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■  Öffentliche Gelöbnisse bezeichneten die Grünen immer als „Militarisierung des Alltags“. Das haben die Regierungsbeteiligung und der Kosovo-Krieg verändert. Am heutigen 20. Juli protestieren am Bendlerblock in Berlin nur noch Teile der Partei gegen die ZeremonieRegierungsrekruten eingeschworen

Die Stätte, an der heute 432 Rekruten in Berlin ihre Treue zur Bundesrepublik Deutschland geloben sollen, ist gut gewählt. Der Bendlerblock, in dessen Hof mehrere Verschwörer des 20. Juli nach dem gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler erschossen worden waren, ist zum Symbol des militärischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus geworden. Aber seine historische Bedeutung läßt sich nicht alleine darauf verkürzen: Er war auch der Ort, an dem das Oberkommando der Wehrmacht im Dritten Reich seinen Sitz hatte. Der deutsche Angriffskrieg, der die Welt in Trümmer legte, wurde von hier aus geplant.

Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) will mit dem Bendlerblock vor allem die Erinnerung an den Widerstand gegen das NS-Regime wachgehalten wissen. Er versteht das Rekrutengelöbnis, bei dem Kanzler Schröder eine Rede halten wird, als Ausdruck seines Wunschs, neue Akzente in der Traditionspflege der Bundeswehr zu setzen. Tatsächlich zeugt der Bendlerblock als Stätte eines feierlichen Zeremoniells von anderen historischen Schwerpunkten, als sie Scharpings Vorgänger Volker Rühe (CDU) im letzten Jahr zu setzen versucht hatte. Er wollte am Jahrestag des Mauerbaus vor dem Roten Rathaus in Berlin ein Gelöbnis abhalten lassen und war erst nach massiven Protesten von diesem Plan abzubringen.

Bei genauerem Hinsehen ist der von Scharping gesetzte Akzent gar so neu aber dennoch nicht. Die Neigung, den rühmlicheren Kapiteln der Geschichte ein so großes Gewicht beizumessen, daß die unrühmlichen darunter verschwinden, hat das Verhältnis der Bundeswehr zur Wehrmacht seit ihren Anfängen bestimmend geprägt. Was unter rühmlich zu verstehen ist, war allerdings stets umstritten. Seit ihrem Bestehen hat es immer wieder Skandale gegeben, die auf allzu geringe Distanz von Teilen der Bundeswehr zur Wehrmacht schließen ließen. Mehrfach ließen sogar hohe Offziere deutliche Kritik an den Verschwörern des 20. Juli laut werden.

Mit nationalkonservativen Kreisen mochte es sich in der Vergangenheit kein Verteidigungsminister verderben. Die Folgen waren weitreichend. So sind erst in diesem Jahr Verbindungen zwischen der Bundeswehr und der „Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger“ wegen rechtsextremer Tendenzen untersagt worden. Und auch Scharping, der dieses verfügt hat, läßt in anderem Zusammenhang deutlich werden, daß der Umgang mit der Vergangenheit noch immer eine Gratwanderung ist. Einige Einrichtungen der Bundeswehr tragen historisch belastete Namen – seit Jahren ist immer wieder deren Umbenennung gefordert worden. Nun hat der Minister zwar eine Überprüfung der Namen angekündigt und auch mögliche Änderungen in Aussicht gestellt. Geschehen ist aber bislang nichts.

Eine von der Vergangenheit völlig unbelastete Neugründung ist die Bundeswehr nie gewesen. „In der Summe stellt sich der Übergang von der Wehrmacht zur Bundeswehr als ein kompliziertes Gemisch von institutionellen Neuerungen und personeller Kontinuität dar“, war kürzlich in der Zeit zu lesen. Politiker retten sich heute über Parteigrenzen hinweg aus der Verlegenheit, indem sie betonen, die Wehrmacht als Organisation habe für die Bundeswehr nicht traditionsbildend zu sein. Einzelne Soldaten aber könnten dennoch durchaus Vorbilder sein.

Das waren sie ohnehin – als Ausbilder des Nachwuchses. „Ich glaube, daß mir die Nato 18jährige Generale nicht abnehmen wird“, bemerkte Bundeskanzler Konrad Adenauer 1954 lapidar und rechtfertigte damit die Aufnahme ehemaliger Wehrmachtsoffiziere in die Bundeswehr. Führungspersonal für die neuen Streitkräfte wurde dringend gebraucht. Ein Personalgutachterausschuß, der über die Einstellung einstiger Angehöriger der Wehrmacht zu entscheiden hatte und in diesem Zusammenhang auch deren Verhältnis zum NS-Regime überprüfte, lehnte nicht einmal zehn Prozent der Bewerbungen ab.

Erst 1982 findet sich überhaupt eine klare Abgrenzung von der Tradition der Wehrmacht in dem nach wie vor gültigen Traditionserlaß, den der damalige Verteidigungsminister Hans Apel (SPD) in Kraft setzte. Darin werden die Wertgebundenheit der Streitkräfte und ihr demokratisches Selbstverständnis als Grundlage der Traditionspflege der Bundeswehr beschrieben. Apel war es aber auch, der gegen massiven Widerstand aus den Reihen der eigenen Partei die Rekrutengelöbnisse auf öffentlichen Plätzen durchsetzte.

Umstritten sind diese Veranstaltungen noch immer. Anhänger des Zeremoniells sehen in den Gelöbnissen den Beweis für die Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft. Gegner hingegen fürchten eine Militarisierung des öffentlichen Raums, die nicht zu einer Zivilgesellschaft passe. Auch heute will ein Bündnis von mehr als 20 Gruppen und Initiativen unter dem Motto „Deutschland wiedergutgelobt“ gegen die Veranstaltung in Berlin demonstrieren. Anders als früher beteiligen sich Bündnis 90/Die Grünen nicht an dem Protest. Zwar hat der Berliner Landesverband das Rekrutengelöbnis kritisiert, aber Vorstandssprecherin Regina Michalik räumte zugleich ein, daß die Partei wegen des Kosovo-Kriegs für die Veranstalter nicht mehr als Partnerin in Frage komme.

Die Folgen des Kosovo-Kriegs sind mannigfach – wohl auch für die Traditionspflege der Bundeswehr. Bislang gab der nüchterne Verfassungsauftrag, der die Aufgaben der Streitkräfte auf die Verteidigung beschränkt, für militärisches Gepränge wenig her. Bei manchen aber sitzt der Wunsch nach sichtbaren Zeichen soldatischer Tugenden offenbar tief. General Klaus Naumann hat kürzlich einen Tapferkeitsorden im Sinne einer Weiterentwicklung des klassischen Eisernen Kreuzes gefordert. Bettina Gaus

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