Ökonomin über Meinungsmanipulation: „Die Techniken sind atemberaubend“
Silja Graupe hat mitgewirkt an der Neuausgabe von Walter Lippmans „Die öffentliche Meinung“. Warum ist der noch so brisant?
taz: Frau Graupe, wer war Walter Lipmann – und warum lohnt es sich, sein beinahe 100 Jahre altes Buch „Die öffentliche Meinung“ zu lesen?
Silja Graupe: Walter Ötsch, mein Kollege und Mitherausgeber, und ich sehen Walter Lippmann als einen der ersten Autoren, der die Frage der unbewussten Beeinflussung durch Bilder und ihre Bedeutung für Politik und Wirtschaft deutlich gemacht hat. Er selbst war Praktiker, nämlich Journalist und politischer Berater, und hat bedeutende politische Entscheidungen im Amerika des frühen 20. Jahrhunderts mitgestaltet – gerade auch mittels der Kraft von Bildern.
Sie verorten ihn am Anfang einer bis heute relevanten Idee: Statt an der Wirklichkeit arbeiten sich die Menschen an Bildern davon ab; er schreibt von „Fiktionen“, deren Zustandekommen sie nicht selbst kontrollieren.
Genau. Ich würde in noch mit Edward Bernays in Beziehung setzen …
… Neffe Sigmund Freuds und Urenkel des Hamburger Rabbiners Isaak Bernays, aber vor allem: Pionier der Anwendung von Erkenntnissen aus Psychologie und Sozialwissenschaften für PR-Zwecke.
44, Professur für Ökonomie und Philosophie, Leiterin des Instituts für Ökonomie an der Cusanus-Hochschule in Bernkastel-Kues. Hat mit Walter Ötsch "Die öffentliche Meinung" neu herausgegeben: Westend Verlag 2018, 384 S., 26 Euro; E-Book: 17,99 Euro.
www.silja-graupe.de/
Bernays entwickelte ein neues Verständnis von „Demokratie“: Die Masse der Menschen sei schlicht überfordert sich durch Überlegungen ein reflektiertes Bild von politischen Entscheidungen zu machen. Deswegen solle man sie zwar nicht vom Wählen abhalten. Eliten aber sollten ihnen (Schein-)Bilder von der Realität vermitteln, so dass Menschen sich vermeintlich frei in ihren Entscheidungen fühlten, unbewusst aber gar nicht anders könnten, als das zu tun, was diese Eliten als richtig erachten. Bernays sprach von einer „unsichtbaren Regierung“. Diese wirkt gleichsam durch die Köpfe der Menschen hindurch. Lippmann hielt für diese Form der Regierung den Journalismus besonders wichtig.
Inwiefern?
Die Frage der Beeinflussung der Bilder ist nicht verständlich ohne die Frage der Zunahme moderner Kommunikationsmittel; damals vor allem Zeitung, aber zunehmend auch Ton und Film.
Buchvorstellung und Diskussion: Mo, 8.4., 18 Uhr, ZBW, Neuer Jungfernstieg 21, Hamburg, Raum 243.
Anmeldung erforderlich unter https://bit.ly/2TV7eud
Wie, genau, fasst Lippmann diese Fragen?
Er geht davon aus, dass unsere Entscheidungen auf „Pseudo-Umwelten“ basieren, im Original „pseudo environments“: Diese treten zwischen uns Menschen und die reale Welt der Erfahrungen. Wir blicken etwa in die Zeitung und regen uns auf über Ereignisse, die wir niemals miterlebt haben. Wir kennen nur das, was uns Journalisten davon vermitteln. Gleichwohl aber treffen wir Entscheidungen auf der Grundlage dieser Informationen; in unserer modernen Welt müssen wir dies tun. Und diese Entscheidungen zeitigen dann reale Effekte. Sie wirken auf die Welt, in der wir tatsächlich leben. Das war auch früher schon so, ist aber durch die Medien – und zumal die „sozialen“ Medien – extrem verstärkt worden.
Ist diese Verstärkung nur quantitativ, indem uns Medien also mehr potentiell Erregung bewirkende Themen nahe bringen?
Medien- und auch Werbungseinflüsse haben sich natürlich schon zahlenmäßig extrem vergrößert, ebenso die gesellschaftliche Aufgeregtheit anhand von medialen Ereignissen. Bereits Lippmann spricht davon, dass durch Beeinflussungstechniken ein „Gefühlshaushalt“ angesprochen werden kann, also der Mensch in seinen basalen Instinkten berührt wird – ohne dass er das merkt. Und in dieser Hinsicht sind heute ja die Techniken atemberaubend: einerseits aus wirtschaftlichen Gründen – man denke an die Werbung –, aber auch aus politischen Gründen. Und wie da gearbeitet wird, die Möglichkeiten, wie Textoberflächen und mediale Welten gestaltet werden, um bestimmte Effekte zu erzielen, und das unterhalb der Schwelle des Bewusstseins der Nutzerinnen und Nutzer: Das hat sich seit Lippmann nicht nur zahlenmäßig vervielfacht. Das Wissen um mögliche Mittel und Formen der unbewussten Beeinflussung hat sich auch qualitativ vertieft. Was aber nicht zugenommen hat, ist die Bildung über diese Zusammenhänge, also in Schule, Universität und öffentlicher Debatte.
Der Untertitel von „Die öffentlicher Meinung“ lautet: „Wie sie entsteht und manipuliert wird“. Und hinten auf Ihrer neuen Ausgabe ist, in Aufkleber-Optik, zu finden: „Der Klassiker zur Meinungs-Manipulation!“ Das lässt sich als Diagnose lesen, als Klage – oder aber als Anleitung für Manipulierende.
Er ist merkwürdig in der Mitte: Der Text hat keinen manipulativen Gehalt, anders etwa Werke von Milton Friedman oder Friedrich Hayek …
… den Säulenheiligen des (Neo-)Liberalismus also …
… dazu hat Lippmann viel zu unsortiert geschrieben; dazu präsentiert und reflektiert er viel zu viele unterschiedliche Meinungen und Perspektiven. Aber er ist fasziniert von den Möglichkeiten, die er beschreibt. Es ist eine Analyse, aber an vielen Stellen keine Kritik. Er beschreibt es schon so, dass sich daraus auch lernen lässt – auch im Sinne eines Missbrauchs. Als wir mit der neuen Herausgabe anfingen, kannten wir Lippmans Werk auch eher nur in Auszügen, und sahen ihn eher auf der Seite der Meinungsmanipulierer. Aber der Fall ist nicht so eindeutig wie etwa bei Bernays. Bei Lippmann gibt es dafür zu viele kritische Anteile: Er sagt etwa, dass die Bildung über Manipulation aufklären müsse. Er spricht sich auch aus für eine Verstaatlichung von Informationsdiensten, die die Produktion der neuen Bilder zum Wohle aller lenken sollten. Aber er bleibt dennoch einer der Großen, die auch manipuliert haben. Mit einem Unterschied: Er reflektiert kritisch, was er tut, auch moralisch. Und genau dies fehlt in der heutige PR zu oft, meine ich.
Wer die erwähnten„Fiktionen“ beeinflusst, der kontrolliert für Lippmann „Die öffentliche Meinung“. Woraus er aber nicht schließt, dass es den Menschen zu befreien gilt.
Stereotype, Fiktionen, „pseudo environments“, Framing: Das alles ist alles nicht synonym, aber für den Moment würde ich es auch nicht allzu strikt unterscheiden wollen. Lippmann spricht von einer Dreiecksbeziehung: Unsere Wahrnehmung ist auf diese Fiktionen gerichtet, es entstehen daraus aber Handlungen, die sich in der realen Welt äußern. Als Beispiel nennt er eine Werbung für eine karitative Einrichtung: Sie zeigt ein verhungerndes Kind und spricht damit direkt das teifsitzende Gefühl von Mitleid in einem Menschen ein. Dieser weiß nicht, warum das Kind hungert, was genau dessen Lebenslage ist. Auch über die Art, wie und ob ihm tatsächlich geholfen wird, weiß er nichts. Real ist nur sein Gefühl. Und sein Wunsch, dieses loszuwerden, führt zu einer Spende, von der er auch nicht weiß, was sie wirklich bewirkt.
Und in der Politik?
Wenn sich Stereotype verfestigen, wie es heute bei besonders gut bei den Rechten zu beobachten ist, dann schlägt kann keine Handlungsrealität nmehr die Wahrnehmung relativeren. Wenn jemand etwa in ausländerfeindlichen Stereotypen gefangen ist, dann sitzt die Angst so tief, dass sie alle wirkliche Begegnung verhindert, und die Stereotype können durch mediale Bilder immer weiter verfestigt werden. Alternative Wahrnehmungen dringen nicht mehr durch. Natürlich ist richtig, dass wir nicht bei jeder Begegnung komplett auf vorgefertigte Wahrnehmungsbilder verzichten könnten. Schon Lippmann meinte, dass unsere Umwelt zu komplex sei, um immer alles zu durchdenken. Doch bei Manipulation geht es nicht um Bilder, die aus der Erfahrung des Einzelnen oder einer ganzen Gesellschaft stammen. Es sind Bilder, die andere Menschen bewusst und gezielt anfertigen, um ihre Interessen durchzusetzen.
Wie kommen die zustande?
Kommen wir auf das Beispiel des verhungernden Kindes zurück. Das Ziel steht hier vorab fest: Es soll der Spendenfluss gesteigert werden. Dann gibt man keine Informationen etwa über den Zustand in einem Krisengebiet, sondern man appelliert direkt eben an das basale Gefühl von Mitleid und nutzt so den eher unbewussten Fürsorgeinstinkt bewusst für die eigenen Zwecke aus. In der Politik schürt man für die eigenen Zwecke beispielweise Gefühle von Angst und Unsicherheit, die bekanntermaßen das reflektierte Denken eher aussetzen lassen.
Lippmann formuliert, als Gegenmittel geradezu, die Idee einer „gelenkten Demokratie“.
Es ist sicher nicht unser Verständnis von Demokratie, sondern eines im Sinne, wie ich es bei Bernays geschildert habe. Die wahren Herrscher sollen unsichtbare Eliten sein – mit der Folge, dass auch die bekannten Politiker zu den Manipulierten gehören sollen. Lippmann hoffte zumindest an einigen Stellen, dass diese unsichtbare Elite aus selbstlos Handelnden bestehen könnten. Um es mal ganz ehrlich zu sagen: Viel Hoffnung bestand bereits zu seiner Zeit diesbezüglich nicht. Und heute wird es kaum besser sein.
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