Ökonom über Folgen der Finanzkrise: „Das kann jederzeit wieder kommen“
Spekulationen mit US-Hypotheken lösten die globale Finanzkrise aus. Banken haben daraus eines gelernt, erklärt Martin Hellwig: Der Staat rettet sie notfalls.
taz: Herr Hellwig, die Finanzkrise ist nun offiziell zehn Jahre alt. Was war am 9. August 2007 so besonders, dass er nun als Beginn des weltweiten Crashs gilt?
Martin Hellwig: Am 9. August 2007 verweigerte ein Fonds der französischen Bank BNP Paribas die Rücknahme von Anteilen. Da merkte man, dass die Krise nicht nur die USA betraf. Tatsächlich begann die Krise schon im Sommer 2006, als die Immobilienpreise in den USA sanken und die Hypothekenschuldner nicht mehr pünktlich zahlten. Noch vor Jahresende 2006 gingen die Kurse vieler Verbriefungen alsbald in den Keller. Aber erst im August 2007 nahm man das als globale Krise wahr. Dabei gab es schon Anfang 2007 sehr genaue Analysen der Krise der Immobilienkredite in den USA, aber man hielt das für unbedeutend in Relation zum globalen Finanzsystem. Ab August 2007 sah man das anders.
Warum war die Immobilienblase in den USA so viel desaströser als die Dotcom-Blase um 2000?
Immobilienkrisen sind immer gefährlich. In den Industrieländern machen Immobilien rund die Hälfte des privaten Vermögens aus, und ihre Werte sind hoch korreliert. Zudem werden viele Immobilien über Bankkredite finanziert. Größere Verluste treffen sofort auch die Banken. In diesem Fall weltweit, da die Verbriefungen der US-amerikanischen Hypotheken weltweit gehalten wurden, und das praktisch ohne Eigenkapital. Da war alsbald die Solvenz vieler Institute gefährdet. Zum Vergleich: Die Dotcom-Krise hatte ein Mehrfaches an Anfangsverlusten, aber die trafen vor allem Fonds, zum Beispiel Pensionsfonds. Für die Pensionssparer war das bitter, aber die Kreditvergabe der Banken war nicht betroffen, und die Konjunktur brach viel weniger stark ein.
In Deutschland hält sich aber hartnäckig die Idee, dass Finanzkrisen durch Aktiencrashs ausgelöst werden.
Das ist falsch. Auch für die Weltwirtschaftskrise waren die Bankenkrisen von 1931 viel wichtiger als der Börsenkrach von 1929. Aber es ist moralisch viel befriedigender, das „Spielkasino“ der Börse als Quelle des Übels anzuprangern.
Haben Wirtschaft und Politik aus der letzten Finanzkrise gelernt?
Die Banken haben gelernt, dass sie in der Krise vom Staat gerettet werden. Sie haben das immer schon vermutet, aber jetzt wissen sie es genau. Und ihre Gläubiger wissen es auch und verlangen entsprechend niedrige Zinsen.
Der 68-Jährige ist seit 2004 Direktor des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn. Zuvor war Hellwig im In- und Ausland, u. a. an den Unis Basel und Stanford, als Professor für Wirtschaftslehre und Wirtschaftstheorie tätig.
Die Bundesregierung hat aber versprochen, dass nach den Reformen der letzten Jahre der Steuerzahler nie wieder einspringen muss.
Ich glaube das nicht. Die Politik wird immer versucht sein, die Bank zu erhalten und die Gläubiger schadlos zu stellen. Wir haben das gerade in Italien gesehen. Wir empören uns darüber, aber auch bei HSH Nordbank wurde 2016 das Engagement des Staats noch einmal erhöht. Ich könnte mir vorstellen, dass es im nächsten Jahr ähnlich gehen wird wie jetzt in Italien.
Warum ist die HSH Nordbank seit zehn Jahren in der Dauerkrise?
Zu den Verlusten aus US-Hypothekenverbriefungen kommen hier die Verluste aus Schiffskrediten. HSH Nordbank als „größter Schiffsfinanzierer der Welt“ hat vor 2008 massiv Kredite für neue Schiffe vergeben und zu gigantischen Überkapazitäten beigetragen. Diese verhindern, dass die Reeder das Geld verdienen, das sie bräuchten, um ihre Kredite zu bedienen.
Wie teuer ist das für den deutschen Steuerzahler?
Bei HSH Nordbank sehe ich seit 2004 jetzt schon 17 Milliarden Euro an Kosten für den Steuerzahler, aber da kann im nächsten Jahr noch einiges hinzukommen. Für die Banken insgesamt schätze ich die Kosten bisher auf rund 70 Milliarden Euro, davon zwei Drittel bei öffentlichen Banken.
Eine ungeordnete Pleite ist aber auch keine Alternative: Der Zusammenbruch von Lehman Brothers im September 2008 hat die Finanzkrise noch weiter verschärft. Muss der Staat nicht die Banken retten?
Ich sehe das auch so. Eine ungeordnete Insolvenz etwa der Deutschen Bank hätte wohl noch schlimmere Folgen als der Lehman-Konkurs. Auch neu eingeführte Sanierungs- und Abwicklungsverfahren haben Probleme. Wenn die Behörden einschreiten und die Kontrolle übernehmen, wird das getrennt in Frankfurt, New York und London geschehen; dadurch wird die Funktionsfähigkeit des Unternehmens „Deutsche Bank“ geschädigt. In New York ist sie als Marktmacher für bestimmte Derivate tätig. Das kann nur weitergeführt werden, wenn die Finanzierung aus Frankfurt nach wie vor läuft. Würde die hiesige Behörde das zulassen? Wenn nicht, dürften die betreffenden Märkte plötzlich verschwinden – mit katastrophalen Folgen für das System insgesamt. Unter anderem deshalb haben die Amerikaner die bisher vorgelegten „Bankentestamente“ der Deutschen Bank abgelehnt.
Das Finanzsystem ist also heute so fragil wie vor zehn Jahren?
Die Ansteckungsmechanismen von 2008 sind nach wie vor gefährlich. So hängen die großen Banken nach wie vor von Geldmarktkrediten ab. Ein erheblicher Teil der Mittel dafür kommt von Geldmarktfonds. Wenn diesen die Anleger weglaufen, müssen sie die Mittel bei den Banken abziehen, und die Banken kommen in Schwierigkeiten. So geschehen in der Panik nach Lehman Brothers und noch einmal, etwas weniger drastisch, in Europa im zweiten Halbjahr 2011. So etwas kann jederzeit wieder kommen.
Wo liegt der Hauptfehler der deutschen Politik?
Man hat gar nicht versucht zu verstehen, was passiert war, warum gerade Deutschland so stark betroffen war und was es bräuchte, um die Gefahren zu reduzieren.
Aber es gab doch den Untersuchungsausschuss zur Hypo Real Estate.
Das war nur ein Hickhack im Vorfeld der Bundestagswahl von 2009. Mit der Pauschalaussage, die Krise sei aus den USA gekommen und nach Lehman Brothers habe es eine allgemeine Panik gegeben, haben die Verantwortlichen eine seriöse Untersuchung verhindert. Warum Deutschland so stark betroffen war, wurde nicht gefragt.
Was müsste man denn tun?
Die Ansteckungsmechanismen identifizieren und Gegenmaßnahmen treffen, darunter vor allem deutlich höhere Eigenkapitalanforderungen. Dann gäbe es nicht so schnell Zweifel an der Solvenz der Banken, und die Banken müssten auch nicht so radikal auf Verluste reagieren.
Wie hoch sollte das Eigenkapital sein?
In der Größenordnung von 20 bis 30 Prozent der Bilanzsumme. Die Banken sagen, das könnten sie nicht, aber das ist falsch. Sie wollen das nicht, denn die Ausgabe neuer Aktien würde die Altaktionäre schädigen – ein reines Lobbyargument. Bei ihren eigenen Schuldnern verlangen die Banken mindestens 20 Prozent Eigenkapital. Und ehe der Staat ins Spiel kam, vor dem Ersten Weltkrieg, hatten sie selbst das auch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten