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ÖkolumneSelbst verschuldet

■ Nicht nur die ärmsten Länder, auch die G-7-Staaten können einen Schuldenerlaß gut gebrauchen

Die reichsten Staaten der Welt haben auf ihrem Kölner Gipfel vergangene Woche den 41 ärmsten Entwicklungsländern einen mehr oder weniger großzügigen Schuldenerlaß gewährt. Die besondere Pointe besteht darin, daß die reichen Staaten selbst dauerhaft überschuldet sind. Die 200 Milliarden Dollar Schulden dieser 41 Entwicklungsländer – das ist gerade mal die Verschuldung der deutschen Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Bayern und Sachsen.

Nach betriebswirtschaftlichen Kriterien sind die reichen Staaten so pleite wie die armen: Ein Rückzahlungsplan existiert nicht, die Zinsen sind selbst zur Ursache neuer Kreditaufnahmen geworden. Auch in den reichen Staaten wirkt der Mechanismus, den man aus den „Bananenstaaten“ kennt: Die Zinszahlungen sind der größte Posten im Staatshaushalt. Staatsangestellte werden entlassen, Sozialleistungen gekürzt, Zinspflichten haben Priorität. Alte Industrien, mit dem Staat verfilzt, werden mit Dauersubventionen künstlich beatmet. Die Kapital- und Steuerflucht der mobilen Eliten nimmt zu, während direkte und indirekte Steuern die Hälfte der Löhne auffressen. In der Gipfelhauptstadt Köln verfallen Schulgebäude, Zehntausende Jugendliche werden in fensterlosen Kellerräumen und in Schulcontainern unterrichtet, Schimmelpilz kriecht die Wände hoch, kaputte Waschräume und Turnhallen sind verbarrikadiert.

Der deutsche Finanzminister will nun „den weiteren Marsch in den Verschuldungsstaat stoppen“ und wird in diesem Jahr 30 Milliarden Mark einsparen. Selbst wenn dieses Brutalo-Programm bei Renten, Arbeitslosenhilfe und ähnlichem durchgezogen wird, ist immer noch eine jährliche Neuverschuldung von knapp unter 50 Milliarden Mark nötig.

Die „Maastricht-Kriterien“ erlauben eine jährliche Neuverschuldung von drei Prozent – das bedeutet mit Zinseszins eine Verdoppelung der Staatsschuld alle 20 Jahre. Und dann ist noch keine Schule repariert. Allein durch Sparen innerhalb der bisherigen Logik kann der Staat nicht schuldenfrei werden.

Der wesentliche Fortschritt bei der Entschuldung der Entwicklungsländer besteht in der Einsicht, das Insolvenzrecht anzuwenden. Es müssen soviel Schulden erlassen werden, daß danach ein Neuanfang möglich ist. Einen solchen Schutz genießen andere hochverschuldete Staaten bisher nicht.

An der Dauerüberschuldung reicher wie armer Staaten haben Banken und Konzerne erhebliche Mitschuld. Sie drängen ihre Projekte auf, verlängern automatisch Kredite, nicht nur solchen blendenden Großpleitiers wie Dr. Schneider, sondern auch Diktatoren und Oberbürgermeistern aller Couleur, die mit Aufträgen für überdimensionierte Staudämme, Kläranlagen und Bürotürme winken.

Mittlerweile haben Gerichte in den neuen Bundesländern geurteilt: Kredite brauchen nur teilweise zurückgezahlt werden, wenn der Kreditgeber eine Mitschuld trägt und die Rückzahlungsfähigkeit der Kommune nicht geprüft hat. Die erste wirklich vernünftige Maßnahme der Entschuldung des Staates würde darin bestehen, entsprechend der Mitschuld der Banken Kredite für nichtig zu erkären.

Zweitens müßten die offenen und verdeckten Dauersubventionen an Rüstungs- und Wohnungswirtschaft, an Bergbau und Agrobusiness endlich gestrichen werden. Dieser Filz verhindert, daß neue Arbeitsplätze und damit neue Steuerquellen entstehen. Warum wagen sich „ideologiefreie Modernisierer“ wie Blair und Schröder nicht an diese asozialen Privilegien?

Drittens sind auch Steuer- und Kapitalflucht längst kein Phänomen nur von korrupten „Bananenstaaten“. Seit einem Jahrzehnt wird in der EU darüber diskutiert, wie man Steueroasen und sonstige Schlupflöcher schließen könnte. Derweil schleusen mehrere 100.000 betuchte deutsche Steuerbürger soviel dorthin, daß mit den entfallenen Steuern der Finanzminister sein 30-Milliarden-Sparprogramm locker finanzieren könnte.

Es sind die reichen Staaten, die aus dem Schuldenerlaß für die Entwicklungsländer die entscheidenden Konsequenzen zu ziehen haben – für sich selbst.

Werner Rügemer

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