piwik no script img

Öffentliche VerschuldungInflation ist nicht irrelevant

Die öffentliche Hand nahm 2023 rund 3 Prozent mehr Kredite auf. Die Teuerungsrate betrug aber fast 6 Prozent.

Im ARD-Interview verteidigt Christian Lindner (FDP) die Schuldenbremse. Doch die Neuverschuldung bleibt unter der Inflationsrate Foto: Jörg Carstensen/dpa

„Wir haben nicht zu wenig Geld, wir haben ein Ausgabenproblem“, sagte Finanzminister Christian Lindner am Sonntag im ARD-Sommerinterview. Richtung Bundestag, dessen Büros hinter den verregneten Fensterscheiben zu sehen waren, schickte der FDP-Chef eine klare Botschaft: Der Staat müsse mit seinen Steuereinnahmen auskommen.

Am Montag veröffentlichte das Statistische Bundesamt dann eine Zahl – 3,3 – die das Argument des Finanzministers untermauern dürfte. Zumindest auf den ersten Blick. 3,3 Prozent betrug 2023 der Anstieg der öffentlichen Verschuldung im Vergleich zum Vorjahr. Zum ersten Mal erscheinen in der Statistik auch die Schulden des öffentlichen Personenverkehrs. Ohne diesen – und ohne die Kosten für das Deutschlandticket – wäre der Schuldenstand um nur 2,8 Prozent gewachsen.

Der öffentliche Gesamthaushalt – dazu zählen Bund, Länder, Kommunen sowie Sozialversicherung einschließlich aller Extrahaushalte – war im Jahr 2023 mit 2.445,1 Milliarden Euro verschuldet, pro Kopf entspricht das einer Verschuldung von 28.943 Euro. Ein Rekordhoch. Jedoch: Im gleichen Zeitraum stiegen die Verbraucherpreise um 5,9 Prozent. Das sind 2,6 Prozentpunkte mehr als die Zunahme des Schuldenstandes.

„Es ist wichtig, die Inflationsrate zu berücksichtigen, denn der nominale Schuldenstand sagt nur wenig aus“, kommentiert Sven Schreiber vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung die Statistik, die auf nominalen Werten – ohne Rücksicht auf die Inflation – beruht. „Relevant ist der Schuldenstand im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt“, sagt der Ökonom der taz.

Und dieser ging 2023 um 2,4 Prozentpunkte zurück, wie die Deutsche Bundesbank im März berechnete. Lag der Schuldenstand 2022 noch bei 66,1 Prozent des BIP, fiel er 2023 auf 63,7 Prozent.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Würde Lindner wirklich weniger Schulden wollen, hätte er



    a) die umweltschädlichen Subventionen o.ä. gestrichen und -zig Mrd. € jährlich mehr;



    b) die Steuern für Schwerreiche wieder angemessen eingezogen.



    c) Investitionen in die Zukunft gestützt (ÖPNV, Bahn, Bildung, Integration, ...)

    So aber weiß ich nicht, wie ich das Wort bergisch-ideologischer Schwätzer aus meinem Hinterkopf verbannen kann.

  • Eher würde ich meinen kleinen Finger opfern, als die FDP mit Lindner an der Spitze zu wählen.

  • Der Bericht aus Berlin mutiert - leider - immer mehr zu einem Forum zur Selbstdarstellung der "Interviewten" !!



    Nach der Aussage Lindners: "Die Umverteilung muß ein Ende haben !!!" hätte man zumindest erwartet, daß der Moderator die Frage nach der Richtung der Umverteilung (nach oben oder - oh Teufel - gar von oben nach unten) gestellt hätte.



    Aber ? Chance vertan! keine Nachfrage!



    Statt dessen wird - ganz im neoliberalen Sinne von "Sozialabbau, Steuersenkung, Privatisierung" - über "Reformen" bei Bürgergeld, Rente etc. palavert !!



    Steuereinnahmen seien ja reichlich vorhanden.



    Da fragt man sich, weshalb dennoch kein Geld für Kitas, Schulen, Lehrer, Pfleger, besseren Nahverkehr, Steuerfahnder (!), Brückensanierung usw. usw. usw. da ist und sooo vieles verröttet ?!

  • Ich kenne kein Land, das nicht von einer Inflation betroffen ist. Der Werteverfall gehört zum kapitalistischen System, insbesondere, weil der Faktor 'menschliche Arbeit' durch höhere Produktivität = Automation und Roboter abgelöst wird und damit die Chance abhängig Beschäftigter, ihren Anteil an der Wertschöpfung zu sichern, verloren geht. 'Nebenwirkung' : Es fehlt überall die Binnennachfrage, auf die die 'Wirtschaft' eigentlich angewiesen ist: Das Verrückte: So schön Technik und Fortschritt auch sein mögen, wenn sich immer weniger 'Kunden' diese Errungenschaften leisten können, funktioniert das mit der 'Konjunktur' eben nicht mehr. Da helfen auch keine staatlichen Spritzen, sei es, um klimaschonenden Wasserstoff einsetzen zu können oder Nachfrage über entsprechende Sozialleistungen ausgleichen zu können. Dieses Wirtschaftssystem funktioniert eben nicht mehr, wenn wir versuchen wollten, ökonomisch abzurüsten, was jedoch notwendig wäre, um ein weiteres Fortschreiten der Klimakatastrophe zu verhindern. Die Inflation ist systembedingt und trifft zu Allererst die Ärmeren und ihre Jobs. Wenn 'Linke' das nicht verstehen, dürfen sie sich über Trumps und Le Pens nicht wundern!

  • Wenn man sich so anguckt, was die öffenliche Verwaltung sich so leistet....da wäre Einsparpotential

  • Als FDP Bundesfinanzminister und Meister in Subventionsvergabe allein in 2023 an 40 DAX Konzerne in Höhe an 11 Milliarden € zugunsten deutscher Exportwirtschaft, möglicherweise auch noch unter Verstoß gegen EU, IWF, WTO Regeln, die die Inflation zulasten Binnenkaufkraft antreiben statt durch steuerliche Abschöpfung von Überhangkaukraft im Luxusbereich zu senken, was so recht in Klimatransformation unserer Wirtschaft, angewiesen auf Stärkung der Binnenkaufkraft, nicht passen will, weiß Christian Lindner wovon er spricht, wenn er meint, es sei genug Geld im System, wenn er dann allerdings hinzufügt, wir haben ein Ausgabeproblem, der Staat müsse mit seinen Steuereinnahmen auskommen, fällt das als Bumerang auf ihn selber als Subventionsausgabe Großmeister allein an 40 DAX Konzerne zurück



    Dazu passend war gestern als Übernahme einer dpa Meldung der taz Artikel mit dem Aufmachen zu lesen „Subventionen trotz üppiger Gewinne: Milliarden für die Dax-Konzerne“ zu lesen

    taz.de/Subventione...-Gewinne/!6026315/

  • Ein Finanzminister, der nicht rechnen kann. Raus!

  • Diese "pro Kopf Verschuldung" ist Augenwischerei. Sie suggeriert, die Bürger würden ärmer, wenn der Staat sich verschuldet. Das Gegenteil ist der Fall. Die Kredite ermöglichen die Ausgaben des Staates und sind das Geld und der Wohlstand, der in der Volkswirtschaft unterwegs sind. Selbst in der Privatwirtschaft sorgen Kredite für Investitionen und somit für Wachstum. Nicht umgekehrt.