■ Ökolumne: Krieg der Studien Von Thomas Worm
Wenn es um Umweltrisiken geht, läßt sich nahezu alles beweisen. Oder wer kennt nicht jenen wirren Nebel, den etwa „Elektrosmog“ im Kopf hinterläßt. Lösen Handys Gehirntumore aus? Steigt das Leukämierisiko von Kleinkindern unter Hochspannungsleitungen? Schädigt der Mikrowellenofen die Gesundheit? Ja und nein. Jede Position wird vertreten, und jede beruft sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse.
Das ist nicht neu. Von jeher knallen sich Kontrahenten in Sachen Ökologie die Forschungsstudien um die Ohren. Pseudokrupp – noch ein Begriff? Jahrelang führten Mediziner, Statistiker und Soziologen in den Achtzigern einen „Glaubenskrieg“, ob der Würgehusten bei Kleinkindern primär durch zunehmende Luftschadstoffe oder aber durch die körperliche Verfassung verursacht wird. Interessanterweise handelte es sich bei Pseudokrupp um eines der ersten heftig debattierten Syndrome. Ein Krankheitsbild also mit komplexem Symptom- und Ursachenbündel, das nicht durch simple Kausalitäten erklärbar ist.
Nun läßt sich in dieser nur schwer durchschaubaren Welt über so mancherlei forschen. Im Falle des Elektrosmog geschieht das auch. Da werden einmal Rinderzellen untersucht, ein anderes Mal Mäuse bestrahlt, dann wieder epidemiologische Studien über Menschen verfaßt oder Pflanzengewerbe ins „Wellenbad“ getaucht. Doch weder ist allgemein bekannt, wer in welchen Instituten an was für einer Studie arbeitet, noch sind die Ergebnisse in ihrer Fragestellung und Methodik vergleichbar. „Die Leute in der Wirtschaft und den Ministerien mauern“, beklagt beispielsweise Jürgen Bernhardt vom Bundesamt für Strahlenschutz die mangelnde Projektkoordination der oft industriefinanzierten Studien.
Dieses unkooperative Engagement darf kaum verwundern. Würde doch eine deutliche Verschärfung des jetzigen Elektrosmog-Grenzwertes in Höhe von 100 Mikro-Tesla die hiesige Wirtschaft Milliarden kosten: Schadensersatzklagen, Verfall von Grundstückspreisen, Abschirmungen und Umbauten durch die Netzbetreiber.
Und so muß sich das Publikum einem Manko unserer Zeit fügen. Das wissenschaftlich „fundierte“ Bild von ökologischer Wirklichkeit, wie es die Summe zum Teil gegensätzlicher Studien vermittelt, wird entscheidend durch die Finanzkraft geprägt. Nicht nur in der Elektrosmog-Forschung. Die Durchführung von Studien reguliert sich weitgehend über Nachfragemacht. Ob zum Beispiel eine Untersuchung über die unfruchtbar machende Wirkung von Chlororganika zustande kommt, hängt vom Vorhandensein entsprechender Forschungsgelder ab. Der Financier bestimmt letztlich die Fragestellung – und damit auch wesentlich das Studienresultat. Staat und Wirtschaft sind in Gestalt von Universitäten, Forschungszentren, Industrieverbänden, Großkonzernen die beiden Hauptakteure auf dem Studienmarkt. Gelegentlich mischen noch kleinere wie BUND oder Greenpeace als Auftraggeber mit, wenn es um Ökologie geht. Einzelne Betroffene mangels Liquidität aber praktisch nie.
Der Markt für Forschungsstudien ist ein vermachteter Markt. Und bei Umweltproblemen sind mächtige Interessen im Spiel. Laien – und das sind schließlich alle auf den meisten Gebieten – haben im Dschungel der Studien wenig Chancen, deren Erkenntnisgewinn einzuschätzen. Oder gar auf eine unprätentiöse und effiziente Marschroute ohne Parallelforschung zu dringen.
Um wenigstens mehr Transparenz über den Aussagewert wissenschaftlicher Studien herzustellen, bedürfte es eines nationalen (oder auch regionalen) Forschungsrates. Dieser Rat könnte aber nur dann auf Akzeptanz hoffen, wenn sich Vertreter der wichtigsten Gesellschaftsgruppen daran beteiligen. In den USA ist das teilweise gelungen. Ihr Votum sollten die Ratsmitglieder öffentlich ausfechten. Durch Meta-Analysen, in denen die Ergebnisse der Einzelstudien zusammengeführt werden, entstünde eine klarere Vorstellung vom aktuell gesicherten Forschungsstand und möglichen Defiziten. Am Ende gäbe es dann eine Art Gütesiegel des Rates für Qualitätsstudien, das die Spreu vom Weizen trennt. Wer demgegenüber einer interessengesteuerten „Ergebniskultur“ weiterhin den Vorzug gibt, legt die ökologische Wahrheitsfindung vor allem in die Hände des Geldes.
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