Ökonom über die Schuldenbremse: „Sie muss reformiert werden“
Der Ökonom Sebastian Dullien warnt davor, in der Rezession Ausgaben zu kürzen. Stattdessen sollte der Staat in die Dekarbonisierung investieren.
taz: Herr Dullien, das Bruttoinlandsprodukt ist im vergangenen Jahr um 0,3 Prozent zurückgegangen. Ist dies eine kurze Schwächephase oder muss sich Deutschland auf eine längere Wirtschaftskrise einstellen?
Sebastian Dullien: Wir gehen davon aus, dass die Wirtschaft dieses Jahr um 0,3 Prozent schrumpfen wird. Wann es danach wieder bergauf geht, ist unklar. Es besteht das Risiko, dass sich die jetzige Konjunkturschwäche in Deutschland verfestigt, wenn sich die privaten Haushalte und Unternehmen auf weitere Stagnation einstellen.
ist wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.
Warum?
Wenn Unternehmen und private Haushalte davon ausgehen, dass sich die Wirtschaftslage nicht wieder verbessert, dann investieren und konsumieren sie weniger. Das schwächt die Konjunktur zusätzlich. Deswegen wird es immer schwerer, aus einer Schwächephase herauszukommen, je länger sie andauert.
Was muss jetzt getan werden, damit sich die Phase des Schwächelns sich nicht verfestigt?
Es ist wichtig, dass der Staat eine Trendwende herbeiführt und nicht in eine Rezession hinein Ausgaben weiter kürzt. Er muss stabile Rahmenbedingungen für die Investitionen der nächsten Jahre schaffen. Insofern war es falsch, dass nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts der Rotstift bei Sachen angesetzt wurde, die eigentlich versprochen waren. Stattdessen sind gerade jetzt Investitionen in die Dekarbonisierung und sozialökologische Transformation notwendig. Und es muss ein sozialer Ausgleich für die steigenden Co2-Preise geschaffen werden.
Doch die Bundesregierung muss sparen, will sie die Schuldenbremse einhalten.
Leider zeigt sich nach dem Urteil des Bundesverfassungsgericht jetzt ganz deutlich: Die Schuldenbremse ist eine Investitionsbremse. Sie muss reformiert werden.
Aufgrund des Hochwassers in einigen Regionen Deutschlands kam die Forderung auf, erneut eine Notlage zu erklären und die Schuldenbremse auszusetzen. Wäre das eine Alternative zur Reform der Schuldenbremse?
Die Höhe der Schäden des Hochwassers kann noch nicht abgeschätzt werden. Auch nicht, wie viel davon der Bund und wie viel die Länder tragen müssen. Gleichzeitig hat das Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht, dass eine Aussetzung der Schuldenbremse gut begründet sein muss und dass es dafür einer relevanten finanziellen Belastung bedarf. Ob das durch die Flutschäden gegeben ist, ist offen. Insofern bleibt die sauberste Lösung eine Reform der Schuldenbremse.
Wie sollte eine solche Reform der Schuldenbremse aussehen?
Man könnte sie mit einer „Goldenen Regel“ ergänzen, die es zulässt, dass sich die öffentliche Hand für Investitionen verschuldet. Dies wäre ähnlich der Schuldenregel, wie wir sie vor der Einführung der Schuldenbremse hatten. Das würde eine Verstetigung öffentlicher Investitionen ermöglichen und gleichzeitig eine Überschuldung vermeiden. Und selbst wenn man die Schuldenbremse ganz abschaffen würde, wäre die deutsche Staatsverschuldung noch durch die EU-Schuldenregeln begrenzt.
Für eine Reform der Schuldenbremse, braucht es eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat. Doch FDP und Union sind dagegen, eine Reform also weniger realistisch. Gäbe es eine Alternative?
Man könnt ein Sondervermögen für Transformationsinvestitionen einrichten, ähnlich dem Sondervermögen der Bundeswehr. Doch auch dafür bräuchte es eine Zweidrittelmehrheit, weil die Sondervermögen im Grundgesetz festgeschrieben werden.
Glauben Sie, dass sich SPD und Grüne mit FDP und Union auf einen Kompromiss einigen könnten?
Es ist zumindest zu hoffen. Auch der FDP sollte eigentlich klar sein, dass ein stures Festhalten an der Schuldenbremse nicht sinnvoll ist. Und auch der Union sollte einleuchten, dass es kein Spaß sein wird, wenn sie in Zukunft wieder regieren will und sich dann an die Schuldenbremse halten muss. Jedes Lehrbuch warnt davor, in einer Rezession zu sparen, wenn ökonomischer Spielraum für neue Schulden besteht und gleichzeitig wichtige Zukunftsinvestitionen anstehen.
Durch die Zinsanhebungen der EZB seit der Energiepreiskrise haben sich Kredite deutlich verteuert. Kann sich Deutschland überhaupt noch neue Schulden leisten?
Die Rendite für zehnjährige Anleihen liegt derzeit bei rund zwei Prozent. Das ist niedriger als die erwartete Inflationsrate in der Zeit. Das heißt, der Bund müsste bei neuen Schulden real weniger zurückzahlen als er aufnimmt. Auch die volkswirtschaftliche Rendite in Investitionen in Bildung und Infrastruktur werden deutlich höher sein als die Zinsen. Diese Ausgaben werden dem Staat an künftigem Wachstum und Steuern mehr bringen als sie jetzt kosten.
Besteht nicht die Gefahr, dass die Schulden irgendwann zu hoch werden?
Davor muss man auf absehbare Zeit keine Angst haben. Mit 67 Prozent der Wirtschaftsleistung weist Deutschland unter den reichen Industriestaaten, den G7, mit Abstand die niedrigste Schuldenquote auf. Alle anderen haben über 100 Prozent. Bei den USA sind es 122 Prozent, bei Japan sogar 261 Prozent. Deutschland ist weit davon entfernt, überschuldet zu sein.
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