■ Ökolumne: Auf dem Holzweg Von Thomas Lenius
Gifte im Kinderzimmer und in der Wohnstube, Kinder mit Kopfweh, Väter mit Gedächtnisschwund oder chronisch geschädigter Lunge – nur weil sie zu Hause Holzschutzmittel verstrichen. Manche Familien mußten ihre frisch renovierten Häuser verlassen und jahrelang vor Gericht um Schadenersatz kämpfen – die Skandale der achtziger Jahre sind uns noch gut in Erinnerung. Die strafrechtliche Aufarbeitung um den Verkauf PCP- und lindanhaltiger Holzschutzmittel ist erst im letzten Jahr beendet worden, mit einem Vergleich zwischen Klägern und Angeklagten der Firma Desowag.
Daß Chemiemanager vor dem Richter auf der Anklagebank Platz nehmen mußten, war wohl auch ein Alptraum für den Verband der Chemischen Industrie (VCI). Also tat der Verband diesen Monat, was die Industrie immer tut, wenn sie nichts tun will, aber etwas tun muß: Er gab eine Selbstverpflichtungserklärung ab. Ein Mittel, das auch Umweltministerin Angela Merkel liebt und das schon öfter strengere gesetzliche Vorschriften verhindern konnte.
Doch die Selbstverpflichtung verbessert nur ein paar Details. So ist eine Volldeklaration, also eine Kennzeichnung sämtlicher verwendeter Chemikalien, ausdrücklich nicht vorgesehen. Und vor allem: Heimwerker und ihre Familien sind weiterhin weder vor „schwarzen Schafen“ geschützt noch vor gefährlichen Importprodukten. Denn ohne Gesetzestext fehlt ihnen jede Möglichkeit, Verstöße gegen die Selbstverpflichtung gerichtlich verfolgen zu lassen.
Keine neue Erkenntnis – und das ist der eigentliche Skandal: Seit Ende der Achtziger fordert nicht allein der BUND ein gesetzliches Prüf- und Zulassungsverfahren für Biozide, also Chemikalien, die zur Pilz- und Ungezieferbekämpfung in Haus und Garten eingesetzt werden. Der damalige Umweltminister Töpfer machte Anfang der Neunziger einen Vorstoß für ein Biozid- Gesetz, der jedoch folgenlos versandete, unter anderem auf Druck der Chemiewirtschaft.
Statt dessen gab der VCI nun eine Selbstverpflichtung ab und genehmigte sich dabei ein paar Schlupflöcher: Zwar sieht die Verpflichtung Prüfverfahren für Holzschutzmittel vor, doch macht sie für einige Chemikalien Ausnahmen – ohne nachvollziehbaren Grund. Zwar sollen künftig mehr Angaben über die Wirkstoffe und den Anwendungsbereich des Produkts auf dem Etikett stehen. Doch Einschränkungen auch hier, denn eine Kennzeichnung aller verwendeten Stoffe ist ausdrücklich nicht vorgesehen.
Aber auch wenn man dem VCI besten Willen unterstellt, so bleibt die Selbstverpflichtung unverbindlich. Der Haken an der Sache ist, daß die Selbstverpflichtung nicht direkt von den Herstellern, sondern nur vom Verband abgegeben wird. Ein Industriedachverband – und das hat der VCI immer wieder betont – kann seine Mitglieder aber nicht zwingen, die Versprechen des Verbandes einzuhalten.
Kaum zu glauben, aber leider trotzdem wahr: Während die Prüfung von Pestiziden für die Landwirtschaft seit Jahren gesetzlich vorgeschrieben ist, können die gleichen Gifte in Chemikalien gegen Holzwurm, Pilzbefall von Holzbalken oder Schimmel in der guten Stube ausgebracht werden, ohne daß eine behördliche Prüfung und Zulassung nötig wäre. Konkret: Das Gift Lindan darf auf dem Acker nur noch eingeschränkt ausgesprüht werden – über die Verwendung im Wohnzimmer schweigen die Gesetze.
Und das wird sich nicht so schnell ändern. Zwar ist die EU-Biozid-Richtlinie nach drei Jahren endlich im Januar 1998 verabschiedet worden. Doch in Kraft treten wird die Regelung wegen der notwendigen Umsetzung in nationales Recht frühestens in zwei Jahren – und selbst dann sind noch lange Übergangszeiten vorgesehen. In Schweden, Holland oder Dänemark gibt es bereits Zulassungsverfahren für Biozide, nur Deutschland braucht mal wieder eine Extrawurst.
Wie unverantwortlich diese Unterlassungssünde der Bundesregierung ist, zeigt eine Studie der Universität Oldenburg. Die Forscher fanden heraus, daß Biozide im Haushalt oft sorglos verwendet werden. In mehr als der Hälfte der repräsentativ ausgewählten Haushalte wurde die chemische Keule geschwungen – in jedem zweiten Fall so heftig, daß die Anwender ihre Gesundheit gefährdeten.
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