debatte: Raus aus dem Silodenken
Die Klimawende kann im Ganzen nur durch tiefes Umdenken geschehen. Auch Sozialentrepreneure sind gefragt. Leider werden sie oft in ihrer Arbeit behindert
Katrin
Elsemann
ist Geschäftsführerin des Social Entrepreneurship Netzwerks Deutschland (SEND)
Man stelle sich vor, wir lebten in einer Gesellschaft, in der Fortschritt am Wohlergehen möglichst vieler Menschen und des Planeten gemessen würde. Einer Gesellschaft, die Wertschöpfung förderte und Schadschöpfung verhinderte. In einer Gesellschaft, in der wir Unternehmen und Organisationen gründeten und führten rund um die Idee, einen Beitrag zu einer chancengerechten, nachhaltigen und inklusiven Welt zu leisten.
Zukunftsbilder wie diese zur Realität zu machen hieße, soziale Innovationen zu fördern. Sie beschreiben laut dem Hightech-Forum der Bundesregierung, einem der obersten Beratungsgremien für Zukunftsfragen, „neue soziale Praktiken und Organisationsmodelle, die darauf abzielen, für die Herausforderungen unserer Gesellschaft tragfähige und nachhaltige Lösungen zu finden“. Und sie kommen in diesem Wahlkampf kaum vor. Stattdessen hören wir immer wieder etwas von (nicht) zumutbaren Zumutungen, von Gängelung, von möglicher Verbotskultur, von der Notwendigkeit, Freiheit (welche eigentlich?) zu schützen. Das ist ein Versäumnis. Soziale Innovationen gehören auf die große Bühne der Politik, aus vielen Gründen.
Auf dem Weg in Richtung Zukunft, so viel scheint uns als wissenschaftsorientierten Bürgerinnen klar, müssen wir wilde Anstrengungen unternehmen, um uns nicht selbst durch unsere nicht zugemuteten Zumutungen unserer Lebensgrundlage zu entziehen. Ob Klimakrise, demografischer Wandel, Digitalisierung, soziale Spaltung: Die gesellschaftlichen Herausforderungen sind groß und komplex. Und sie bedürfen, dass wir rausgehen aus den Silos, Gewohnheiten und Zuständigkeiten, in denen wir uns heute noch viel zu stark organisieren. Umdenken ist angesagt!
Erstes Hindernis auf dem Weg zu einer nachhaltigen und chancengerechten Welt: Die Technologie wird es schon richten. Nein, wird sie nicht. Und erst recht nicht, wenn wir auf dem Weg auch Bildung mitnehmen und gesellschaftliches Miteinander neu denken. Transformation ist sozial, immer. Daher kann auch unser Innovationsbegriff und unser Innovationsökosystem nicht auf rein technologische Innovationen ausgelegt sein.
So wird uns die Ernährungswende nicht gelingen, wenn wir unsere Haltung zu Lebensmitteln nicht verändern. Innovationen liegen auch darin, Kindern Natur näher zu bringen, Wertschöpfungsketten für nicht genormte Lebensmittel zu schaffen oder die öffentliche Allmende wieder zu beleben.
Die Mobilitätswende wird uns nicht gelingen, wenn wir nicht die Beziehung von Arbeit und Leben neu denken. Soziale Innovationen stecken in der Wiederbelebung ländlicher Strukturen durch die Stärkung von Bürgerengagement, in regionalen Mobilitätskonzepten und in multifunktionalen Wohn- und Arbeitsformen.
Klimaschutz wird uns nicht gelingen, wenn wir nicht Konsumalternativen aufzeigen, Menschen für Klimaschutz begeistern und mit neuen Landwirtschaftskonzepten schützen.
An all diesen und vielen anderen Veränderungsprozessen arbeiten heute schon Social Entrepreneurs – Unternehmerinnen und Unternehmer, die innovativ gesellschaftliche Herausforderungen angehen und dabei die ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit im Blick behalten. Die bisher aber von der Politik ausgebremst werden, da es für Sozialunternehmen keine klare Zuständigkeit innerhalb der Bundesregierung gibt. Das zeigt sich schon bei der Gründung – und der richtigen Rechtsform. Sozialunternehmen haben die Gemeinwohlorientierung in der DNA verankert, bekommen aber oft keine Gemeinnützigkeit, da ihre innovativen Geschäftstätigkeiten nicht in die Abgabenordnung der Finanzämter passen.
Nächster Punkt: Wenn jedes politische Ressort das gut macht, was es am besten kann, ist alles getan. Nein, ist es nicht. Wenn wir bei diesem Silodenken bleiben, in dem das Wirtschaftsministerium Wachstum fördert, das Umweltministerium aufräumt, was an ökologischen Schäden produziert wurde, und das Sozialministerium sich darum bemüht, dass für alle etwas übrig bleibt, gibt es keinen Fortschritt.
Soziale Innovationen fördern wir nur so: ressortübergreifend, mit Technologie als Mittel zum Zweck, mit systemischem Blick auf Veränderung und viele, vor allem Betroffene, mit einbeziehend. Deswegen brauchen soziale Innovationen eine übergeordnete politische Zuständigkeit. Sie sind – wie auch Digitalisierung – ein Querschnittsthema.
Und noch ein zum Streit einladender Satz: Erfolg heißt Wachstum, in monetärem Profit und Organisationsgröße. Nein, das ist schon lange zu kurz gegriffen. Solange wir Wachstum nur monetär berechnen, verlieren wir den Blick auf das, was zerstört wird – die sozialen und ökologischen Kosten, die auf die Allgemeinheit umgelagert werden. Und wir erkennen nicht an, was wir an Werten für das Gemeinwohl schaffen.
Laura
Haverkamp
ist Partnerin bei Ashoka Deutschland, einer Non-Profit-Organisation zur Förderung von sozialem Unternehmertum, Vorstand von SEND.
Wir erleben heute, wie Social Entrepreneurs an bestehenden Strukturen scheitern, da wir ihren Innovationen den Zugang zu Finanzierung und Verbreitung verwehren, weil sie nicht in unser klassisches Innovationsverständnis passen. Dabei geht es doch bei Innovationen genau darum – zu zeigen, was in Zukunft wünschenswert ist. Politik und Verwaltung allein werden es nicht richten, sie müssen den Rahmen setzen für eine neue Innovationskultur im Land. Als Bürger:innen können wir erwarten, dass sie das tun.
Für in einer von Sorge und oft auch Angst geprägten Zeit, in der uns buchstäblich die Zeit davonläuft, brauchen wir Bilder von Zukünften, in denen es sich zu leben lohnt und die es mitzugestalten lohnt. Die begeistern! Der Blick auf soziale Innovationen und diejenigen, die sich heute schon auf den Weg machen, sie zu entwickeln, voranzutreiben, zu verbreiten – der kann Zukunftslust machen. Gehen wir mit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen