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Ökonom über griechische Wirtschaft„Der Mindestlohn darf nicht steigen“

Eine Revision der griechischen Reformen und ein Schuldenschnitt wären falsch, sagt Ökonom Clemens Fuest. Auch die gestoppte Hafen-Privatisierung sei notwendig.

Orthografisch fragwürdiges Graffito gegen die bisher so strenge Sparpolitik in Athen. Bild: ap
Hannes Koch
Interview von Hannes Koch

taz: Die neue griechische Regierung hat die Privatisierung des Hafens von Piräus gestoppt. Nachvollziehbar: Warum soll man Anlagen verkaufen, die Jahr für Jahr Gewinne für den Staat erwirtschaften können?

Clemens Fuest: Die umgekehrte Frage muss man stellen – warum erscheint es notwendig, dass der Staat Hafenanlagen betreibt? Öffentliche Betriebe zu privatisieren ist sinnvoll, wenn sie dann effizienter geführt werden. Ein solches Geschäft lohnt sich für den Staat, wenn der Verkaufserlös höher ausfällt als der Verlust der bisherigen Einnahmen.

Der Hamburger Hafen ist profitabel und etwa zur Hälfte in Staatsbesitz.

Was in einem Land gut funktioniert, klappt in einem anderen nicht unbedingt. Und es besteht ein grundlegender Unterschied zwischen Deutschland und Griechenland. Berlin brauchte keine Bürgschaften anderer Länder, um seinem Bankrott zu entgehen. Für die Hilfe muss Athen bestimmte Bedingungen erfüllen.

Regierungschef Alexis Tsipras hat zudem die geplante Privatisierung der staatlichen Elektrizitätsgesellschaft angehalten. Wie beurteilen Sie das? Genauso wie beim Hafen. Die griechische Regierung verletzt demonstrativ die Vereinbarungen mit der europäischen Troika.

Der griechische Mindestlohn wurde 2012 gekürzt. Nun soll er wieder steigen. Ist das angesichts des Niveaus von 3,35 Euro pro Stunde nicht verständlich?

Bild: ZEW
Im Interview: Clemens Fuest

Der gebürtige Münsteraner ist seit März 2013 Präsident und wissenschaftlicher Direktor des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim.

Nein, die Produktivität der griechischen Arbeitnehmer ist so niedrig, dass der Mindestlohn sinken musste. Weil die Beschäftigten vergleichsweise wenig erwirtschafteten, war es nötig, die Arbeitskosten zu drücken. Diese Analyse ist noch immer richtig.

Griechenland muss über 10 Prozent seiner Staatseinnahmen für Schuldzinsen aufwenden. Rechtfertigt das einen Schuldenschnitt?

Tatsächlich zahlen muss Griechenland gegenwärtig ja nicht. Aber mittelfristig werden die Zinsen natürlich fällig. Dann werden sie laut Vereinbarung jedoch nur etwas mehr als 4 Prozent der Wirtschaftsleistung betragen. Das ist immer noch eine hohe Belastung, mehr, als beispielsweise Deutschland tragen muss. Weitaus weniger freilich, als die Finanzierung über die internationalen Finanzmärkte kosten würde. Die Bedingungen des europäischen Hilfsprogramms sind günstig.

Wäre es sinnvoll, die Zinszahlungen und die Rückzahlungsfristen zu strecken?

Jetzt nicht, aber man sollte es nicht für alle Zukunft ausschließen. Die Reihenfolge ist wichtig: Erst muss Griechenland die vereinbarten Reformen durchführen, die Privatisierungen umsetzen, den Mindestlohn nicht erhöhen, keine gekündigten Beamten wiedereinstellen. Dann kann man über Erleichterungen bei den Schulden reden.

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21 Kommentare

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  • Das ganze Konstrukt Griechenland ist Murks! Man kann entweder versuchen durch niedrige Löhne wieder Konkurrenzfähigkeit zu erlangen oder man verlässt einen Währungsraum, der zu teuer für die eigene Wirtschaftsleistung ist. Mindestlöhne sind ein Instrument, um den sozialen Frieden in einem Land zu gewährleisten - das funktioniert aber nur, wenn die Volkswirtschaft sich Mindestlöhne generell leisten kann!

    • @Horst von Aquin:

      Konkurrenzfähigkeit durch noch niedrigere Löhne als andere in der EU. Die perfide , eingebaute Lohnspirale nach unten...Das Wachstum Griechenlands geht dann auf Kosten Portugals im Kampf um Touristen und Exportgüter. Das sozialdemokratisch-christliche Brüssel will dem mit Dirigismus (Planwirtschaft) vorbeugen. Du Irland züchtest Schafe, Island fängt Fisch und jeder Portugiese wird Ferienheim-Manager. Ein portugisischen Fischer erzähte mir, das er für eine EU-Hlfe sein Boot dokumentiert verbrennen musste.Er solle jetzt in Tourismus machen. Der Wunsch eines Grexits ist mir nicht klar. Wieso soll der sein , um wirtschaftlich auf die Beine zu kommen? Ich dachte, im Euroland kommt Wohlstand, Wachstum und Frieden.

  • Schön, dass die TAZ jetzt auch endlich dem neoliberlaen Mainstream folgt.

  • Dieses Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung, dessen Direktor Herr Fuest ist, sind so die Einrichtungen, die dafür sorgen, dass selbst der aufrichtigste Menschenrechtler irgendwann anfängt darüber nachzudenken, ob Putins eurasische Union nicht eine reale Alternative zu der EU sein könnte.

     

    Schlimm das.

    • @Age Krüger:

      Ist doch egal, hauptsache gegen Putin.

  • Ich glaube, Herr Sonneborn hat sich in der Maske des Herrn Fuest einen Scherz mit der TAZ erlaubt.

  • Ich finde, dass Herr C.Fuest gar nicht die Straßenbahn nehmen muss. Er kann auch zu Fuß nach hause laufen.

  • Warum stets auf Griechenland rumprügeln. Prügelt doch die, die Griechenland unbedingt in die EU aufnehmen wollten.

  • Und die Produktivität des Herrn Fuest tendiert gegen Null!

    Die Frage ist eben, produktiv für wen oder was?

    Und seine Produktivität für die klare Mehrheit der Bevölkerung ist sogar, um es mit einem ehemaligen Modewort zu sagen, kontraproduktiv.

  • "Ein solches Geschäft lohnt sich für den Staat, wenn der Verkaufserlös höher ausfällt als der Verlust der bisherigen Einnahmen" Eine bemerkenswerte Antwort auf den Hinweis, dass der Hafen dem Staat keine Verluste sondern im Gegenteil Gewinne einbringt. Vielleicht gibt es ja Grund zur Spekulation,dass die von privaten Hafenbetreibern eingenommenen Steuern wahrscheinlich höher sein würden, als die Gewinne. Darüber hätte man ernsthaft streiten können. So aber bleibt das ideologische Dahergeplapper eines neoliberalen Wirtschaftsideologen ohne Erkenntniswert. Manche Dinge landen doch besser im Papierkorb.

  • "Mindestlohn" von 3,35 Euro-Std. verständlich? Nein!

     

    Die griechische Regierung muss, nach der anstehenden überfälligen Reform des staatlichen Gewaltapparates, ihren Polizei-, Militär- und Geheimdienstapparat auch gezielt für die Rückholung der unterschlagenen und verschobenen Vermögen (-- ins Ausland) einsetzen!

     

    Hierfür, für die Rückholung und den Zugriff auf alle großen Steuer-Unterschlagungen, bedarf es auch der aktiven Einbeziehung der werktätigen Bevölkerung. Zugleich muss (unterschiedslos) gegen alle Formen der materiellen gesellschaftlichen Korruption und Bereicherung vorgegangen werden!

     

    Auch vor den europäischen Steuer- und Vermögens-Unterschlagungs-Staaten, wie z. B. der Schweiz, darf kein Bogen gemacht werden!

     

    Die Regierung Griechenlands darf hiervor nicht zurückschrecken, sonst verliert sie ihre Glaubwürdigkeit. Ein ernster Konflikt mit den Oasen der Vermögenshinterziehung und deren EU-Administration wäre hierfür unumgänglich.

    • @Reinhold Schramm:

      ...aktive Einbeziehung der werktätigen Bevölkerung (unterschiedslos?)

       

      Selbstanzeige oder Bürgerwehr?

  • https://lobbypedia.de/wiki/Clemens_Fuest

     

    Kronberger Kreis, INSM, IdW ...

     

    case closed

  • Ahh, noch eine weitere neoliberale & unsoziale Ansicht eines realitätsverweigernden Wirtschaftsfuzzys.

  • Launisch-reaktionaeres Interview ohne jede Refevanz fuer die oekonomisch-gesellschaftliche Situation Griechenlands.

     

    Ein ideenloses Nachbeten von Allgemeinplaetzen.

     

    1. Die Privatisierung ist selbstverstaendlich ein irrelevanter Nebenschauplatz. Der einmalige Zufluss der Verkaufserloese hat rein gar nichts mit den mittel- bis langfristigen realoekonomischen Veraenderungsnotwendigkeiten zu tuen.

     

    2. Der Vorschlag durch niedrige Arbeitskosten jedes auch noch so veraltete Produkt verkaufen zu koennen ist die altbekannte Ueberbetonung des Preises der alles von selbst regelt bei jeder oekonomischen Analyse.

     

    Unkreativ, irrelevant and auf den Erhalt bestehender Strukturen und Abhaengigkeiten ausgerichtet - ich hoffe ihr zahlt dem Interviewten nicht auch noch ein Honorar fuer diesen Unsinn!

  • 4G
    4932 (Profil gelöscht)

    Ich betrachte es als Stärke der 'taz', einfach dann wieder einmal so einen Traumtänzer zum Interview einzuladen.

    Eine weitere Frage von mir an Herrn Clemens Fuest:

    Hätten Sie es besser gefunden, wenn diese Wahl gar nicht stattgefunden hätte und daß alles so geblieben wäre, wie die EU es gewollt hatte?

    Clemens Fuest: Ja, auf jeden Fall.

  • Liebe Taz,

     

    soll das so eine Art neue Linie werden? Die Zeitung die nach links keilt und neoliberale Phrasendrescher zu Wort kommen lässt?? Wieso?

     

    "Öffentliche Betriebe zu privatisieren ist sinnvoll, wenn sie dann effizienter geführt werden."

    Und dass sie dann effizienter geführt werden garantiert uns wer? Solange ein Betrieb in Staatshand schwarze Zahlen schreibt, ist er offenbar ausreichend effizient.

    • @Max Mutzke:

      Tout d'accord. Ich empfehle der TAZ mal einen Blick auf die heutige Süddeutsche mit dem Kommentar von Jeffrey Sachs Colombia University http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/griechenland-schuldenerlass-oder-es-knallt-1.2326307.

      Der Kommentar scheint mir weitaus zutreffender: Man kann die Krise nicht mit prozyklischen Handeln beheben, erforderlich ist hier ein New Deal. Wenn das nicht geschieht, wird auch DE's Wirtschaft sehr starke Nachteile erleben. Insgesamt scheint mir, hat sich bei uns noch nicht so richtig durchgesetzt, dass wir in einer internationalen verflochtnen Weltwirtschaftsordnung leben.

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Sattsam bekannte Logik, gerade im Begriff, widerlegt zu werden?

     

    Können wir's nicht erwarten?

    Muss täglich ein anderer Experte dazu befragt werden?

  • Ein aufschlussreicher Satz dieses Neokon-Ökonomen zur Senkung der Mindestlöhne : "Weil die Beschäftigten vergleichsweise wenig erwirtschafteten, war es nötig, die Arbeitskosten zu drücken."

    Frage; Warum sollen die Mitarbeiter für die Fehler (und Profitgier) der Unternehmer bezahlen?

     

    Mit dieser Argumentation des Herrn Clemens Fuest könnte man auch die Löhne in ganz Europa (und auch der taz-Mirbeiter) noch tiefer in den Keller drücken.

     

    Die Motoren fuktionierender Wirtschaft (siehe Wirtschaftswunder DE) sind

    Kaufkraft bei denen, Kaufbedarf haben,

    Tatsächlich fließt das Geld (also die Kaufkraft) in totes Kapital, wo es den Volkswirtschaften keinen Nutzen erwirtschaften kann.

    Die völlig unrealistisch hohen Börsenkurse beweisen nur das Zuviel an totem Kapital aus Gewinnen, das der Massenkaufkraft entzogen wurde.