Objekte der Begierde in Dublin: Ran an die Brust
Täglich begrapschen Touristen die berühmte Molly-Malone-Statue in der irischen Hauptstadt. Ist das Sachbeschädigung oder gar frauenfeindlich?
S ie trägt ein langes schwarzes Kleid, ihre halbnackten Brüste leuchten hell in der Sonne. Passant:innen, vor allem Männer, grapschen sie ständig an. Das soll Glück bringen. Molly Malone wehrt sich nicht, denn sie ist eine Statue. Sie trägt einen bronzenen Dutt und schiebt eine Karre, auf der drei geflochtene Körbe liegen.
Früher stand sie am unteren Ende der Grafton Street, Dublins vornehmer Einkaufsstraße, aber dann hat man sie in die Suffolk Street verlegt, an die Ecke St. Andrew’s Street, direkt vor die ehemalige protestantische St. Andrew’s Church, in die demnächst ein Lebensmittelmarkt einziehen soll.
In Irland ist es seit ein paar Tagen frühlingshaft, es sind viele Touristen unterwegs. Vor der Statue hat sich eine kurze Schlange gebildet. Zuerst ist Jim dran, ein älterer Herr aus New York. Er ist auf das kleine Podest gestiegen und umklammert Mollys rechte Brust, als ob er sich daran festhalten müsse. Seine Frau fotografiert ihn.
Jim kennt die Geschichte von Molly Malone, er war schon oft in Dublin, weil er Verwandtschaft in der Stadt hat. „Zum ersten Mal habe ich in den sechziger Jahren von Molly Malone gehört“, sagt er. „Pete Seeger hat ein Lied über sie gesungen.“
Tod durch Cholera
Nicht nur der legendäre Folksinger aus den USA, sondern auch Sinéad O’Connor, U2, natürlich die Dubliners und sogar Heino haben das Lied gesungen: „In Dublins schöner Stadt, wo die Mädchen so hübsch sind, erblickte ich zum ersten Mal die süße Molly Malone, wie sie ihre Schubkarre durch die Straßen schob und rief: Herzmuscheln und Miesmuscheln, lebendig, oh!“
Damals, als Seeger den Song aufnahm, gab es die Statue von Jeanne Rynhart noch nicht, sie wurde erst 1987 anlässlich der 1.000-Jahr-Feier Dublins im folgenden Jahr aufgestellt. Gab es die Fischverkäuferin Molly Malone, nach der Irish Pubs in der ganzen Welt benannt sind, überhaupt? „Natürlich“, sagt Therese Caherty, die in der Nähe arbeitet. „1988 hat man in den Archiven entdeckt, dass eine Molly Malone am 13. Juni 1699 in Dublin an Cholera gestorben ist.“
Mittags taucht eine Reisegruppe aus Spanien an der Statue auf, acht Männer und acht Frauen, alle in den Fünfzigern. Der Reiseleiter erzählt die Geschichte von Molly Malone und ihrer Statue. Manche Dubliner haben ihr den Spitznamen „The Tart With The Cart“ – das Flittchen mit dem Karren – gegeben, weil sie angeblich tagsüber Fisch und abends ihren Körper verkaufte, sagt er. Dann ermutigt er die Reisenden, die Brüste der Statue zu berühren, aber niemand folgt der Aufforderung.
„Die Brüste werden jeden Tag glänzender“, sagt Paddy Armstrong, dessen Stammkneipe M. J. O’Neill gegenüber liegt. „Diese Beschädigung finde ich schlimmer als das Begrapschen, das ist ja nur Spaß, den man nicht zu ernst nehmen sollte.“
Kampagne gestartet
Das findet Tilly Cripwell nicht. Die 22-Jährige studiert am nahegelegenen Trinity College, an den Wochenenden macht sie Straßenmusik, oft neben der Statue. Sie hat eine Kampagne gestartet, damit Molly Malone in Frieden gelassen wird.
„Die meisten Menschen berühren die Brüste als Glücksbringer, das ist eine frauenfeindliche Handlung“, sagte sie. „Ich gehe jeden Tag an der Oscar-Wilde-Statue am Merrion Square vorbei. Man sieht dort keine Leute, die ihm in den Schritt fassen, um Glück zu erhaschen.“ Es sei eine von vielen angeblich kulturellen Traditionen, die man hinterfragen und abschaffen müsse, findet sie.
Sie ist nicht die Einzige, die das Betatschen der Statue stört. Voriges Jahr hat jemand „Bitte nicht“ und „7 Jahre Pech“ auf die Brüste gesprüht. Und Imelda May, Sängerin und Multiinstrumentalistin aus Dublin, sagte der Irish Times: „Ja, ich weiß, sie ist eine Statue, aber sie steht für so viel und wird doch so wenig respektiert. Frauen wurden schon immer zu Objekten gemacht, und die einzige Statue mit Brüsten in Dublin wird täglich vor den Augen unserer Kinder missbraucht. Welche Botschaft vermittelt das?“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs