ÖFFENTLICH-RECHTLICHE UND KIRCH VERHANDELN NUN WOHL DOCH: Wenn der Kanzler grollt, rollt der Ball
Neben Sex und Autofahren scheint der Fußball in Deutschland Männer-, wenn nicht gar Menschenrecht. Aus Sorge um frei empfangbare Weltmeisterschaften steigt nun, nach den öffentlich-rechtlichen Intendanten, auch die deutsche Sozialdemokratie in die Bütt. Karneval war, jetzt ist Wahlkampf, und da lässt sich mit sportlichem Populismus punkten. Sicher wünschten nicht wenige Deutsche dem Kanzler in Sachen Fußball ein Ermächtigungsgesetz.
Also drohte Gerhard Schröder beim politischen Aschermittwoch der rheinland-pfälzischen SPD in Mainz dem Rechteinhaber Leo Kirch: „Sagen Sie Ihren Leuten, mit ARD und ZDF einen Vertag zu schließen!“ Weil aber Schröder hier nichts zu befehlen hat, relativierte er seine Forderung: „Nicht anordnen müssen“ möchte der Kanzler. Und den Ruf nach gesetzlichem Eingreifen höre er auch „nicht so gern“. Vielleicht, weil ihm jede Handhabe fehlt: Auch in der Berliner Republik sind Medien Ländersache. Daher fällt auch der jüngste Vorstoß des ARD-Vorsitzenden Fritz Pleitgen unter die Rubrik „Schnapsideen“: Die WM in Deutschland ließe sich, nach dem Vorbild Großbritanniens, als „nationales Erbe“ im frei empfangbaren Fernsehen betrachten – eine Forderung, die vor jedem Gericht scheitern würde. Sogar vor dem Europäischen Gerichtshof.
Dennoch scheint das Säbelrasseln seinen Zweck erfüllt zu haben: Der rheinland-pfälzische Ämter-Cluster Kurt Beck (Ministerpräsident, Vorsitzender der Rundfunkkommission der Länder, ZDF-Verwaltungsrat und Wahlkämpfer) erklärte, es gebe „Optimismus“ und Schröder sei „sehr zufrieden“. Könnte es nicht auch daran liegen, dass nicht mal RTL die von Kirch geforderten Unsummen bezahlen kann?
Nein, es geht um die „Grundversorgung“ der Bevölkerung mit bewegten Bildern von einem bewegenden „nationalen Ereignis“. Zwar ist die Weltmeisterschaft ein internationales Ereignis – undenkbar, dass etwa der rhythmischen Sportgymnastik, dem Tischtennis oder dem Standardtanz eine ähnliche Fürsorge zuteil würde. Bekanntlich aber gibt es wenige Anlässe, bei denen nationale Neurosen sich so trefflich sublimieren, so optimal ausbeuten lassen wie bei einer Fußball-WM. So gesehen ist es nur logisch, dass „die Politik“ Ansprüche anmeldet und Forderungen Nachdruck verleiht.
Wie sagte Schröder? Die WM müsse frei zu empfangen sein, „damit die Fans das sehen, was sie wollen und was sie verdienen“. Wer die Chancen der deutschen Nationalmannschaft kennt, weiß diese verborgene Spitze gegen das ganze Heckmeck zu goutieren. ARNO FRANK
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