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Occupy"Die Räumung setzt Ideen frei"

Wie stark die Bewegung in Berlin ist, wird die Demo am Sonntag zeigen, meinen zwei Aktivisten.

Da waren sie noch am ehemaligen Bundespressestrand: Occupy in Berlin. Bild: reuters, Thomas Peter
Konrad Litschko
Interview von Konrad Litschko

taz: Herr Ponader, am Montag wurde das Occupy-Camp geräumt: Gibt es eine bessere Mobilisierungshilfe für die Demonstration am Sonntag?

Johannes Ponader: Mir wäre es lieber, es wäre anders gekommen. Für mich war die Räumung rechtswidrig. Aber sicherlich dürfte das noch einmal die Aufmerksamkeit für unser Anliegen erhöht haben.

Frau Chase, wie sehr schmerzt die Räumung?

Pippa Chase: Faktisch ist es ein Verlust, aber es setzt auch wieder Ressourcen und Ideen frei. Ich gehe davon aus, dass wir bald wieder ein Camp in Berlin haben, in dem Leute täglich miteinander diskutieren werden.

Ponader: Die Bundesimmobilienanstalt hatte uns ja auch eine Etage im Haus der Statistik am Alexanderplatz angeboten. Das Angebot haben wir angenommen und warten nun auf die Übergabe. Wir werden sehen, ob sie noch zu ihrem Wort steht.

Was können denn die Berliner im Jahr 2012 von Occupy erwarten?

Ponader: Occupy wird weiter einen breiten gesellschaftlichen Dialog anstoßen. Und wir wollen uns noch mehr in die Tagespolitik einmischen.

Was genau wollen Sie ändern?

Ponader: Zuerst einmal die Art, wie wir in unserer Gesellschaft Entscheidungen treffen.

Und dann?

Ponader: Ganz konkret? Mir persönlich schwebt ein bedingungsloses Grundeinkommen, eine Währung ohne Zinsen vor. Oder die Idee einer europäischen liquid democracy umzusetzten, einer Mischung aus direkter und repräsentativer Demokratie. Andere von uns empören sich über Hartz IV, das Jugendamt oder die Politikelite. Daraus einen Forderungskatalog abzuleiten, wäre ein heilloses Unterfangen.

Klingt nach Kapitulation.

Chase: Nein, gar nicht. Aber zuerst brauchen wir einen Bewusstseinswandel. Was uns alle verbindet, ist die Empörung über etwas. Darüber müssen wir uns austauschen. Denn die Probleme habe alle eine Wurzel: Entscheidungen werden nicht mehr danach gefällt, was die Gesellschaft braucht, sondern zum Nutzen einiger weniger, die Macht haben. Die berühmten 1 Prozent, die von den 99 Prozent profitieren.

Empörung schön und gut. Aber wie wird daraus Wandel?

Ponader: Indem ich zuerst mich selbst wieder in Besitz nehme: Occupy myself! Für mich ist Wandel nur dann möglich, wenn er zuerst bei mir beginnt. Indem ich meine Bürgerrechte einfordere. Auch die Asambleas sind ja eine Forderung: eine Forderung nach Mitbestimmung.

Wie soll sich dieses Bewusstsein multiplizieren?

Chase: Indem wir darüber sprechen. Über die Medien, ob klassisch oder Web 2.0, und ganz direkt in der Asamblea. Wir müssen Wissen schaffen. Vielen der 99 Prozent ist gar nicht bewusst, dass sie zu den Verlierern gehören in diesem System.

Ponader: Es kommen ja bereits Parlamentarier oder Sparkassenchefs, die mit uns sprechen wollen. Unsere politische Kultur beginnt also zu kontaminieren.

Andere sagen hingegen, Occupy habe seinen Zenit bereits überschritten.

Ponader: Natürlich fahren wir gerade nicht so Volldampf wie im Oktober. Und ja, wir hatten im Camp viele Probleme zu lösen. Aber ich sehe, dass es wieder anläuft. Vielleicht nicht so öffentlich, dafür wird sich gerade stark vernetzt. Die Demo am Sonntag wird zeigen, wie stark wir derzeit sind.

Als Ihr Camp am Montag geräumt wurde, haben Sie danach noch den Sand geharkt. Laufen Sie nicht Gefahr, belächelt zu werden?

Ponader: Vielleicht. Vielleicht werden wir aber auch unterschätzt. Bisher hat unser Auftreten stets bewirkt, dass man mit uns in den Dialog trat. Und die Marke Occupy wird ja geradezu gehypt. Das müssen wir nun mit Leben füllen, das ist viel Arbeit.

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