Ökonom über Lage in Griechenland: „Die EU lässt Klientelpolitik zu“
Mitten in der Eurokrise steht Griechenland vor den Wahlen. Es wäre besser gewesen, auf den Schuldenschnitt zu verzichten, sagt der Ökonom Yannis Stournaras.
![](https://taz.de/picture/215682/14/Griechenland_dapd_neu.jpg)
taz: Herr Stournaras, am 6. Mai wird in Griechenland gewählt. Was erwarten Sie?
Yannis Stournaras: Es könnte sein, dass keine Regierung zustande kommt. Die Splitterparteien legen zu, während die großen Volksparteien verlieren. Das schlimmste denkbare Szenario wäre, dass wir immer wieder neue Wahlen abhalten müssen.
Wird Griechenland unregierbar?
Das ist nicht auszuschließen. Gleichzeitig wollen aber 80 Prozent der Wähler im Euro bleiben.
Trotz der Eurokrise?
Die Lage in Griechenland ist katastrophal, bis Ende 2012 wird unsere Wirtschaft um 18 Prozent geschrumpft sein. Damit ist die Rezession viel schwerer ausgefallen, als es EU, EZB und Internationaler Währungsfonds prognostiziert haben.
Was hat die „Troika“ falsch gemacht?
Es wurden vor allem die Löhne gekürzt und die Steuern erhöht. Stattdessen hätte man viel mehr darauf bestehen müssen, dass der griechische Staat sein Vermögen privatisiert und die Märkte geöffnet werden.
Was hätte das gebracht?
Sie müssen Griechenland nur mit Irland vergleichen. In Irland ist die Wirtschaft inzwischen um 6 Prozent geschrumpft, und die Preise sind um 4 Prozent gefallen. Damit hat die internationale Wettbewerbsfähigkeit von Irland zugenommen. In Griechenland hingegen ist die Wirtschaft sogar um 18 Prozent eingebrochen – und trotzdem steigen die Preise noch. Hier gibt es überhaupt keinen Markt und keinen Wettbewerb. Überall regieren die Kartelle. Also ist es auch gar kein Wunder, dass wir international nicht konkurrenzfähig sind.
Ist es nicht unfair, diesen mangelnden Wettbewerb der Troika anzulasten? Sie bemüht sich seit zwei Jahren, das Kartell der Lastwagenfahrer aufzubrechen, die für jeden Transport exorbitante Preise berechnen.
Aber bei den Kartellen legt die Troika nicht den gleichen Eifer an den Tag, den sie bei den Lohnkürzungen zeigt. Die EU lässt es zu, dass die griechischen Politiker Klientelpolitik betreiben.
Immerhin gab es einen Schuldenschnitt, bei dem Griechenland 100 Milliarden Euro erlassen wurden. Hat das geholfen?
Es wäre sehr viel besser gewesen, auf den Schuldenschnitt zu verzichten. Denn wie der Name „Kredit“ schon sagt – es geht um Vertrauen. Wenn Kreditgeber nicht mehr darauf vertrauen können, dass sie ihr Geld wiedersehen, dann werden sie das Land meiden. Durch den Schuldenschnitt ist Griechenland von den Kapitalmärkten abgeschnitten. Aber die deutsche Regierung wollte ihn unbedingt. Damit müssen wir nun leben.
Was wäre denn die Alternative zu einem Schuldenschnitt gewesen? Griechenland stand kurz vor der Pleite.
Man hätte den Vorschlag von Roland Berger aufgreifen sollen, dass der griechische Staat sein Vermögen an die Troika verkauft – und im Gegenzug Kredite erhält. Denn unser Staat ist sehr reich, was historische Gründe hat. Nach dem Abzug der Türken wurden die Besitztümer der Ottomanen nicht privatisiert, sondern auf den griechischen Staat und die Kirche übertragen.
Aber dieser Reichtum ist doch rein fiktiv. Kein Investor ist an griechischem Land interessiert, solange die Wirtschaft in der Depression verharrt.
Griechenland hat enormes Potenzial. Nur ein Beispiel: Man könnte den Medizintourismus ausbauen. Die Weltgesundheitsorganisation stuft das griechische Gesundheitssystem auf Platz 14 ein, während Deutschland nur Platz 25 erreicht. Wir haben sehr gute Ärzte – aber viel zu viele. Die Hälfte aller staatlichen Krankenhäuser steht leer.
Wie kam es dazu?
Jeder griechische Minister wollte ein Krankenhaus oder eine Universität in seiner Heimatstadt errichten. Es war eine Form der Korruption.
Aber Griechenland kann doch nicht nur vom Medizintourismus leben, zumal andere Länder wie Tschechien auch schon auf diese Idee verfallen sind.
Griechenland hat viele weitere Möglichkeiten: Man könnte hier zum Beispiel Medizinpflanzen anbauen, biologische Landwirtschaft betreiben, Solar- und Windenergie exportieren – und natürlich den Tourismus weiter ausbauen.
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