassung, seit 2014 aber auch aus EU-Recht. Die BaFin hat aber nicht nur nicht die Investoren geschützt, denn tatsächlich war sie verpflichtet den seit 2008 ständig und meistens sehr substantiierten Vorwürfen intensiv nach zu gehen, vielmehr hat sie sich einseitig auf Seiten Wirecards geschlagen und deren Propaganda befördert. Also die Ausrede, daß niemand sich Zuständig fühlte ändert nichts daran, daß neben Wirecard und EY auch die BaFin bzw. direkt die BRD den privaten Anlegern zum Ersatz ihres dadurch entstandenen Schadens verpflichtet ist. Ganz genauso wie die BRD auch den Corona-Opfern verpflichtet ist!

  • Der Staat sollte da mal lieber seine Finger von lassen. Kostet nur Geld, Nutzen ist zweifelhaft. Wenn der Staat alles abnickt (ansonsten wäre es noch viel teurer) zahlt er auch am Ende. Die Anleger sind da zuerst in der Verantwortung.

    • @FancyBeard:

      Welt- aber vor allem rechtsfremde Vorstellung! Der Staat hatte hier eben alles abgenickt und dadurch den Markt misslead. Dafür haftet er! Der Anleger hat diesbezüglich kein Verantwortung! Wie denn auch?

    • @FancyBeard:

      Haben Sie den Artikel nicht gelesen?



      Gerade weil der Staat seine Finger zu sehr davon gelassen hat konnte Wirecard so gut betrügen!



      Oder wollen Sie etwa, dass so etwas weiter möglich ist, damit Sie es selbst nutzen können?

      • @Mainzerin:

        Wurden Sie denn betrogen? Wurden die Aktionäre gezwungen immer die gleiche Prüfgesellschaft anzuheuern?

        • @FancyBeard:

          Was redest Du immer von den Aktionären? Die haben de facto nichts zu sagen. Das sind einfach Investoren, die aber davon abhängen, daß sie nicht nur nicht von Wirecard sondern vor allem den Aufsichtsstellen und da vornehmlich der BaFin nicht in die Irre geführt werden sondern beschützt werden. Denn genau dazu ist die BaFin geschaffen worden!